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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Albanesische Sprache und Litteratur

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Albanesische Sprache und Litteratur.

Verwaltung, Rechtspflege. Die Autorität der Türken ist, namentlich im N., nur eine scheinbare, denn in Wirklichkeit regiert jeder Stamm sich selbst. Mit dem Wali (Gouverneur) stehen bloß einige Stämme durch eine Mittelsperson, den Bulukbaschi, in Verbindung. Jeder Stamm bildet eine kleine, für sich bestehende aristokratische Republik, deren Präsident Barjaktar heißt und die Verpflichtung hat, im Krieg den Oberbefehl über das Kontingent zu führen. Er ist in seiner Stellung erblich, ebenso wie die Woiwoden oder Gemeindevorstände. Letztere werden bei den meisten Stämmen durch die Gjobars ersetzt, welche das Strafgeld (Gjobe, in Vieh entrichtet) bei Verurteilungen einzuziehen haben; sie werden aus den tapfersten und kühnsten Leuten erwählt. Nach ihnen folgen die Dovrans oder Bürgen, die dem Wali für das gute Verhalten des Stammes haften müssen. Alle diese Würdenträger gehören zu den Plektje, Ältesten, welche den Rat (Pletschenia) bilden und über alle Dinge von nicht allgemeiner Wichtigkeit entscheiden. Übrigens liegen die "Ältesten", weil deren Würde erblich, oft noch in den Windeln. Barjaktars und Woiwoden sind im allgemeinen mit der Regierung betraut, doch dürfen sie keine Neuerungen einführen und müssen sich nach dem alten Herkommen (Adet) richten. Angelegenheiten, die das Wohl des ganzen Stammes betreffen: Entscheidung über Krieg und Frieden, Erlaß oder Aufhebung eines Gesetzes, Änderung alter Gebräuche, können nur von der Volksversammlung (Kuvent) entschieden werden, zu der jedes Haus einen Vertreter sendet. Zwei solcher Versammlungen finden jährlich, im Frühling und im Herbste, statt, um über die Zeit zu entscheiden, wenn die Herden ausgetrieben und wieder heimgeführt werden sollen. Verletzungen des Herkommens werden mit Geldstrafen oder Viehkonfiskation gestraft. Von dem Erträgnis der Strafen werden Feste abgehalten. Privatstreitigkeiten schlichten gewählte Schiedsrichter. Diebstahl kommt nur zur Bestrafung, wenn er im Inland verübt wird; jener im Ausland wird gebilligt, da er den Nationalwohlstand bereichert. Unabsichtliche Tötung wird mit 225 Mk. geahndet, vorsätzliche zieht die Blutrache nach sich, desgleichen Verleumdung, Entführung, Schändung, Ehebruch. Totschlag, Raub, Diebstahl und Gewalt, während des Kriegs begangen, sind von jeder Entschädigungsforderung frei. Die Blutrache, welche in der Leidenschaftlichkeit und Empfindlichkeit des Volks ihren Grund hat und durch das Herkommen geboten ist, fordert noch jetzt schreckliche Opfer in Albanien. Sie kann bei einigen Stämmen, wie den Miriditen, nie aufgehoben werden und geht von der Familie auf den Stamm über; es entsteht dadurch ein Krieg aller gegen alle, der nur durch bestimmte gesetzliche Zeiten der Waffenruhe beschränkt ist. Während des Blutrachekriegs haben die feindlichen Stämme jederzeit plötzliche Angriffe zu befürchten. Sieg und Ruhm hängen von der Zahl der Erschlagenen ab. Ist genug des Bluts geflossen, und tritt Abspannung ein, so vermittelt der türkische Gouverneur den Frieden. In Mittelalbanien kam nach Gopčević in den 50er Jahren, wo die Blutrache besonders stark wütete, auf je zehn Häuser ein Erschlagener, und in Skutari allein lebten 500 vor der Blutrache dorthin geflüchtete A.

In der Familie ist der Mann der Herr, dem alle Familienglieder unterthan sind. Das Weib teilt oft in verwilderter Weise die männliche Thätigkeit, indem es mit in den Fehdekampf zieht und den Gefallenen die Köpfe abschneidet. Verlobung, Hochzeit, Ehe zeigen noch viele Spuren altbarbarischer Gebräuche, wie Brautkauf und Brautraub. In den religiösen Anschauungen aller Stämme, gleichviel welchem Glauben sie huldigen, hat sich noch sehr viel Heidnisches erhalten. Feen, Elfen, Hausgeister, Drachen, Gespenster, Flügelpferde, Geister erfüllen die Phantasie der A. Der Aberglaube ist auf allen Gebieten des Lebens reichlich vertreten. Die Tracht wechselt oft nach den Stämmen, ist aber stets malerisch. Der typische Albanese erscheint in roter Mütze und Turbanshawl, langem Schnurrbart und bloßem Hals, mit knopfloser, weißer Weste, weißer Fustanella, weißen Beinkleidern und bis an die Zähne bewaffnet. Die Häuser der A. gleichen in vielem denen der griechischen Bauern. Das geräumige Gehöft ist mit Schilfrohr umhegt und umfaßt Wohnhaus und die Gebäude für Vieh und Landwirtschaft. Holz und Lehm bilden das Baumaterial; der Herd liegt auf dem Lehmboden; Kamin und beweglicher Zimmerhausrat fehlen. Decken dienen statt der Betten. Die Dörfer sind klein und liegen zerstreut im Gebirge. Bei aller Roheit ist ein naturwüchsiger alteinheimischer Kunstsinn den A. eigen. Sie singen (besonders in Dardanien) viel und gut; es gibt unter ihnen Erzähler, Sänger, Spieler auf der Mandoline; das Volkslied ist in der Regel elegisch. Der Tanz ist die Albanitika, verwandt der griechischen Rhomaika. Vgl. G. v. Hahn, Albanesische Studien (Jena 1854); Derselbe, Reise durch das Gebiet des Drin und Wardar im Jahr 1863 (Wien 1870); Gopčević, Oberalbanien und seine Liga, ethnographisch, politisch, historisch (Leipz. 1881); Diefenbach, Völkerkunde Osteuropas (Darmst. 1880); Knight, Albania, narrative of a recent travel (Lond. 1880); Roukis, Ethnographische und statistische Mitteilungen (in "Petermanns Mitteilungen" 1884, Heft 10).

Albanesische Sprache und Litteratur. Die albanesische Sprache wird in einer großen Anzahl von Mundarten gesprochen, welche sich am passendsten in die gegischen und die toskischen einteilen lassen. Im eigentlichen Albanien bildet der Fluß Schkumb die Grenze zwischen beiden; die Dialekte der im Königreich Griechenland und in Italien lebenden Albanesen tragen den toskischen Charakter. Im allgemeinen sind die gegischen Mundarten die altertümlichern, wenn sie auch von türkischen Lehnwörtern wimmeln; so haben sie z. B. das ältere n da bewahrt, wo die toskischen es haben in r übergehen lassen. Indessen auch die toskischen haben hier und da größere Altertümlichkeiten. Die albanesische Sprache hat 7 Vokale (a, e, o, i, u, ü und den unbestimmten Vokal e), die alle auch lang und (besonders im Gegischen) nasaliert vorkommen, 4 Liquidä (ein einfaches und ein stark gerolltes r, mouilliertes l und einen dem polnischen l ähnlichen Laut), 4 Nasale (gutturales n, mouilliertes n, n und m), 8 Explosivlaute (k g, kj gj, t d, p b) und 12 Spiranten (h, χ γ, j, š ž, s z, θ δ, f v). Die Schreibung derselben ist bei dem Mangel einer Schriftsprache eine sehr schwankende; die Tosken wenden meist griechische, die Gegen lateinische Buchstaben an; in der Druckerei der Propaganda werden überdies einige besonders erfundene Zeichen verwendet. Die albanesische Sprache ist zweifellos eine indogermanische. Verfehlt war der Versuch von Franz Bopp ("Über das Albanesische", Berl. 1855), es am nächsten an das Sanskrit anzuschließen, ebenso der von Camarda ("Saggio di grammatologia comparata sulla lingua albanese", Livorno 1864), es als eine Art urgriechischen Dialekts zu erweisen. Es scheint, daß das Lettoslawische den meisten Anspruch auf nähere Verwandtschaft hat (vgl.