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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Siechenhaus; Siècle; Siedehäckerling; Sieden; Siedepunkt

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Siechenhaus - Siedepunkt.

gehört zu der großen Gruppe des auf dem flachen Land noch jetzt in Anspruch genommenen "wahrsagenden Hausgeräts", wobei außer dem Siebe besonders Erbschlüssel, Erbbibeln, Beile, Scheren, Messer und Gabel gebraucht werden. Man hängt diese Gegenstände entweder an einer Schnur auf, oder hält sie (den Erbschlüssel in die Bibel gebunden) zwischen zwei Fingern im schwankenden Gleichgewicht, dabei die Namen der verdächtigen Personen aufzählend oder inmitten der versammelten Hausgenossenschaft von einer Person zur andern tretend. Derjenige, bei deren Nennung oder Annäherung sich der Gegenstand bewegt, wird für den Schuldigen gehalten. Vgl. C. Sterne, Die Wahrsagung aus den Bewegungen lebloser Körper (Weim. 1862).

Siechenhaus, ein Hospital für Aufnahme und Verpflegung unheilbarer Kranken.

Siècle (franz., spr. ssjähkl), Jahrhundert; Titel einer einflußreichen Pariser Zeitung, gegründet 1836.

Siedehäckerling, s. Häcksel.

Sieden (Kochen), die unter Aufwallen vor sich gehende Verdampfung einer Flüssigkeit, wobei sich nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Innern der Flüssigkeit Dampf bildet. Im Innern einer Flüssigkeit aber können Dampfblasen nur dann bestehen, wenn die Spannkraft des in ihnen enthaltenen Dampfes dem auf der Flüssigkeit lastenden Druck das Gleichgewicht zu halten vermag. Eine Flüssigkeit wird also dann sieden, wenn sie diejenige Temperatur erreicht hat, bei welcher die Spannkraft ihres gesättigten Dampfes dem äußern Druck gleich ist. Diese Temperatur, der Siedepunkt, ist demnach von dem äußern Druck abhängig und liegt um so tiefer, je geringer dieser Druck ist. Der normale Siedepunkt des Wassers, welchen man als festen Punkt der Thermometerskala gewählt und mit 100° bezeichnet hat, ist diejenige Temperatur, bei welcher der gesättigte Wasserdampf eine dem normalen Luftdruck gleiche Spannkraft besitzt und demnach einer Quecksilbersäule von 760 mm Höhe (Normalbarometerstand an der Meeresoberfläche) das Gleichgewicht hält. Auf hohen Bergen oder Hochebenen, wo der Luftdruck geringer ist als am Meeresspiegel, erfolgt das S. bei weniger als 100°. Auf dem Gipfel des Montblanc z. B., in einer Höhe von 4775 m ü. M., wo der Barometerstand nur noch 417 mm beträgt, siedet das Wasser schon bei 84°, d. h. bei derjenigen Temperatur, bei welcher die Spannkraft des Wasserdampfes ebenfalls 417 mm beträgt. Wenn man daher an einem hoch gelegenen Orte den Siedepunkt des in einem offenen Gefäß kochenden Wassers bestimmt und die zugehörige Spannkraft aus einer Spannkraftstabelle entnimmt, so weiß man hiermit auch den dort herrschenden Barometerstand und kann die Höhe des Beobachtungsorts über der Meeresoberfläche berechnen. Ein zu diesem Zweck geeignetes Thermometer, dessen in sehr kleine Unterabteilungen geteilte Skala nur wenige Grade unterhalb des normalen Siedepunktes umfaßt, heißt Hypsothermometer. Unter der Glocke der Luftpumpe kann man das Wasser bei jeder beliebigen niedrigen Temperatur zum S. bringen. Wird in einem etwa zur Hälfte gefüllten Glaskolben Wasser zum S. gebracht, bis alle Luft durch die entweichenden Dämpfe ausgetrieben ist, sodann die Mündung durch einen luftdicht schließenden Kork verschlossen und der Kolben mit dem Hals nach unten aufgestellt, so befindet sich über dem Wasser, welches nun unter den normalen Siedepunkt erkaltet, nur noch Wasserdampf, welcher einen seiner Temperatur entsprechenden Druck auf die Flüssigkeit ausübt. Gießt man nun kaltes Wasser auf den Glaskolben, so beginnt das Wasser im Innern wieder lebhaft zu sieden, weil der auf der Flüssigkeit lastende Druck des Dampfes durch die Abkühlung plötzlich vermindert wird. Hat man aus einer an beiden Enden kugelförmig erweiterten und zum Teil mit Weingeist gefüllten Glasröhre durch Kochen alle Luft vertrieben und dieselbe alsdann durch Zuschmelzen geschlossen, so daß nach dem Erkalten die eingeschlossene Flüssigkeit nur noch dem bei gewöhnlicher Temperatur geringen Druck ihres Dampfes ausgesetzt ist, so reicht die Wärme der Hand hin, die Flüssigkeit zum S. zu bringen (Pulshammer). Eine mit Wasser gefüllte und auf diese Weise luftleer gemachte Röhre nennt man Wasserhammer (Kryophor), weil beim Schütteln das Wasser, von Luft nicht mehr gehindert, mit lautem Schall gegen die Glaswand schlägt. In einem offenen Gefäß kann man eine Flüssigkeit nicht (oder nur wenig) über den Siedepunkt erhitzen, welcher dem jeweils herrschenden Luftdruck entspricht, weil, sobald das S. begonnen hat, alle zugeführte Wärme zur Überführung der Flüssigkeit in den gasförmigen Zustand verbraucht wird. In einem geschlossenen Gefäß dagegen steigert sich bei fortgesetztem Erhitzen, da der Dampf nicht entweichen kann, die auf die Flüssigkeit pressende Dampfspannung immer mehr und mit ihr der Siedepunkt; unter einem Druck von 2 Atmosphären z. B. siedet das Wasser erst bei 121°, unter 3 Atmosphären bei 134° u. s. f. Hierauf beruht der Dampfkochtopf (s. Digestor). Siedepunkte einiger Flüssigkeiten beim normalen Druck von 760 mm:

^[Liste]

Stickstoffoxydul -88° C.

Kohlensäure -75 "

Ammoniak -38 "

Chlor -34 "

Cyan -20 "

Schweflige Säure -10 "

Äther 33 "

Schwefelkohlenstoff 46 "

Chloroform 61° C.

Alkohol 78 "

Benzol 81 "

Wasser 100 "

Terpentinöl 159 "

Quecksilber 350 "

Schwefel 447 "

Zink 1040 "

Das S. einer Flüssigkeit beginnt übrigens nicht immer bei der Temperatur ihres Siedepunktes, sondern häufig wird, besonders in glattwandigen Gefäßen, eine Verzögerung des Siedens, ein Siedeverzug, beobachtet; die Temperatur steigt dann allmählich ein wenig über den Siedepunkt, und das S. tritt dann stoßweise oder sogar explosionsartig ein, indem die Temperatur wieder auf den normalen Siedepunkt herabsinkt, um nachher wiederum anzusteigen. Durch den Siedeverzug (Überhitzung) und die darauf folgende stürmische Dampfentwickelung hat man Dampfkesselexplosionen zu erklären versucht. Der Siedeverzug wird verhindert, wenn man eckige, rauhe und insbesondere poröse Körper, z. B. Platindrähte, Sand, Kohlenstückchen, Holzspäne, in die Flüssigkeit bringt, welche, indem sie die ihnen adhärierende Luft abgeben, die Dampfbildung einleiten. Noch wirksamer kann der Siedeverzug durch Einleiten eines Luftstroms verhindert werden.

Siedepunkt einer Flüssigkeit, gewöhnlich diejenige Temperatur, bei welcher der Dampf derselben die Spannkraft einer Atmosphäre (760 mm Quecksilber) besitzt (vgl. Sieden, Thermometer). Absoluter S. heißt nach Mendelejew jene kritische Temperatur (s. Gase, S. 930), oberhalb welcher ein Körper unter allen Umständen im gasförmigen Zustand sich befindet und durch keinen auch noch so hohen Druck verflüssigt werden kann. Diese Temperatur ist z. B. für Schwefelkohlenstoff 276°, für Äther 196°, für Kohlensäure 31°. Mendelejew entdeckte eine Beziehung