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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Beweis

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Beweis (im Zivilprozeß).

entweder als unwirksam gegen den Gegenbeweisführer oder als wieder erloschen darstellt. Was man indirekten Gegenbeweis nennt, ist daher in Wahrheit ein selbständiger, von einem Hauptbeweis völlig unabhängiger B. Er ist der B. der Einreden in Bezug auf den Klageangriff, B. der Dupliken in Bezug auf den Replikangriff etc. Der sogen. indirekte Gegenbeweis unterscheidet sich sonach von dem Hauptbeweis, dessen rechtliche Folgen er aufzuheben strebt, bloß dadurch, daß er in Bezug auf denselben einen Verteidigungsangriff zum Gegenstand hat und ebendeshalb nur eventuell für den Fall der Wirksamkeit des unmittelbar vorausgegangenen Angriffs notwendig ist. Hiervon abgesehen, ist er selbst ein wahrer Hauptbeweis, für den die über den Hauptbeweis aufgestellten Regeln analog gelten. Der B. ist ferner

2) in Bezug auf die Art des Beweisverfahrens und zwar a) nach der Art der Bewirkung der richterlichen Überzeugung ein natürlicher oder ein künstlicher, je nachdem der Beweisführer den Richter unmittelbar von der Wahrheit der streitigen Behauptung selbst oder zunächst von der einer andern zu überzeugen sucht, aus welcher sich die Wahrheit der erstern als Folgerung ergibt; b) nach der Zahl der gewählten Beweismittel ein einfacher oder ein zusammengesetzter, je nachdem ein und derselbe Thatbestand nur durch ein einziges oder durch mehrere Beweismittel, z. B. Zeugen und Urkunden, zugleich bewahrheitet wird; c) nach dem Gegenstand ein Haupt- oder ein Nebenbeweis, je nachdem er die Hauptsache selbst oder nur einen Nebenpunkt betrifft; d) nach der Zeit der Beweisführung entweder ein ordentlicher oder ein außerordentlicher, je nachdem er in der eigentlichen Beweisperiode oder früher geführt wird, wie dies bei dem B. zum ewigen Gedächtnis oder bei der Sicherung des Beweises (s. unten) der Fall ist. Endlich teilt man den B.

3) in Bezug auf das Ergebnis der Beweisführung in den vollständigen und unvollständigen (probatio plena et minus plena) ein. Er heißt vollständig, wenn er das Beweisthema als völlig juristisch wahr darstellt, im entgegengesetzten Fall aber unvollständig. Der unvollständige B. muß durch einen vom Richter aufzuerlegenden Parteieid ergänzt werden. Übrigens spricht man auch von einem unvollständigen B. dann, wenn es sich darum handelt, nicht die volle Gewißheit, sondern nur die Wahrscheinlichkeit einer Angabe darzuthun. Es sind dies die Fälle, in denen eine Bescheinigung (Glaubhaftmachung) genügt; so besonders bei einstweiligen Verfügungen.

Gegenstand des Beweises können nur bestrittene, ungewisse, erhebliche Thatsachen sein. Es muß sich also vor allem um eine thatsächliche Behauptung einer Partei handeln. Hieraus folgt, daß das im Land publizierte Gesetz, weil dasselbe vermöge der Publikation von jedem anerkannt werden und namentlich dem Richter bekannt sein muß (jura noscit curia); nicht Gegenstand der Beweisauflage sein kann. Dagegen können solche Rechtsnormen, welche nicht auf öffentlicher allgemeiner Bekanntmachung im Land beruhen, wie Gewohnheitsrecht, Privilegien, ausländische Gesetze und lokales Recht, als Beweisthema vorkommen. Die betreffende Thatsache muß ferner vom Gegenteil bestritten, verneint sein, denn sonst ist ein B. derselben nicht erforderlich, und sie muß zudem eine ungewisse sein. Deshalb bedarf insbesondere keines Beweises das Notorische, d. h. eine Thatsache, welche mit solcher Gewißheit bekannt ist, daß ein Wegleugnen derselben nur als Schikane betrachtet werden könnte. Nach den Umfang des Bereichs, in welchem diese Gewißheit vorausgesetzt wird, unterscheidet man die Volks- oder Ortskundigkeit, die Erfahrungskundigkeit und die Gerichtskundigkeit. Da das wirklich Notorische thatsächliche Wahrheit (Evidenz) ist, so kann es nicht mit Erfolg verneint und braucht daher auch nicht bewiesen zu werden. Dasselbe gilt von einem Vorbringen, welches sich auf eine Rechtsvermutung stützt, weil hier der zureichende Grund für die Gewißheit der Thatsache im Gesetz selbst liegt, sei es nun, daß das Gesetz den B. des Gegenteils zuläßt (Rechtsvermutung im eigentlichen Sinn, praesumtio juris) oder ausschließt (gesetzlich begründete Gewißheit, Fiktion, praesumtio juris et de jure). Die bloße Wahrscheinlichkeit einer Thatsache (praesumtio hominis) dagegen befreit vom B. nicht. Endlich sind auch unerhebliche, irrelevante Behauptungen, d. h. solche, welche keinen wesentlichen Einfluß auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben, vom B. ausgeschlossen. Was die Beweislast anbelangt, so bestimmt sich dieselbe im wesentlichen nach folgender Regel: Jede Partei hat ihre eigne, von der andern mit Nein oder Nichtwissen beantwortete Behauptung, worauf sie einen selbständigen Angriff oder Gegenangriff gründet, zu beweisen (ei incumbit probatio, qui dicit, non qui negat). Der Kläger hat also die Behauptung, worauf er die Klage, Replik etc., und der Beklagte die Behauptung, worauf er die Einrede, Duplik etc. stützt, zu beweisen. Wer also z. B. aus einem Kaufvertrag auf Zahlung des Kaufpreises klagt, hat den B. aller derjenigen Thatsachen zu erbringen, welche das Recht des Verkäufers auf Zahlung eines bestimmten Kaufpreises seitens des Käufers begründen, insofern der Käufer und nunmehrige Verklagte diese Thatsachen bestritten hat. Dabei ist aber zu beachten, daß die Fortdauer eines einmal entstandenen Rechts bis zum B. des Gegenteils vermutet wird; die gegnerische Behauptung, daß das Recht aufgehört habe, zu bestehen, ist eine wahre Einrede, daher des Beweises bedürftig. In der Beweislast liegt demnach die Verbindlichkeit, den thatsächlichen Grund des Angriffs oder des Gegenangriffs, d. h. das faktische Entstandensein des geltend gemachten Rechts, rechtsgenügend zu bewahrheiten. Wenn demnach der Gegner die Fortdauer des entstandenen Rechts in Abrede stellt, z. B. die Zahlung einer geklagten Schuld behauptet, so verneint er nicht bloß die gegenteilige Behauptung, sondern er behauptet eine neue Thatsache, durch welche das Recht in seiner Wirksamkeit suspendiert oder aufgehoben, also wirkungslos geworden ist, und macht also einen wahren Gegenangriff, welchen er zu beweisen hat.

Was das Beweisverfahren anbetrifft, so unterschied der frühere gemeinrechtliche Prozeß scharf zwischen dem vorbereitenden Schriftenwechsel und dem Beweisverfahren, welch letzteres wiederum in mehrere Abschnitte zerfiel. Nachdem im ersten Verfahren durch den Schriftenwechsel die thatsächlichen Streitpunkte festgestellt waren, erließ das Gericht ein förmliches Beweisurteil (Beweisbescheid, Beweisinterlokut), in welchem Beweislast, Beweissatz und Beweisfrist festgestellt wurden. Hieran schloß sich alsdann das Beweisverfahren. Nach dem Vorgang des französischen Rechts haben jedoch die neuern deutschen Prozeßordnungen und insbesondere die deutsche Zivilprozeßordnung vom 30. Jan. 1877 jene beiden Prozeßperioden verschmolzen. Im vorbereitenden Schriftenwechsel oder doch in der mündlichen Verhandlung und jedenfalls vor Schluß der