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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Archäische Formationsgruppe; Archaïsmus; Archangel

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Archäische Formationsgruppe - Archangel.

Archäische Formationsgruppe (Azoische Formationen), die laurentische Gneis- und die huronische Schieferformation umfassend (s. d. u. Systeme).

Archaïsmus (griech.), Nachahmung von etwas Altertümlichem, insbesondere veraltete Redeweise, dergleichen bei uns namentlich in der Gerichts- und aus Luthers Bibelübersetzung in der Kirchensprache gebräuchlich ist. In rechtem Maß angewendet, dienen Archaismen zur Erhöhung des Feierlichen und verleihen der Rede mehr Würde; doch haben sie auch leicht komische Wirkung und dürfen nicht auf Kosten der Deutlichkeit angewandt werden. Übrigens gibt es auch ganze Werke (z. B. Chattertons "Poems" und manche neueste Erscheinungen der deutschen Belletristik), denen in Ausdruck und Wendungen durchweg ein archaistisches, d. h. nachgeahmt-altertümliches, Gepräge gegeben ist. Gleicherweise spricht man in der bildenden Kunst von A. oder archaistischem Stil und bezeichnet damit, im Gegensatz zu archaisch (wirklich alt), die bewußte und absichtliche Nachahmung der Darstellungsweise aus den Anfangsepochen der Kunst, wie sie z. B. bei den römischen Bildhauern der spätern Zeit vielfach vorkommt. Werke dieser Art bereiten der archäologischen Kritik oft nicht geringe Schwierigkeiten.

Archangel (Archángelsk), ein Gouvernement Großrußlands, umfaßt den nördlichsten Teil des Reichs, im N. vom Eismeer und Weißen Meer, im W. von Finnland, im S. von den Gouvernements Wologda und Olonez, im O. vom sibirischen Gouvernement Tobolsk begrenzt, hat mit Einschluß der dazu gehörigen Insel Nowaja Semlja (nach Strelbitskys Berechnung) einen Flächeninhalt von 858,560 qkm (15,593 QM.). An der westlichen Grenze streichen von N. nach S. die Manselkaberge, von denen aus nordöstlich ein niedriger Höhenzug sich durch die Halbinsel Kola erstreckt, wo er mit dem Swätoi Noß ("heiliges Vorgebirge") am Eismeer endigt. Östlich bildet der nördliche, niedrige Teil des Ural die Grenze gegen Sibirien. Meerbusen sind: der Tscheskajabusen, der Dwina-, Onega- und Kandalaskajabusen, sämtlich zum Weißen Meer gehörig und mit Inseln bedeckt; der Kolabusen im äußersten Nordwesten. Unter den zahlreichen Flüssen, die sämtlich von S. nach N. strömen, sind die Hauptströme: die Dwina, die Petschora, der Mesen und die Onega. Landseen zählt das Gouvernement über 1100, unter denen der Imandrasee, der Pawosero, Kunto, Angosero die bedeutendsten sind. Der nördlichste Teil des Gebiets bildet eine traurige und menschenleere, jeder europäischen Kultur unfähige Steppe, ohne Baum und Strauch, nur aus Tundren, d. h. mit Moosen bewachsenen, beinahe immer gefrornen Morästen, bestehend. Die Küsten, tief und mannigfaltig eingerissen, tragen die Spuren der heftigsten Zerstörungen durch die Fluten. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt -0,9° C. (Januar -13,6°, Juli +16,4° C.). Die einzigen Nahrungszweige der spärlichen Einwohner sind außer der Renntierzucht Fischerei und Jagd auf Pelztiere und Vögel, die auf den Seen der Tundren nisten. Der Viehstand betrug 1876: 104,000 Stück Hornvieh, 124,000 Schafe, 40,000 Pferde und 228,000 zahme Renntiere. Bei dem durch die nasse Frühlings- und Herbstwitterung, die langen, heißen, aber nebeligen Sommertage begünstigten Wieswuchs gedeiht die Rindviehzucht vortrefflich, während für Schafe die Weiden zu naß sind und das Schwein im Winter schwer zu ernähren ist. Als wichtigste Jagdtiere sind der Polar- und der blaue Fuchs sowie der zahlreich auftretende Wolf zu nennen. Seltener ist der Wald- und der Eisbär; noch seltener und in geringer Menge zeigen sich das Hermelin, der Baummarder, die Flußotter, der Vielfraß, das Eichhorn und der Hase. Das Elen dagegen lebt nur noch in der Tradition, und auch Zobel und Biber sind hier längst vertilgt. Im J. 1880 zahlte man 10,425 professionelle Jäger, 409 weniger als 1879, welche für 110,394 Rubel Wild zu Markte brachten. Fisch- und Robbenfang wird von Gesellschaften im Meer hinauf bis an die Küste von Spitzbergen betrieben. Mit dem Fischfang auf Seen und Flüssen waren 1880: 8552 Personen beschäftigt, welche einen Ertrag von 81,646 Rub. erzielten; dem Seehund-, Walroß- etc. Fang lagen 3790 Mann ob. Von mineralischen Produkten ist Sumpfeisen in Menge vorhanden, bleibt aber unbenutzt. Günstiger als im äußersten Norden gestalten sich die Boden- und klimatischen Verhältnisse in dem südlichen Teil des Gouvernements, wo die Region der Wiesen und Waldungen beginnt und von 62 bis 64° selbst der Ackerbau nicht ohne Erfolg betrieben wird. Man gewinnt kleinkörnigen Winterroggen, Sommerweizen, Gerste, Hafer, Flachs, Erbsen, Kartoffeln (bis zu 65°) und Hopfen. Jedoch reicht der Ertrag für den Bedarf nicht aus, und auch hier wird daher das im höhern Norden nicht ungewöhnliche Notbrot aus Lichen islandica oder aus Calla palustris mit Spreu etc. gebacken. Der unfruchtbarste Strich erstreckt sich östlich vom Pinegafluß bis zum Ural, wo die moorige Petschorasteppe sich ausdehnt. Die Waldungen nehmen fast ein Drittel des gesamten Flächenraums ein und liefern, aus Lärchen, Fichten, Tannen, Rüstern, Erlen, Birken und Weiden bestehend, Masten, Balken, Bretter, Pech, Teer, Terpentin und Kohlen in großen Quantitäten. Zehn Sägemühlen (1882) verarbeiten die reichen Vorräte zu Balken und Brettern. Die Bevölkerung, (1880) 301,666 Personen oder 0,4 pro QKilometer, setzt sich zusammen aus: Lappen, westlich vom Weißen Meer (etwa 5000 Köpfe stark, getaufte Nomaden, Jäger und Fischer); Samojeden, rechts vom Mesen bis zum sibirischen Grenzgebirge, auf den Inseln Waigatsch, Kalgujew etc. (s. d.); Syrjänen, südlicher als die vorigen, an der Petschora (s. d.), und Ostjaken (s. d.); zwischen diesen Völkern als Kolonisten angesiedelt sind Finnen (der größte Teil der Ackerbau und Viehzucht treibenden Bevölkerung) und Russen, vorzüglich in den Städten. Industrie und Handel konzentrieren sich zum größten Teil in der Hauptstadt. Man zählte 1881 im ganzen Gouvernement 1635 Fabriken und industrielle Etablissements mit 2774 Arbeitern und einem Produktionswert von 2,705,167 Rubel. Nächstdem haben Onega, Mesen und Kola einigen Handelsverkehr. Lehranstalten gab es 1873: 87 mit 4332 Schülern. Das Gouvernement zerfällt in sieben Kreise: A., Pinega, Mesen, Onega, Kem, Cholmogory und Schenkursk.

Die Hauptstadt A. ("Michaelsstadt"), am rechten Ufer der Dwina gelegen, zerfällt in die Alt- und Neustadt, beide zum größten Teil aus Holzgebäuden bestehend, und zählt (1881) 17,772 Einw. A. hat 13 Kirchen (darunter eine evangelische), ein altes Kloster (zum heil. Michael, nach dem die Stadt benannt ist), einen 1668-84 erbauten großen Kaufhof und eine große Schiffswerfte, zahlreiche Fabriken (besonders Zuckersiedereien und große Seilerbahnen) und eine bedeutende Messe, die Margaritiussche (1. Sept. bis 1. Okt.; 1881 wurden für 1,216,000 Rub. Waren herangeführt, für 740,000 weniger als 1879, und für 851,000 Rub. verkauft). A. ist der Hauptseehafen Rußlands am Eismeer, der große Stapelplatz des Handelsverkehrs auf der Dwina, die allerdings durchschnittlich