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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ameisen

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Ameisen (Nahrung; Nutzen und Schade).

halten Sklaven und zwar Individuen einer andern Ameisenart. Die rote Ameise, welche ihre Brut nicht selbst zu versorgen vermag, zieht in regelmäßigen Kriegsmärschen aus, um sich aus der Behausung der schwarzgrauen Ameise (Formica fusca und F. cunicularia) durch stürmischen Angriff und harten Kampf Larven und Puppen zu erbeuten. Durch die bereits im Bau befindlichen Sklaven wird dann diese erbeutete Brut wie die einheimische der Herren ernährt und großgezogen. Aber die Sklavenameisen tragen und nähren auch ihre rötlichen Herren, welche wegen Unvollkommenheit ihrer Freßwerkzeuge sonst verhungern müßten. Bei manchen Arten fehlen die Arbeiter, und Männchen und Weibchen leben mit den Arbeitern einer andern Art in demselben Bau. Auch F. sanguinea geht auf solchen Sklavenraub aus, doch arbeiten deren Arbeiter gleich ihren Sklaven. Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in welchen gewisse Arten in ihren drei Formen in den Nestern einer andern Art leben. Diese sogen. Gastameisen dürften oft nicht im stande sein, in selbständigen Kolonien zu existieren. Die kleine Stenamma Westwoodii lebt ausschließlich in den Nestern von Formica rufa und benimmt sich gegen diese ganz so wie etwa Hunde oder Katzen gegen die Menschen. Die kleine Solenopsis fugax dagegen, welche kleine Galerien in den Mauern der Ameisenhaufen größerer Arten aushöhlt, raubt letztern die Larven, um sie zu fressen. Öfters geraten Haufen von verschiedenen Arten, ja selbst nahegelegene von derselben Art untereinander in heftige Kriege, welche jeden Morgen erneuert werden, und wobei viele unterliegen, bis entweder ein abkühlender Regen oder das Auswandern des einen Haufens der Fehde ein Ende macht. Vorräte schleppen die A. in die gemeinsame Wohnung nur wenig und bei uns gar nicht ein, da sie im Winter keiner Nahrung bedürfen.

Die Nahrung der A. besteht aus animalischen und vegetabilischen Stoffen; besonders lieben sie Süßigkeiten, den Honigsaft mancher Pflanzen, der Blatt- und Schildläuse, süßes Obst, Zucker, Sirup, Honig u. dgl. Sie wissen diese Gegenstände mit bewunderungswürdigem Scharfsinn aufzufinden und dringen in sorgfältig verwahrte Vorratskammern und schwache Bienenstöcke ein. Außerdem fressen sie Regenwürmer, Raupen und andre kleinere Tiere (Frösche, Mäuse etc.), welche man durch sie skelettieren lassen kann, indem man dieselben in durchlöcherte Schachteln legt und diese in einen Ameisenhaufen gräbt. An größere Äser gehen sie ungern, an Getreide und ähnliche Sämereien bei uns gar nicht. Mit toten und stinkenden Fischen kann man sie wie mit Petersilie und Kerbel vertreiben. Auch Teer, Thran, Spieköl, Holunderblüten (frisch und getrocknet) sind den A. zuwider.

Die A. sind erklärte Feinde fast der ganzen übrigen Insektenwelt; lebende wie tote Kerfe schleppen sie in ihr Nest und fressen sie bis auf die harte Haut oder Schale auf. Nur zu gunsten einiger Arten machen sie eine Ausnahme. So hegen sie für die Blattläuse (Aphis) eine ganz besondere Freundschaft, indem sie den Honigsaft, den dieselben aus dem Hinterleib absondern, aufsaugen und, um die Absonderung desselben zu befördern, sie sanft mit den Fühlern streicheln und klopfen (Milchkühe der A.). Von abgestorbenen Zweigen nehmen sie dieselben behutsam ab, um sie auf saftreiche zu versetzen, und im Spätsommer bringen sie dieselben unter die Erde an die Wurzeln der Gewächse. Oft aber entführen sie auch die Blattläuse in ihre Nester, um sie wie Haustiere auszunutzen, oder umgeben eine Gesellschaft von Blattläusen mit einem Gehäuse von Erde oder andern Baustoffen, tragen auch ihre Larven in dasselbe oder setzen eine Blattlausgesellschaft durch einen bedeckten Gang mit ihrem Nest in Verbindung (stallfütternde A.). Eine Anzahl von Insekten sind längere oder kürzere Zeit auf Ameisenhaufen wie auf eine Pfleg- und Versorgungsanstalt angewiesen. Gegen 300 Insektenarten leben im unentwickelten Zustand in Ameisenhaufen, wie die Larve des Goldkäfers (Cetonia aurata), oder finden sich nur gelegentlich und nicht ausschließlich in Ameisenhaufen, wie manche Kurzflügler (Homalota, Tachyporus), während das Dasein andrer ganz an die A. geknüpft ist, insofern sie ausschließlich in deren Haufen leben (Myrmedonia, Lomechusa) und von den A. gepflegt und gefüttert werden. Man will beobachtet haben, daß die A. die Hinterleibsspitze solcher Käfer belecken, und schließt daraus, daß sie den Exkrementen derselben nachgehen. Die meisten dieser sogen. Inquilinen oder Myrmekophilen ("Ameisenfreunde") beherbergt die Waldameise (Formica rufa) und die Holzameise (F. fuliginosa). Über die Beziehung mancher dieser Insekten, welche förmlich wie Haustiere von den A. gehalten werden, zu diesen ist man noch im unklaren. Viele andre Insekten, namentlich die Laufkäfer, sind Ameisenfeinde und halten sich in der Nähe der Ameisenhaufen auf, um deren Puppen nachzustellen.

Nutzen und Schade der A. mögen sich im allgemeinen, wenigstens in Deutschland, das Gleichgewicht halten. Die A. töten eine Menge schädlicher Insekten, namentlich Raupen und Käfer, und werden auch medizinisch benutzt. Dagegen richten sie in der Haus-, Land- und Gartenwirtschaft auch manchen Schaden an, indem sie der Süßigkeit der Speisen und Früchte nachgehen, in Bienenstöcken nicht nur den Honig, sondern selbst die zarten Bienenpuppen verzehren etc. Von Gärtnern sind die kleinen, braunen oder schwarzbraunen A., welche sich zwischen den Wurzeln der Topfpflanzen (besonders gern in Warmhäusern und Lohbeeten) öfters in außerordentlicher Menge ansiedeln, große Löcher in die Wurzeln fressen und hierdurch sowie durch ihre ätzende Säure die Wurzeln verderben, sehr gefürchtet. Weit lästiger sind die A. in den heißen Ländern. Große, rotgelbe Arten dringen in die Wohnungen ein und beunruhigen die Schlafenden in den Betten, während eine kleinere, schwarze Art empfindlich beißt. Die am weitesten verbreitete Formica omnivora wird in Kasan häufig zur Landplage. Die Treiberameisen (Anomma arcens Westwood) an der Westküste von Afrika leben ohne feste Baue unter Baumwurzeln etc. und ziehen nachts oder bei trüben Tagen auf Beute aus. Sie töten durch ihre Menge selbst große Tiere, indem sie ihren ersten Angriff vornehmlich auf deren Augen richten. Wenn sie nachts in die Häuser eindringen, fliehen Ratten, Mäuse, Schaben und selbst die Menschen. Die Zuckerameise (Formica saccharivora) hat in Westindien ganze Zuckerplantagen vernichtet. Dagegen leben die Eingebornen am Rio Negro einen großen Teil des Jahrs von A., die sie zu einem Teig kneten und in Beuteln aufbewahren, und die dornhalsige Ameise (F. spinicollis) in Amerika verfertigt aus Pflanzenwolle eine Art von Filz, der als Zunder benutzt wird. In China benutzen die Gärtner eine Ameisenart zum Schutz ihrer Orangerien, um von diesen andre Insekten fern zu halten. Auf Ceylon hat man in den Kaffeeplantagen eine Schildlaus durch künstlich angesiedelte A. vertilgt