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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Böhmen

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Böhmen (Geschichte: Mittelalter).

mal und tauchen dann später als Grundbestandteil der Bajuwaren oder Bayern auf. Die Sitze der Markomannen nahmen im 6. Jahrh. die slawischen Tschechen ein, welche unter der drückenden Herrschaft der Avaren standen, bis sie im Bund mit andern Slawenstämmen im Norden und Süden der Donau um 620 unter dem eingewanderten Franken Samo (den aber eine andre Quelle als karantanischen Slawen bezeichnet) sich erhoben und das Joch abschüttelten. Samos Slawenreich, dessen Schwerpunkt wahrscheinlich B. bildete, zerfiel aber nach seinem Tode. Die eigne Sage des tschecho-slawischen Stammes, der die andern slawischen Gauvölker Böhmens unterwarf, läßt darauf einen König Krok regieren, dessen Tochter die weise Libussa war, welche sich den Herrn von Staditz, Przemysl, zum Gemahl erwählte; letzterer gilt den Tschechen als Urheber ihrer ältesten Rechtssatzungen. Auch wird ihm oder der Libussa von der Sage die Gründung Prags zugeschrieben. Nach Libussas Tod soll der Böhmische Mägdekrieg (s. d.) stattgefunden haben. Die Nachkommen Przemysls, welche sich nach geschichtlichen Wahrscheinlichkeitsschlüssen aus Gaufürsten mit dem Sitz auf Vyssegrad ("hohe Burg"), dem Vorläufer Prags, zu Landesherzögen emporschwangen und die andern nationalen Gebietsherren und Geschlechtshäupter (Lechen) der eignen Macht unterwarfen, sind bis auf Borziwoj I. (s. unten) nur von der Sage überliefert. Obwohl B. mehrfach von fränkischen Heeren durchzogen und zinspflichtig gemacht ward, so gelang es doch Karl d. Gr. und seinen Nachfolgern nicht, ein festes Abhängigkeitsverhältnis des Landes zu stande zu bringen. Dagegen mußte B. dem großmährischen Herzog Swatopluk sich unterwerfen, nach dessen Tod 894 es dem deutschen König Arnulf huldigte. Das Christentum, welches schon seit einiger Zeit, besonders durch das Bistum Regensburg und später durch den Slawenapostel Methodius, im Land verbreitet worden war, gewann an Ansehen, als der Herzog Borziwoj, der Gemahl der heil. Ludmilla, sich taufen ließ (874?); sein Sohn Spitihniew I. schloß sich nach dem Zerfall des mährischen Reichs an das ostfränkische Reich an und war, wie sein Bruder und Nachfolger Wratislaw I., ein eifriger Freund des Christentums. Der Aufstand, welcher sowohl gegen die Regentschaft der Witwe Wratislaws, Drahomir, als auch gegen den Herzog Wenzel, Wratislaws ältern Sohn und Thronerben, und gegen das Christentum gerichtet war, hatte keine Folge, indem Wenzel seinen Thron und das Evangelium rettete. Wenzel mußte übrigens die Oberherrlichkeit des deutschen Königs Heinrich I., der 929 einen siegreichen Zug nach B. machte, anerkennen. Dieses tributäre und lehnsmäßige Abhängigkeitsverhältnis Böhmens wurde zwar wieder auf einige Zeit gelöst durch Boleslaw I., welcher nach der Ermordung seines Bruders Wenzel 935 den Thron bestieg. Doch mußte Boleslaw 950 dem König Otto I. aufs neue huldigen und unterstützte die Deutschen beim Kampf auf dem Lechfeld (955). Unter seinem Sohn, dem frommen Boleslaw II. (967-999), wurde diese Lehnsherrlichkeit nach neuen Streitigkeiten wieder befestigt und ein Bischofsitz in Prag errichtet (973), überdies die Herrschaft Böhmens nach Osten hin erweitert. Sein Sohn Boleslaw III. wurde bald von den Böhmen wegen seiner Grausamkeit vertrieben, worauf nach längern Wirren der Polenherzog Boleslaw Chrobry sich des Landes bemächtigte (1003). Doch wurde dieser durch König Heinrich II. 1004 wieder verdrängt und die Dynastie der Przemysliden wieder eingesetzt (welche Einsetzung in der in ihrer Echtheit stark angefochtenen "Königinhofer Handschrift" den Böhmen selbst beigelegt wird). Vor 1030 wurde auch Mähren mit B. vereinigt. Dies war das Verdienst Bretislaws I. (s. d.). Ihm (gest. 1055) wird die sogen. Senioratserbfolgeordnung Böhmens zugeschrieben, die, begründet im altslawischen Erbrecht, durch Gestaltung mährischer Teilfürstentümer neben dem böhmischen Großherzogtum eine Quelle äußerer Gefahren und innerer Wirren wurde. Wratislaw II. (1061-92) empfing von Heinrich IV., welchem er treue Dienste leistete, 1086 die Königskrone.

Sein Sohn Bretislaw II. (1092-1100) vertilgte die letzten Spuren des Heidentums und führte den lateinischen Ritus anstatt des bisher herrschenden slawischen ein. Nach längern blutigen Thronstreitigkeiten wurde erst durch Sobieslaw (1125-40) Ruhe und Ordnung im Land hergestellt und das Lehnsverhältnis des böhmischen Herzogtums zur deutschen Krone geregelt (1126). Sein Nachfolger Wladislaw II. (1140-74) wurde vom deutschen König Konrad II. auf den Thron zurückgeführt, nachdem er von den Böhmen vertrieben worden, und war dann ein treuer Anhänger der Hohenstaufen, weshalb ihm auch Friedrich I. 1158 aufs neue die Königswürde und zwar erblich erteilte. Nach längern innern Zwistigkeiten, die durch zehn Prätendenten des alten Herrscherhauses veranlaßt worden waren, bestieg Ottokar I. den Thron (1197-1230), welcher die von Kaiser Friedrich I. wieder abgeschaffte und von Friedrich II. ihm erneute Königswürde in seinem Haus erblich machte und die Primogeniturerbfolge einführte. Sein Sohn Wenzel I. (1230-1253) nahm seit 1240 gegen Deutschland eine schwankende Haltung ein und unterdrückte (1248-49) mit Mühe einen Aufstand seines Sohns Ottokar und der ihm verbündeten Barone. Unter letzterm, Ottokar II. (1253-78), erhob sich B. zu großer Macht, indem es ihm gelang, nach dem Aussterben der Babenberger das Herzogtum Österreich zu erwerben (1253), wozu nach seinem Sieg auf dem Marchfeld (1260) über die Ungarn auch Steiermark kam sowie 1269-70 Kärnten und Krain. Im Innern des Reichs war Ottokar sehr thätig für bessern Anbau des Landes, Gründung von Städten, Herbeiziehung von Kolonisten, besonders aus Deutschland, Verbesserung der Rechtspflege, Hebung des Verkehrs und der Industrie. Gegen die heidnischen Preußen machte er in Verbindung mit den Deutschrittern einen Kreuzzug (1254); die damals gegründete Stadt Königsberg bekam von ihm Namen und Wappen. Da er aber den 1273 zum deutschen König erwählten Rudolf von Habsburg nicht als Lehnsherrn anerkannte, wurde er von demselben mit Krieg überzogen und verlor, nachdem er in dem Wiener Frieden (1276) zur Abtretung der deutschen Alpenländer gezwungen worden, bei dem Versuch, das Verlorne wiederzugewinnen, 1278 in der Schlacht auf dem Marchfeld Thron und Leben. Unter seinem Sohn und Nachfolger Wenzel II. (1283-1305) wurde auch Polen mit B. vereinigt und Ungarn für kurze Zeit seinem Sohn Wenzel III. (als ungarischer König Ladislaus V.) verschafft; indessen erlosch mit diesem bald (1306) der Mannesstamm der Przemysliden.

Von 1306 bis 1310 währte die kurze Herrschaft des Habsburgers Rudolf (ältesten Sohns Albrechts I., s. d.), gest. 1307, und des Kärntner-Tiroler Herzogs Heinrich vom Haus der Görzer, Schwagers Wenzels III., zweier Wahlkönige, deren letztern die luxemburgische Partei verdrängte. Von 1310 bis 1437 regierte über