Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bismarck

982

Bismarck (Fürst).

minister Levin Friedrich v. B., geb. 1703, gest. 1774, und dessen Sohn, der Finanzminister August Wilhelm v. B., geb. 1750, gest. 1783) hervor. Bismarcks Vater Karl Wilhelm Ferdinand v. B. (geb. 13. Nov. 1771, gest. 1845) nahm als Rittmeister seine Entlassung aus der preußischen Armee, um seine Güter Schönhausen sowie Kniephof, Külz und Jarchelin in Pommern zu bewirtschaften; er vermählte sich 1806 mit Luise Wilhelmine Mencken, der Tochter des Kabinettsrats Mencken, einer schönen, geistig bedeutenden Frau (gest. 1839), welcher Ehe sechs Kinder entsprossen, von denen B. das vierte war, und von denen außer diesem nur noch ein älterer Bruder, Bernhard, Landrat in Naugard, und eine jüngere Schwester, Malwine, Gemahlin des Kammerherrn v. Arnim-Kröchelndorf, am Leben sind.

Otto v. B. besuchte zuerst 1821-27 die Plamannsche Erziehungsanstalt, 1827-30 das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium und 1830-32 das Graue Kloster in Berlin und bezog Ostern 1832 die Universität Göttingen, wo er drei Semester zwar das Studentenleben gründlich genoß und dem juristischen Fachstudium wenig Zeit widmete, aber doch mit lebhaftem Geist seine Kenntnisse und seine Anschauungen bereicherte. Nachdem er in Berlin eifrigen Privatstudien obgelegen, bestand er Ostern 1835 das Auskultatorexamen und arbeitete am Berliner Stadtgericht, bis er 1836 zur Verwaltung überging und nach Aachen versetzt wurde. Nachdem er das zweite juristische Examen gemacht, ward er 1837 als Referendar bei der Potsdamer Regierung beschäftigt und trat Ostern 1838 bei dem Gardejägerbataillon als Einjährig-Freiwilliger ein, ließ sich aber im Herbst zum 2. Jägerbataillon nach Greifswald versetzen, um zugleich in Eldena Landwirtschaft zu studieren. Denn da sich sein Vater nach dem Tode der Mutter (1. Jan. 1839) nach Schönhausen zurückzog, sollte er mit seinem Bruder Bernhard gemeinschaftlich die Verwaltung der etwas in Verfall geratenen und verschuldeten pommerschen Güter übernehmen. Als der Vater 22. Nov. 1845 starb, erhielt B. Kniephof und das durch den Verkauf der größern Hälfte sehr verkleinerte Gut Schönhausen, wo er fortan seinen Wohnsitz nahm und zum Deichhauptmann und zum Abgeordneten in den sächsischen Provinziallandtag gewählt wurde. In dieser letztern Eigenschaft ward er auch 1847 Mitglied des Vereinigten Landtags. Auch B. erkannte, daß Preußen den wichtigen Schritt, sich eine freiere politische Verfassung zu geben, thun müsse. Indes war bei ihm der altpreußische Patriotismus doch das vorherrschende Gefühl, und dem gab er 17. Mai bei seinem ersten Auftreten in einer parlamentarischen Versammlung entschiedenen Ausdruck, indem er gegen die liberale Behauptung, daß politische Freiheit das Ziel der Befreiungskriege 1813-1815 gewesen sei, Einspruch erhob und unter dem Murren der Versammelten nur die Befreiung von der Fremdherrschaft als Beweggrund des Volkes gelten lassen wollte. Auch bei andern Gelegenheiten trat er den landläufigen liberalen Ansichten und Forderungen mit keckem Übermut entgegen, indem er die unabhängige Stellung des Königtums und die Freiwilligkeit seiner Zugeständnisse wahrte, sich gegen die Zulassung von Juden zu öffentlichen Ämtern erklärte und dabei bekannte, daß er allerdings der von den Liberalen als finster und mittelalterlich bezeichneten Richtung angehöre, dem großen Haufen, der noch an Vorurteilen klebe. Den hierdurch erworbenen Ruf eines ultrakonservativen Junkers befestigte er noch durch sein Auftreten in der zweiten Session des Vereinigten Landtags im April 1848, wo er, die Niederlage des preußischen Königtums und der bisher herrschenden Stände beklagend, gegen die vom Landtag beschlossene Dankadresse stimmte, und durch manche Äußerungen seines Ingrimms gegen das damalige Treiben in Berlin, wie die, "daß die großen Städte als Herde der Revolutionen vom Erdboden vertilgt werden müßten". Er ward daher auch erst nach dem politischen Umschwung Ende 1848 in die Zweite Kammer gewählt, welche 1849 zusammentrat. Auch hier opponierte er sowohl den demokratischen als den nationaldeutschen Tendenzen. Die 1849 beschlossene Reichsverfassung ließ nach seiner Meinung der Monarchie zu geringe Macht; wenn es sich nicht selbst gefährden wollte, müßte Preußen den Deutschen befehlen, welches ihre Verfassung sein solle, und dazu sich erst durch Wiederherstellung eines starken Königtums, innerer Eintracht und kräftiger Wehrfähigkeit tüchtig machen, bis dahin aber mit Österreich in Gemeinschaft handeln. Er bekämpfte daher auch die Radowitzsche Unionspolitik im Erfurter Parlament und verteidigte 3. Dez. 1850 in der preußischen Zweiten Kammer sogar die Olmützer Übereinkunft. Die Bildung einer starken königstreuen Partei war sein Hauptziel, welches er auch durch Beteiligung an der "Kreuzzeitung" zu fördern bemüht war.

König Friedrich Wilhelm IV., der B. persönlich schätzte und seine politischen Verdienste würdigte, ernannte ihn im Mai 1851 zum Legationsrat bei der Bundestagsgesandtschaft in Frankfurt a. M. und 18. Aug. zum Bundestagsgesandten. Hier lernte B. die Kläglichkeit und Unverbesserlichkeit des Deutschen Bundes kennen, die kleinliche Engherzigkeit, die Eifersucht, die Angst und Feigheit der Mittel- und Kleinstaaten und die ränkevolle, hinterlistige Politik des Österreich, wie es Fürst Felix Schwarzenberg wiederhergestellt hatte, und erkannte, daß Preußen bei ihnen nie auf treue, aufrichtige Freundschaft rechnen könne, daß es seine deutschen Bundesgenossen aber auch nicht zu fürchten habe. In der That bewies die Achtung, die der junge, unerfahrene Diplomat sich selbst bei dem hochmütigen österreichischen Präsidialgesandten erzwang, daß Preußen eine ganz andre Stellung in Deutschland einnehmen könne, wenn es wolle, und B. faßte in Frankfurt zuerst den Gedanken eines Zollvereinsparlaments und der Wiederaufnahme von Preußens hegemonischen Bestrebungen. Im J. 1859 schien ihm der Augenblick gekommen, um Preußen von der Bevormundung Österreichs zu befreien und ihm eine gebietendere Stellung in Deutschland zu verschaffen. Er sprach es offen aus, daß Preußen Österreich nicht Vasallendienste leisten, nicht ihm den Krieg ohne Gegenleistung abnehmen solle. Indes das neue Ministerium Hohenzollern-Schleinitz wollte sich den Bundespflichten nicht ohne weiteres entziehen, und B. ward daher 5. März 1859 von Frankfurt abberufen und als Gesandter nach Petersburg versetzt. Der achtjährige Aufenthalt in der Bundeshauptstadt, der von vielen Reisen in das Ausland unterbrochen war, bezeichnete einen wichtigen Abschnitt in Bismarcks staatsmännischer Entwickelung.

In Petersburg blieb B. drei Jahre, erwarb sich durch sein offenes, sicheres Wesen die Gunst des Kaisers und der Gesellschaft, auch die Gortschakows, als dessen Schüler er sich, um dem eitlen Mann zu schmeicheln, bezeichnete. Während er seinen Amtsgeschäften, der Erziehung seiner Kinder und dem Vergnügen der Jagd seine Zeit und Kraft widmete, beobachtete er die Entwickelung der Dinge in Preußen und Deutschland mit scharfem Blick und überreichte 1861 in Baden-Baden dem König Wilhelm I. eine Denkschrift