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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Das 19. Jahrhundert

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Das 19. Jahrhundert.

Kaiserreichs auf die römische Baukunst zurück. Der Hauptvertreter dieses zu Anfang des Jahrhunderts allenthalben in Europa herrschenden "Stiles des Kaiserreiches" war Charles Percier (1764-1838), der Hofbaumeister Napoleons. Um das Jahr 1820 ungefähr wandte man wieder sich den griechischen Vorbildern zu, und kam der "Hellenismus" oder der "neugriechische Stil" auf, der hauptsächlich in Deutschland, dann auch in England Verbreitung fand. Die Hauptmeister dieser Richtung sind Karl Friedrich Schinkel (1781 bis 1841) und Leo v. Klenze (1784-1864). Unter dem Einflusse der "Romantiker" wandte man sich dann den mittelalterlichen Baustilen zu; in München pflegte Friedrich Gärtner (1792-1842) hauptsächlich den "neuromanischen" Stil, der jedoch bald durch die Gotik verdrängt wurde, die auch in England wieder zur Vorherrschaft kam. Frankreich folgte ebenfalls dem allgemeinen Zuge; hier war es namentlich Viollet le Duc (1814-79), welcher für die Belebung der mittelalterlichen Bauweisen eintrat. Im Allgemeinen huldigte man überall einem "Eklektizismus" und baute, da man einen eigenen neuzeitlichen Stil nicht zu erfinden vermochte, in allen möglichen Stilen der Vergangenheit, wobei bald der eine, bald der andere bevorzugt wurde. Am deutlichsten zeigt sich dies in Wien, dessen Neubauten eine wahre Mustersammlung von "Stilarten" bieten. Das Reichsratsgebäude von Theophil Hansen (1813 bis 91) ist im hellenischen, die Votivkirche von Heinrich Ferstel (1828-83) und das Rathaus von Friedrich Schmidt (1825-91) im gotischen, das Opernhaus, die Museen und das Burgtheater im Renaissancestil ausgeführt. Für den letzteren trat insbesondere der geniale Meister Gottfried Semper (1803-79) ein, der aus demselben eine neuzeitliche "Raumkunst" oder "kosmopolitische Zukunftsarchitektur" zu entwickeln suchte. Sempers Ideen übten denn auch den stärksten Einfluß auf die deutsche Baukunst seit 1860. In Frankreich kam gleichfalls der Eklektizismus zur Geltung, der einen ungemein eindrucksvollen Mischstil erzeugte, dessen glänzendstes Beispiel die Große Oper von Charles Garnier (1825-98) ist.

In neuester Zeit zeigen sich die Ansätze zu einem wirklich eigen-neuzeitlichen Stil; namentlich in Wien und München versucht man für die den modernen Bedürfnissen angepaßten Bauten auch die entsprechenden Formen zu finden. Dem Eklektizismus verdanken die Baukünstler die sichere Beherrschung der bisherigen Stilformen, in deren freier Anwendung man es zu großer Vollkommenheit gebracht hat. Auch in der Baukunst giebt es aber einen "Realismus" oder "Naturalismus", der hier darin besteht, daß man von der Zweckmäßigkeit und den Gesetzen der Baufügung ausgeht und danach die Formensprache - die "Schönheit" - ausbildet. Dieser Weg ist nun betreten worden und hoffentlich führt er im 20. Jahrhundert zu dem lang gesuchten neuen "Stile" der modernen Raumkunst.