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Kochschule und Ratgeber für Familie & Haus

Autorenkollektiv, Verlag von Th. Schröter, 1903-1905

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Fundamentalschöpfungen, auf denen die neue Technik sich aufbaut. Der Gedanke, auch die mühsame Näharbeit durch maschinelle Tätigkeit zu vereinfachen, lag also in der ganzen Zeitströmung begründet und so kann es uns nicht wundern, wenn wir im Ganzen 11 Namen in den verschiedensten Ländern mit der Erfindung der Nähmaschine verknüpft sehen. Aber nur ein Deutscher ist darunter, der wackere Tiroler Schneidermeister Joseph Madersperger. Nachdem bereits 1790 das älteste Patent auf eine Kettenstichmaschine, die aber nur zur Herstellung von Schuhen diente und sich wenig praktisch erwies, an Thomas Samt verliehen war, löste Madersperger zuerst das Problem, auch Kleiderstoffe mittels einer Maschine zu nähen.

In Kufstein, der naturschönen und romantischen Grenzstadt von Bayern und Tirol, erblickte der deutsche Erfinder am 6. Oktober 1768 das Licht der Welt. Sein Vater, ein Schneidermeister, lehrte dem Sohn das eigene Handwerk. Doch zum Gesellen geworden, hielt es den strebsamen und abenteuerlustigen jungen Mann nicht lange im elterlichen Hause. Nach langen Wanderjahren fesselten ihn Arbeit und Liebe an die Kaiserstadt. Er heiratete, wurde Bürger von Wien und gründete ein eigenes Geschäft, das ihn sorgenlos ernährt hätte. Aber Madersperger war nicht der Mann, den Lohn von seiner Hände Arbeit ruhig zu genießen. Er strebte höheren Zielen zu und grübelte sieben Jahre lang, mit Holz und Pappendeckel immer neue Versuche anstellend, über die Erfindung einer Nähmaschine. Endlich im Jahre 1815 konnte er mit einem in Metall ausgeführten Modell seiner Erfindung, für das er große Opfer gebracht hatte, hervortreten. Die Maschine besaß bereits die Nadel mit dem Oehr an der Spitze und das Unterschiffchen mit dem Faden. Der von unten durchgestoßene Zwirn bildete in dem festgespannten Stoff die Maschen einer geraden Naht, durch die der Kettenfaden noch mit der Hand gezogen werden mußte. Sie nähte vor- und rückwärts, blieb aber stehen, sobald der Faden vernäht war, und bedurfte noch sehr der Vervollkommnung. Das erkannte der Erfinder selbst, und in den folgenden Jahren wendete er alle seine Ersparnisse daran, die Konstruktion zu verbessern. Das gelang ihm soweit, daß er bald auch in krummen Linien und kleinen Bogen nähen konnte. Aber seine Mittel waren erschöpft, und vergeblich sah er sich nach Hilfe um. Wohl hatte ihm der Gewerbeverein eine bronzene Medaille, der Kaiser ein ausschließliches Privileg verliehen, aber Geld wollte niemand hergeben, am wenigsten seine Berufsgenossen, die die Maschine als eine Beeinträchtigung ihres Gewerbes fürchteten. Madersperger, schon hochbetagt, verzweifelte endlich an der praktischen Fruchtbarmachung seiner Erfindung. In bitterste Not geraten, schenkte er seine Maschine, um sie wenigstens der Nachwelt zu erhalten, der Wiener technischen Hochschule, die sie in ihr Museum aufnahm, und suchte selbst mit seiner treuen Lebensgefährtin die letzte Zuflucht im Armenhause St. Marx. Dort verschied er, 82 Jahre alt, am 3. September 1850 und bald war sein Name wie sein Lebenswerk vergessen. Erst im Jahre 1898 erinnerten sich die hervorragendsten Vertreter der Wiener Nähmaschinenbranche wieder des armen, verkannten Genies. Sie wandten sich an das Polytechnikum und erhielten die Madersperger'sche Maschine zur Plazierung in ihre Jubiläumsausstellung ausgefolgt. Bald lebte auch in seiner Vaterstadt Kufstein das Gedächtnis des Erfinders wieder auf. Der patriotische dortige Schneidermeister Anton Stigger verband sich mit mehreren Berufsgenossen und Kleidermacher-Genossenschaften von Innsbruck und Wien zur gemeinsamen Stiftung einer Gedenktafel am Geburtshause des Erfinders. Die Nachricht hiervon regte die Wiener Nähmaschinen-Fabrikanten zu einer schönen Tat der Dankbarkeit an. Die Firmen Rast und Gasser, Joseph Anger und Söhne, Netzler und Komarek beschlossen, aus eigenen Mitteln das Andenken Maderspergers in seiner Heimatstadt durch ein würdiges Denkmal zu ehren. Mit der Herstellung desselben wurde der Wiener Bildhauer Theodor Khuen betraut und die Stadt stellte bereitwillig einen ihrer schönsten Plätze in den herrlichen Kienberg-Anlagen zur Verfügung. Der 7. Juni wurde zur feierlichen Enthüllung des Monuments bestimmt. In entgegenkommendster Weise überließ das Technologische Museum in Wien die Madersperger'sche Originalmaschine zu zweitägiger öffentlicher Ausstellung in Kufstein. Von tausenden wurde das interessante Werk besichtigt. Klein und zierlich, auf vier dünnen Holzsäulchen ruhend, nimmt es sich fast wie ein Kinderspielzeug aus, aber der beiliegende, mit ihr bearbeitete Stoff zeigt, daß sie recht solide und feste Nähte lieferte. Schon am Vorabend hatte sich die altertümliche Stadt in wehenden Flaggenschmuck geworfen. Die romantische Bergfestung erstrahlte in herrlicher bengalischer Beleuchtung, ein Zapfenstreich zog durch die Straßen und vor dem Eggerbräu konzertierte die Platzmusik. Der Sonntag brachte herrliches Wetter und zahlreiche Gäste von Nah und Fern, darunter den Wiener Stifter des Denkmals. Nach der volkstümlichen Festrede des Fabrikanten Rast übernahm der Bürgermeister Dr. Prasemarer das Monument in das Eigentum der Stadt, die Hülle fiel und zeigte auf einem stufenförmigen Marmorsockel die künstlerisch vollendete Bronzebüste des genialen Schneidermeisters, ein charakteristischer Kopf, mit scharfen energischen Zügen, hoher Stirn und klugen Augen, von langem Lockenhaar umwallt, im freundlichen Sonnenglanz.

Der wackere Madersperger ist somit der unverdienten Vergessenheit entrissen und in wür- ^[folgende Seite]