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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Harpago - Harpyien.

Harpago (lat.), Art Enterhaken, von Plautus im übertragenen Sinn für einen räuberischen und habgierigen Menschen gebraucht; daher in Molières Lustspiel "L'Avare" Harpagon der Name des Geizhalses, der seitdem sprichwörtliche Bedeutung hat.

Harpagos, Günstling des medischen Königs Astyages, erhielt (wie Herodot erzählt) von diesem den Befehl, Kyros zu töten, umging ihn aber und ward vom König dadurch bestraft, daß man ihn mit dem gebratenen Fleisch seines Sohns bewirtete, von dem H. ohne es zu ahnen, genoß. Aus Rache verband er sich 559 mit Kyros zum Sturz des Astyages. Als Feldherr des Kyros unterwarf er nach der Zerstörung des lydischen Reichs (548) die griechischen Städte in Kleinasien der persischen Herrschaft.

Harpalos, ein Makedonier, war von Alexander d. Gr. als treuer Anhänger seiner Mutter Olympias mit Auszeichnung behandelt, selbst, als er 333 v. Chr. mit einer aus dem königlichen Schatz gestohlenen Geldsumme aus Kleinasien nach Megara geflohen war, begnadigt und 330 zum Verwalter der persischen Schätze in Ekbatana ernannt worden. Während des indischen Feldzugs Alexanders hatte er durch unerhörte Ausschweifung und maßlose Verschwendung so viel Geld verpraßt und sich so verächtlich gemacht, daß er bei Alexanders Rückkehr (325) mit 5000 Talenten und 6000 griechischen Söldnern auf 30 Dreideckern nach Athen entfloh, wo er sich durch Bestechung und großartige Freigebigkeit gegen das Volk das Ehrenbürgerrecht erwarb; seine von den Makedonien verlangte Auslieferung verweigerten die Athener, deponierten indes die von H. mitgebrachte Geldsumme von 700 Talenten in der Schatzkammer des Staats. H. begab sich darauf nach Kreta, wo er von dem Lakedämonier Thimbron erschlagen wurde. Als bei der Auslieferung jener deponierten Summe an die Makedonier die Hälfte fehlte, wurde von den Athenern eine Anzahl der angesehensten Männer, darunter Demosthenes (s. d.), der Veruntreuung beschuldigt (Harpalischer Prozeß) und Demosthenes und einige andre wirklich verurteilt.

Hárpax (griech.), Räuber, geizig-habgieriger Mensch.

Harper, amerikan. Buchdrucker- und Verlegerfamilie. Die aus Newton (Long Island) gebürtigen Brüder James (geb. 13. April 1795) und John H. (geb. 1797) errichteten 1817 in New York eine kleine Buchdruckerei unter der Firma J. and J. H., welch letztere nach dem einige Jahre später erfolgten Hinzutritt der beiden jüngern Brüder, Wesley und Fletcher H., in H. and Brothers umgeändert wurde. Aus kleinem Anfang entwickelte sich durch solide und vorsichtige Geschäftsführung die Druckerei und die bald mit dieser verbundene Verlagsbuchhandlung zu einem der größten Geschäftshäuser Nordamerikas. Die Harpers gehören zu den ersten, welche die Illustration durch Holzschnitt in Nordamerika einführten und mit Erfolg besonders für illustrierte Zeitschriften verwendeten. Seit dem Tode der beiden ältesten Brüder (James starb 27. März 1869, John 22. April 1875) wird das Geschäft durch die überlebenden Brüder und die Söhne des Hauses in gleichem Geist fortgeführt.

Harper's Ferry, Stadt im nordamerikan. Staat Westvirginia, am Zusammenfluß des Shenandoah und Potomac, in einer durch ihre Schönheit berühmten Gegend, mit (1880) 764 Einw. Früher eine wohlhabende Stadt, hat sie durch den Bürgerkrieg ihren Wohlstand eingebüßt. Arsenal und Waffenfabrik wurden bei Annäherung der Konföderierten 14. Mai 1861 in Asche gelegt. Auch ist sie bekannt geworden durch den Handstreich Browns (16. Okt. 1859).

Harpignies (spr. arpinji), Henri, franz. Maler, geb. 1819 zu Valenciennes, widmete sich bei dem Landschafter Achard der Malerei und machte nach Vollendung seiner Studien eine Reise nach Italien. Im J. 1853 debütierte er auf der Ausstellung mit einem Hohlweg, wurde aber erst 1861 durch einen Wald am Ufer des Allier bekannt. 1866 erhielt er für den Abend in der römischen Campagna, welcher für das Luxembourg-Museum angekauft ward, eine Medaille. Von seinen spätern Landschaften, welche Poesie der Stimmung mit einer energischen Breite des Vortrags verbinden, sind zu nennen: Wolfsgrube, Eichen des Schlosses Renard, Florapavillon des Louvre, Rückkehr von der Jagd, Opfer des Winters, die Loire. H. ist auch ein ausgezeichneter Aquarellist.

Harpokrates, der in den griechisch-röm. Kultus übergegangene ägyptische Horos (s. d.).

Harpokration, Valerius, griech. Grammatiker aus Alexandria, lebte vielleicht im 2. Jahrh. n. Chr. und verfaßte ein alphabetisches Lexikon zu den zehn attischen Rednern, welches trotz seiner zerrütteten Gestalt eine reiche Fundgrube von Notizen über attische Staats- und Gerichtsverfassung und Litteratur darbietet. Neuere Ausgaben des Werkes lieferten I. Bekker (Berl. 1833) und W. Dindorf (Oxford 1853, 2 Bde.). Vgl. Boysen, De Harpocrationis lexici fontibus (Kiel 1876).

Harpsichord, der gewöhnliche englische Name des Klavicymbals oder Kielflügels (s. Klavier).

Harpune, pfeilförmiges, vorn mit Widerhaken versehenes, etwa 60 cm langes Eisen, an dessen oberm Ende sich als Handgriff ein 1,25-1,5 m langer Schaft mit einem Ring für eine lange Leine befindet, wird besonders beim Walfischfang benutzt und von dem Harpunierer aus freier Hand geworfen, in neuerer Zeit aber auch aus eigentümlichen Geschützen geschossen. Kleinere Harpunen dienen zur Jagd auf Delphine.

Harpyie, Vogel, s. Adler, S. 121.

Harpyien, bei Homer die Göttinnen des raffenden Sturms, nach Hesiod Töchter des Thaumas, des Sohns des Pontos, und der Elektra, der Tochter des Okeanos, Schwestern der Iris, eine der Homerischen Bedeutung ähnliche Vorstellungen enthaltende Genealogie. Sie heißen bei Hesiod Aëllo und Okypete; andre Namen sind Aëllopus, Thyella, Okypode, Nikothoë u. a. Sie sind geflügelt und schneller als der Wind. In der Gestalt den Menschen zur Plage gesandter Wesen erscheinen sie erst in den Argonautensagen, namentlich in der Geschichte des blinden Sehers Phineus, dem sie die Nahrung wegfressen oder verunreinigen, bis sie von den Söhnen des Boreas, Zetes und Kalais, erlegt werden. In der "Ilias" erscheint nur eine Harpyie, Podarge, welche in Stutengestalt von Zephyros Mutter der Rosse des Achilleus wurde. Während Homer sich über ihre Gestalt nicht weiter äußert, Hesiod dagegen ihre menschliche, sogar schöne Bildung (durch die ihnen verschwisterte Iris und das Beiwort "schönlockig") bezeugt, werden sie von Äschylos an als häßliche, mißgestaltete Wesen gedacht; auf Vasenbildern erscheinen sie als ein Zwitterding von Jungfrau und Raubvogel (wie noch heute in der Heraldik, s. Figur). Vergil weist ihnen als Aufenthaltsort die Strophadischen Inseln an. Keine H. sind indessen die wohlthätigen vogelartigen Dämonen des sogen.

^[Abb.: Harpyie (Nürnberger Stadtwappen).]