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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Industrieritter - Infamie.

stoffe und bildet dadurch die Basis vieler wichtiger Industriezweige, wie die gerbstoffreichen Pflanzen in der Gerberei Verwendung finden. Anreihen kann man schließlich noch jene Pflanzen, welche Nahrungs- und Genußmittel liefern, die erst durch technische Prozesse mannigfacher Art gewonnen werden (Weinstock, Kakao, Tabak), und jene, die eigentümliche, sonst im Pflanzenreich nicht vorkommende Körper enthalten und als Material zur Darstellung von Heilmitteln (Alkaloide) etc. verwertet werden. Die I. sind zum Teil Gegenstand der Kultur, und nur, wo dies der Fall ist, erscheint ihre Erhaltung gesichert; vielfach beschränkt man sich auf Ausnutzung der wild wachsenden Pflanze und hat dabei mehrfach die Erfahrung gemacht, daß bei starker Nachfrage nach einem bestimmten Material das rücksichtslose Vorgehen den Bestand der Art geradezu bedroht. Die Cinchonaceen, der Guttaperchabaum u. a. nahmen in bedenklicher Weise ab, als das Chinin und die Guttapercha in Gebrauch kamen, und erst seitdem die Kultur derartiger Pflanzen Platz gegriffen oder ein mehr schonendes Verfahren bei der Gewinnung des betreffenden Stoffes eingeführt wurde, erscheint die andauernde Beschaffung desselben für die Industrie gesichert. Auch die Kautschuk liefernden Bäume hat man in neuerer Zeit in Kultur genommen.

Industrieritter, als vornehme Leute auftretende Gauner, die ihre Betrügereien mit Raffinement und ins große treiben; betrügerische Glücksjäger.

Industrieschulen, Name für sich bestehender oder mit der gewöhnlichen Schule verbundener Unterrichtsanstalten, in welchen Mädchen oder auch Kinder beiderlei Geschlechts in Handarbeiten (Stricken, Nähen, Flechten etc.) unterwiesen werden. Hier und da waren derartige Beschäftigungen schon früher mit dem Schulunterricht verbunden, so im Halleschen Waisenhaus von Francke und in den unter seinem Einfluß zu Halle, Berlin etc. in der ersten Hälfte des 18. Jahrh. entstandenen Realschulen. In systematischer Weise verband zuerst der Dekan Ferdinand Kindermann, nachher von Maria Theresia als Ritter von Schulstein (s. d.) geadelt, zu Kaplitz in Böhmen Industrieklassen mit der "Lehrschule" (1773). Sein Beispiel fand in der für Reform des Unterrichtswesens begeisterten Zeit vielfach Nachahmung. So versuchte nach einem großartigen Plan, aber mit geringem Erfolg Pestalozzi zu Neuhof im Aargau, Handarbeit und Unterricht zu verbinden (1775). Im nördlichen und evangelischen Deutschland wurde die Neuerung besonders durch den Pfarrer Wagemann zu Göttingen bekannt. Dieser errichtete in Göttingen 1784 eine Industrieschule, welche bald zahlreiche Nachfolgerinnen im nördlichen Deutschland, auch in England, Frankreich etc. fand. Besonders ist unter diesen die sogen. "Erwerbschule" in Berlin (1793 gegründet) zu nennen. In enge gesetzliche Verbindung mit der Volksschule suchte die I. seit 1796 der Herzog Peter von Holstein und Oldenburg zu bringen. Größere Verbreitung haben sie in den ersten beiden Dritteln unsers Jahrhunderts in Belgien, Württemberg, Sachsen (Erzgebirge: Stick- und Klöppelschulen) etc. gefunden. In ausgedehntem Maß aber findet der Industrieunterricht die passendste Verwendung in den Rettungshäusern, Taubstummen-, Blindenanstalten (s. d.) für Knaben und Mädchen. In den Volksschulen ist man von der Heranziehung der Knaben zu diesem Unterricht zurückgekommen, je mehr der Turnunterricht an Ausdehnung gewonnen hat. Nur wo besondere örtliche Verhältnisse es verlangen, pflegt sie noch stattzufinden. Doch ist die Bewegung für den Unterricht der männlichen Jugend in der Handfertigkeit unter andern Formen neuerdings wieder aufgenommen worden. Dagegen ist für die Mädchen der Unterricht in weiblichen Handarbeiten als obligatorisch jetzt in den meisten Staaten Deutschlands vorgeschrieben, so in Preußen durch die allgemeinen Bestimmungen vom 15. Okt. 1872. - Die verbreitetste Methode für diesen Unterricht ist heutzutage die Schallenfeldsche, nach der die Lehrerin ganze Klassen oder Abteilungen gleichzeitig zu belehren und zu beschäftigen hat. Vgl. Rosalie Schallenfeld, Der Handarbeitsunterricht in Schulen (7. Aufl., Frankf. a. M. 1885); Georgens, Schulen der weiblichen Handarbeit (Leipz. 1877, 12 Tle.). S. auch Arbeitsschulen und Handarbeiten.

Industriesteuer, s. v. w. Gewerbesteuer (s. d.).

Industriesystem wird gewöhnlich das Ad. Smithsche System der Volkswirtschaftslehre genannt, welches von der Arbeit (Betriebsamkeit, lat. industria, engl. industry) als der Quelle des Nationalreichtums ausgeht. Vgl. Smith (Adam).

Industrievereine, s. v. w. Gewerbevereine (s. d.).

Inedita (lat.), noch nicht herausgegebene Schriften.

In effectu (lat.), in der That, wirklich.

Ineffektiv (lat.), unwirklich, unwirksam.

In effigie (lat.), im Bildnis; i. e. gehenkt oder verbrannt werden, ehedem eine urteilsmäßige Exekution, bei welcher das Bildnis des abwesenden Verbrechers an den Galgen gehängt oder öffentlich verbrannt, ja sogar geköpft wurde.

Inépt (lat., "unpassend, ungeschickt, ungereimt") nennt man eine rechtliche Klage, wenn deren Fassung an innern Widersprüchen oder solchen Undeutlichkeiten und Mängeln leidet, daß ihre Beseitigung und Aufklärung dem Richter nicht möglich ist.

In erster Hand, von Waren s. v. w. im Besitz dessen, der sie zuerst in den Handel bringt.

Inertia (lat.), Trägheit, Beharrungsvermögen.

Ines de Castro, s. Castro 1).

Inessentiell (lat.), unwesentlich.

Inexakt (lat.), ungenau, fehlerhaft.

Inexigibel (lat.), nicht eintreibbar.

In expensas (lat.), in die Kosten (verurteilen).

Inexpressibles (engl., die "Unaussprechlichen"), in England übliche Benennung der Beinkleider, nicht weil man in dem Begriff der Hosen an und für sich etwas Unanständiges findet, sondern weil das englische Wort dafür (breeches) in der Einzahl "Steiß" bedeutet.

In exténso (lat.), der ganzen Ausdehnung nach; vollständig; ausführlich.

Infallibel (neulat.), unfehlbar, dem Irrtum nicht unterworfen; Infallibilist, Anhänger oder Verteidiger der Infallibilitätslehre.

Infallibilität (neulat., "Unfehlbarkeit"), nach der auf dem vatikanischen Konzil 1870 festgestellten Kirchenlehre Eigenschaft des römischen Papstes, infolge deren er als Christi Statthalter, der vom Heiligen Geist in alle Wahrheit geleitet wird, in Glaubenssachen niemals irren kann (vgl. Papsttum). Die ältere und mittelalterliche Kirche schreibt I. vielmehr den allgemeinen Konzilen zu (vgl. Episkopalsystem). Die protestantische Rechtgläubigkeit nimmt dieselbe Eigenschaft für die Bibel in Anspruch.

Infam (lat.), ehrlos, verrucht, schändlich.

Infamie (lat. Infamia, "Schande, Schimpf"), im gewöhnlichen Sprachgebrauch Bezeichnung für ein ehrloses Handeln, Ehrlosigkeit; im juristischen Sinn die Schmälerung der bürgerlichen Ehre einer Person. Wie nämlich das römische Recht eine vollständige Auf-^[folgende Seite]