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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Beweis

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Beweis (im Zivilprozeß).

erstern kann, da sie auf empirischen Urteilen beruhen, auch keine andre als empirische Gewißheit (Erhebung des Bewiesenen zu einem unter Umständen so hoch, daß die Annahme des Gegenteils Wahnwitz wäre, sich steigernden Grad von Wahrscheinlichkeit), den letztern wird, insofern sie auf apriorischen Urteilen fußen, selbst apriorische Gewißheit (Erhebung des Bewiesenen zu apodiktischer Notwendigkeit) zukommen. In Bezug auf c) stehen den Beweisen ad omnes (sc. homines), welche für jedermann, der sich seiner gesunden Sinne und seines Verstandes bedienen will, die Beweise ad hominem (sc. singulum) gegenüber, welche nur für ein bestimmtes einzelnes oder eigengeartetes Individuum beweiskräftig sind. In Bezug auf d) endlich wird der direkte B., welcher das zu Beweisende als wahr, von dem indirekten oder apagogischen B. (s. Apagoge), welcher das Gegenteil desselben als falsch darthut (woraus dann die Wahrheit des zu Beweisenden von selbst erhellt), unterschieden. Jener ist progressiv, wenn er die Beweisgründe als wahr annimmt und daraus das zu Beweisende als unvermeidliche Folgerung ableitet; regressiv dagegen, wenn das zu Beweisende vorläufig als wahr vorausgesetzt und daraus auf die unvermeidlichen Bedingungen zurückgeschlossen wird, welche, wenn sie mit den anerkannten Beweisgründen zusammentreffen, die Wahrheit des von ihnen notwendig Bedingten erhärten. Die formelle Richtigkeit der Ableitung des zu Beweisenden aus den Beweisgründen vorausgesetzt, liegt die eigentliche Beweiskraft (nervus probandi, die Seele) in diesen. Kein Argument kann dem B. einen höhern Grad von überzeugender Kraft mitteilen, als es selbst besitzt; doch können verschiedene (Haupt- und Nebenargumente) ihm verschiedene Grade derselben einflößen. Dieselben machen zusammengenommen den Stoff (materia), ihre innere (logische, oft sehr verhüllte) Verbindung die Form, ihre äußere (rhetorische, oft sehr verhüllende) Einkleidung die Gestalt des Beweises aus. Letztere, obgleich sie oft mächtig zur Überredung desjenigen, dem der B. gilt (z. B. vor Gericht, im Parlament), beiträgt, darf nicht mehr zu dem eigentlichen B. (der "aus Gründen" argumentiert) gerechnet werden. Jene vermögen entweder durch Aufnahme falscher oder durch falsche Verknüpfung wahrer Beweisgründe oder durch beides mit oder ohne Absicht des Beweisführenden Fehler im B. herbeizuführen. Sind die Beweisgründe nicht an sich, sondern nur in Bezug auf das zu Beweisende ungehörig, so daß etwas andres als das Geforderte dargethan wird, so findet Unkenntnis der Thesis (ignoratio elenchi) statt; wird mehr oder weniger bewiesen, so ist in beiden Fällen das Ziel des Beweises verfehlt (qui nimium probat, nihil probat). Nimmt man das zu Beweisende (offen oder versteckt) als Beweisgrund an, so entsteht Kreisbeweis (circulus in demonstrando; petitio principii; idem per idem), das sogen. Hinterst-Zuvorderst (hysteron-proteron) dagegen, wenn der angewandte Beweisgrund schwieriger einzusehen oder zu beweisen ist als das durch ihn zu Beweisende selbst. Die unrichtige Verknüpfung heißt Sprung (saltus in demonstrando), wenn unentbehrliche Mittelglieder ausgelassen dagegen Fälschung des mittlern dritten (fallacia medii tertii), wenn falsche Mittelglieder eingeführt worden sind. Der unabsichtliche Fehler im B. macht diesen zum Scheinbeweis, der nicht beweist, was er soll; der absichtliche, aber möglichst verhüllte Fehler im B., um einen als falsch gekannten Satz andern als wahr erscheinen zu lassen, ist ein Trugbeweis, der beweist, was er nicht soll. Jener beruht auf logischem Fehl- (paralogismus), dieser auf vorsätzlichem Trugschluß (sophisma); s. Fehlschluß, Trugschluß.

Beweis im Zivilprozeß.

Im juristischen Sinn versteht man unter B. den Inbegriff der Gründe für die Wahrheit einer Behauptung. Doch wird der Ausdruck B. in verschiedenem Sinn gebraucht. Man versteht nämlich im Zivilprozeß darunter auch die Beweisführung, d. h. den Inbegriff der Parteihandlungen, welche dazu bestimmt sind, dem Richter die juristische Gewißheit bestrittener Thatsachen darzuthun. Aber auch das Ergebnis der Beweisführung sowie die Beweislast (onus probandi), d. h. die Verbindlichkeit zur Beweisführung, wird zuweilen als B. bezeichnet. Beweismittel dagegen nennt man alles dasjenige, was die beweispflichtige Partei gebraucht, um den Richter zu überzeugen, während das unmittelbare Resultat dieser Beweismittel unter der Bezeichnung Beweisgründe zusammengefaßt wird. Beweissatz (Beweisthema) endlich ist die präzisierte Thatsache, welche den Gegenstand der Beweisführung bildet. Was die Beweismittel im einzelnen anbelangt, so kann dem Richter die juristische Gewißheit einer bestrittenen Thatsache verschafft werden zunächst durch eigne Wahrnehmung, sei es sinnliche (Augenschein) oder intellektuelle bei dem sogen. künstlichen B. (s. unten). Der B. kann ferner erbracht werden durch die Wahrnehmung andrer, sei es der Parteien (nämlich entweder durch deren gerichtliches Geständnis oder durch deren Eid) oder dritter Personen (Zeugen, Sachverständiger) oder durch die in Urkunden niedergelegten Angaben der Parteien oder dritter Personen (vgl. die Artikel Augenschein, Eid, Geständnis, Sachverständiger, Urkunde und Zeuge).

Man unterscheidet folgende Arten des Beweises: 1) B. (probatio) und Gegenbeweis (reprobatio); den erstern nennt man im Gegensatz zum letztern Hauptbeweis. Der Gegenbeweis ist nur ein relativer Begriff, indem er bloß in Beziehung auf den B. (Hauptbeweis) und zwar als dessen Gegensatz gedacht werden kann. Wo es keinen Hauptbeweis, von dessen Erbringung der Sieg des Beweisführers abhängt, gibt, da kann auch von keinem Gegenbeweis die Rede sein, dessen Zweck immer das Gegenteil von dem Zweck des Hauptbeweises ist. Nach der Art der Erwirkung dieses Zweckes ist der Gegenbeweis entweder ein direkter (wahrer oder eigentlicher) oder ein indirekter (uneigentlicher). Der direkte Gegenbeweis will bloß das Gelingen des Hauptbeweises und dadurch den Sieg des Hauptbeweisführers verhindern, weshalb sein Thema das gerade Gegenteil des Beweisthemas ist. Er ist in Wahrheit ein Gegenbeweis, weil er direkt gegen den Hauptbeweis und dessen Thema gerichtet ist, und nur von diesem eigentlichen Gegenbeweis gilt der Rechtsgrundsatz: Reprobatio reprobationis non datur, d. h. gegen den Gegenbeweis ist ein weiterer Gegenbeweis nicht zulässig. Denn der Gegenbeweis gegen den Gegenbeweis könnte bloß wieder die Bewahrheitung des Hauptbeweissatzes bezwecken, wäre also nur ein wiederholter oder neuversuchter Hauptbeweis und sonach kein wahrer Gegenbeweis. Der indirekte Gegenbeweis greift dagegen den Hauptbeweis, dessen rechtliche Folgen er nur mittelbar zerstören will, unmittelbar gar nicht an, läßt denselben vielmehr ganz unangefochten, er sucht bloß die rechtliche Wirksamkeit desselben durch die Erweisung einer solchen Behauptung aufzuheben, welche das Recht selbst, das der Hauptbeweisführer durch leinen B. als thatsächlich bestehend begründete,