Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Archäologie

768

Archäologie.

Altertümer für die mannigfachen Bedürfnisse des Lebens zu untersuchen und zu lehren, überläßt die A. der Altertumskunde, diese Kenntnis zu verwerten, der Geschichte. In diesem Sinn hat zuerst O. Jahn 1848 die A. richtig definiert als "die wissenschaftliche Bearbeitung der durch Masse, Form und Farbe wirkenden Denkmäler der Völker des klassischen Altertums nach der ihnen eigentümlichen Ausdrucksweise und die darauf wesentlich gegründete Erkenntnis der Entwickelung und des Bestands der bildenden Kunst im Altertum als eines Gliedes in dem gesamten Kulturleben desselben, oder kurz gefaßt, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der bildenden Kunst des Altertums".

Das Wort A. wurde schon von den Griechen häufig gebraucht, vorzugsweise aber auf die Erforschung und Darstellung von vergangenen, für die Gegenwart nicht mehr wirksamen Dingen, namentlich der ältesten Geschichte, Staatsform und Sitte, angewandt. Mit dem Aufblühen der klassischen Studien im 15. Jahrh. bürgerte sich der Ausdruck Antiquaria für die A. ein, und noch Lessing handelte in seinen "Antiquarischen Briefen" durchaus von der antiken Kunst. Studium der Antike nannte Heyne die A., deren jetziger Name sich erst seit Beginn dieses Jahrhunderts allgemeine Geltung verschafft hat. Die Anfänge der archäologischen Studien fallen nach Italien in die Zeit des beginnenden 15. Jahrh. und wurden von demselben Geiste der Renaissance, der auf die Wiederbelebung des klassischen, speziell des römischen, Altertums gerichtet war, hervorgebracht und in ihrer ersten Entwickelung bestimmt. Mit lebhaftem Enthusiasmus ergriff man zu jener Zeit die Welt antiker Schönheit, welche in ungezählten Mengen von Kunstwerken dem Boden entstieg. Man sammelte, zeichnete und studierte mit Hilfe der alten Autoren, namentlich des Vitruv, die alten Skulpturen; die Hallen, Höfe und Treppen der Paläste schmückten sich mit antiken Statuen und Büsten; in Florenz ein Lorenzo de' Medici, in Rom die Päpste selbst, wie Nikolaus V., Pius II., später Julius II. und Leo X., machten sich zum Mittelpunkt dieser Bestrebungen und gaben in dem vatikanischen Belvedere den gesammelten Schätzen einen glänzenden Raum. Kritik war vorläufig diesem begeisterten Treiben fremd. Die Frage nach dem Echten, dem Ursprünglichen fiel dieser Generation noch zusammen mit der Frage nach dem Schönen, dem Verständlichen; man ergänzte die zum Teil verstümmelten Statuen, um sie zur Dekoration zu gebrauchen, und glaubte nur dem eignen Geist folgen zu dürfen, um das Kunstwerk in seiner ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen. Arbeiten der Gelehrten und Kunsttheoretiker schlossen sich an; Andrea Fulvio, dem zuerst eine Rekonstruktion des klassischen Altertums aus seinen Überresten als Ziel einer A. vorschwebte, stand an ihrer Spitze. Zur Herrschaft gelangte dieses litterarische Betreiben der A. in der folgenden Periode, dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrh. In Rom freilich war zu dieser Zeit die Sammellust noch im Steigen, und fremde Fürsten, wie die Königin Christine von Schweden (1668-89 in Rom), und Kardinalnepoten, wie Aldobrandini, Borghese, Ludovisi, Barberini, schufen ihre herrlichen Sammlungen. Der Schwerpunkt der geistigen Arbeit aber ging von Rom auf andre Länder über und ließ dort wegen der Beschwerlichkeit der eignen Anschauung mehr das gelehrte Interesse und die litterarische Arbeit in den Vordergrund treten, wenn auch einzelne Männer durch unermüdlichen Sammelfleiß, unterstützt von reichen Geldmitteln und einer glücklichen Verbindung von Kunstsinn und Gelehrsamkeit, Außerordentliches leisteten und Vorläufer der großen dritten Periode wurden. Gori (1691-1757) begründete die etruskische Altertumskunde, Franziskus Junius ließ in Amsterdam das erste umfassende Lehrgebäude der antiken Kunst erscheinen; vor allen erkannten die Franzosen Peiresc und Spon die A. als selbständige Wissenschaft und förderten sie durch Reisen, Sammlungen und eifrigen Verkehr mit den gleichzeitigen Gelehrten. Zu einer Auffassung der A. als einer Geschichte der antiken Kunst gelangte indes erst Joh. Joach. Winckelmann (s. d.), der, herangebildet durch die Ästhetik seiner Zeit und die griechischen Dichter, seit seinem ersten Aufenthalt in Italien (1755) das Wesen der alten Kunst voll und richtig erkannte und in seiner "Geschichte der Kunst des Altertums" der Welt darlegte, wie er auch in seinen "Monumenti antichi inediti" eine neue Erklärung der Kunstwerke wenigstens anbahnte. Er erkannte den Maßstab der Eigentümlichkeit derselben in ihren Stilen und wies eine Aufeinanderfolge derselben nach; die Masse der römischen Orten entstammenden Antiken erwies er als Kopien und forschte nach den Originalen; den griechischen Mythus bezeichnete er als die der Poesie wie der bildenden Kunst gemeinsame Quelle. Durch glücklichen Zufall fielen in seine Zeit gerade die ersten Aufdeckungen von Herculaneum und Pompeji. Die von Winckelmann eingeschlagenen Bahnen wurden von Visconti und Zoega weiter verfolgt; Heyne und seine Schule brachten die neue Lehre vor das akademische Publikum, Böttiger und Millin traten als Popularisierer auf. Für die weitere Entwickelung der A. in diesem Jahrhundert sind vor allem wichtig die reichen Entdeckungen griechischer Originalskulpturen durch die Engländer, namentlich die Auffindung der Parthenongruppe durch Lord Elgin, die von Gottfr. Hermann und A. Böckh in verschiedener Weise geförderte Ausbildung der philologischen Kritik und Erklärung, die auch der A. feste Gesetze gab und von F. G. Welcker und O. Jahn mit dem feinsten Verständnis geübt wurde, endlich die 1829 unter dem Protektorat Preußens geschehene Gründung des Archäologischen Instituts (s. S. 769) in Rom. Letzteres sowie in fast allen europäischen Ländern zahlreich gegründete archäologische Gesellschaften (in Berlin 1841) bilden die belebenden Mittelpunkte für die Studien der heutigen Archäologen, welche meist auf das gemeinsame Ziel gerichtet sind, das allmähliche Werden, die Entfaltung, die Blüte, das Vergehen einer so wunderbar klassischen Schöpfung, wie es die alte Kunst ist, immer tiefer zu erfassen. Vgl. Brunn, Geschichte der griechischen Künstler (Stuttg. 1853-59, 2 Bde.), auf litterarischen Quellen beruhend; Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik (3. Aufl., Leipz. 1880, 2 Bde.); Derselbe, Griechische Kunstmythologie, nebst Atlas der griechischen Kunstmythologie (das. 1871 ff.); Welcker, Alte Denkmäler (Götting. 1849-64, 2 Bde.); O. Jahn, Aus der Altertumswissenschaft (Bonn 1868); Bötticher, Tektonik der Hellenen (2. Aufl., Berl. 1869); Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten (2. Aufl., Münch. 1878, 2 Bde.); Stark, Systematik und Geschichte der A. der Kunst (Leipz. 1880); "Denkmäler des klassischen Altertums", herausgegeben von Baumeister (lexikalisch, Münch. 1884 ff.).

Seit dem Beginn des 19. Jahrh. und unter dem Einfluß der Romantik im deutschen Geistesleben bildete sich auch eine christliche A. aus. Fr. Schlegel war der erste, welcher die Idee einer christlichen Kunst gegenüber der antiken aussprach und bei praktischen