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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bandwürmer

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Bandwürmer.

läßt; später entsteht auch die erste Anlage des Bandwurmkörpers in Form einer hohlen Röhre (Fig. 5). Gelegentlich stülpt sich wohl auch der Zapfen aus und gleicht dann vollständig einem Bandwurm mit ungegliedertem Körper und anhängender Schwanzblase (Fig. 6). Dieser Ähnlichkeit wegen hat man, ehe man den Zusammenhang kannte, die Finnen als verirrte B., die "wassersüchtig" geworden, betrachtet. Bei den meisten Arten bildet sich nur ein Bandwurmkopf (echte Finnen, Cysticercus), bisweilen aber, z. B. beim Drehwurm (s. unten), wachsen aus der einen Larve durch Knospung allmählich einige Hundert Köpfe hervor. Bei dem Hülsenwurm oder Echinokokkus (Fig. 7), welcher von der Taenia echinococcus des Hundes abstammt, bilden sich auf der Innenfläche des Blasenkörpers besondere Tochter- und Enkelblasen, und von diesen aus entwickeln sich allmählich zahlreiche Bandwurmköpfe (s. unten). Die Finnen stellen somit in der Entwickelungsgeschichte der B. eine besondere Stufe dar, sind gewissermaßen die Puppen derselben; als solche können sie auch einige Jahre hindurch unverändert am Leben bleiben und gehen, wenn ihr Wirt stirbt, mit ihm zu Grunde. Wird jedoch nicht allzulange nach ihrer Einwanderung das betreffende Organ von einem andern und zwar wiederum einem ganz bestimmten Tier gegessen, so entwickelt sich im Darm des letztern die Finne zum Bandwurm. Der Leib stülpt sich aus der Blase hervor, diese selbst wird durch den Verdauungsprozeß entfernt, und nun sprossen rasch hinter dem Kopf des jungen Wurms die Glieder. Hiermit ist der Kreislauf der Entwickelung geschlossen. Man hat also dabei die geschlechtlich erzeugten Larven und Finnen als die erste, die ungeschlechtlich gebildeten Glieder als die zweite Generation zu betrachten. Indessen gibt es B., welche zeitlebens ungegliedert bleiben (z. B. Caryophyllaeus), und noch andre (die Familie der Amphilinidae), welche auch durch ihre Gestalt an die Trematoden erinnern und früher zu ihnen gerechnet wurden. Somit darf man es als höchst wahrscheinlich betrachten, daß die B. von Haus aus Trematoden waren und sich erst durch ihr ausschließliches Schmarotzerleben im Innern andrer Tiere allmählich in ihrer Organisation vereinfacht haben. Ähnlich den Trematoden, machen sie ihre Jugendzustände in besondern Zwischenwirten ab, und nur die eigentümliche Form der Vermehrung mittels der Proglottiden scheint von ihnen selbständig erworben zu sein.

Die beim Menschen schmarotzenden B. verteilen sich auf zwei Familien. Zu der einen gehören mehrere Arten der Gattung Taenia, von welcher im ganzen über 200 Arten bekannt sind, zur zweiten der Bothriocephalus latus und B. cordatus. Diese B. wohnen sämtlich im Dünndarm. Außer ihnen beherbergt der Mensch noch einige "Blasenwürmer" aus der erstern Familie (darunter die gewöhnliche Finne, Cysticercus cellulosae). - Der gemeine Bandwurm (Taenia solium L.), im entwickelten Zustand 2-8 m lang, enthält bis zu 800 Glieder von 9-10 mm Länge und 6-7 mm Breite. Der kugelige Kopf (Fig. 1 a u. Fig. 8) hat die Größe eines Stecknadelkopfes, ziemlich stark vorspringende Saugnäpfe und einen doppelten Hakenkranz zum Festhalten in der Darmwandung; der fadenförmige, fast 2,5 cm lange Hals erscheint dem unbewaffneten Auge ungegliedert. Die reifen Glieder (etwa vom 650. an), welche nur selten für sich abgehen, sind den Kürbiskernen nicht unähnlich (Fig. 2 h); ihre Geschlechtsöffnung liegt hinter der Mitte. Der zugehörige Blasenwurm (Cysticercus cellulosae) bewohnt mit Vorliebe das Muskelfleisch des Schweins (Finne, Fig. 9), findet sich gelegentlich aber auch an andern Orten und in andern Tieren (Hund, Katze, Reh), auch im Menschen. Etwa 2½ Monate nach Einführung der Bandwurmembryonen in das Schwein ist die Entwickelung der Finnen abgeschlossen, und 3-3½ Monate nach Genuß von finnigem Schweinefleisch gehen beim Menschen die ersten reifen Bandwurmglieder ab. Dieser Bandwurm erreicht ein Alter von 10-12 Jahren und mehr. Man hat ihn überall in Europa, in Indien, Nordamerika und Algerien beobachtet und zwar am häufigsten bei Erwachsenen, besonders bei Frauen, Fleischern und Köchen, welche leicht durch rohes Fleisch infiziert werden können. Gewöhnlich kommt er einzeln vor, doch sind 2 und 3 bei demselben Individuum nicht selten, und man hat sogar 41 nebeneinander beobachtet. Der schwarze Bandwurm (Taenia saginata Götze, T. mediocanellata Küch.) wird 4 m lang und breiter und dicker als der vorige. Die Glieder werden 16-18 mm lang, 7-9 mm breit; der ansehnliche Kopf (Fig. 10) ist ohne Hakenkranz, mit flachem Scheitel und vier großen, äußerst kräftigen Saugnäpfen versehen; die Glieder erreichen etwa vom 750. an ihre Reife (Fig. 2 a), gehen dann häufig freiwillig ab und sind in der Regel eilos und zusammengeschrumpft. Dieser Bandwurm scheint nicht minder weit verbreitet zu sein als der vorige; der zu ihm gehörige Blasenwurm lebt aber in Rindern, und daher findet er sich z. B. sehr häufig in den Ländern oder den Orten, wo viel rohes Rindfleisch genossen wird. Er verursacht wegen seiner kräftigern Muskulatur und größern Beweglichkeit intensivere Beschwerden als der gemeine Bandwurm, ist auch viel schwerer abzutreiben, weil der Kopf sehr leicht abreißt und im Darm zurückbleibt. - ^[GEDANKENSTRICH!]

^[Abb.: Fig. 7. Hülsenwurm. 12/1.]

^[Abb.: Fig. 8. Kopf des gemeinen Bandwurms; vergrößert.]

^[Abb.: Fig. 9. Schweinefleisch mit Finnen; nat. Größe.]

^[Abb.: Fig. 10. Kopf des schwarzen Bandwurms; vergrößert.]