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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bolivia

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Bolivia (Geschichte).

Pezuela behauptete sich 1815 gegen abermalige Angriffe am La Plata und im Besitz Oberperus, und erst durch die Schlacht von Ayacucho und das Treffen von Tamasla im März 1825 ward hier die spanische Macht völlig gebrochen. Eine im Juli 1825 zu Chuguisaca zusammengetretene Versammlung proklamierte 6. Aug. die Unabhängigkeit des Landes. Die vier Provinzen Charcas oder Potosi, La Paz, Cochabamba und Santa Cruz traten zu einer eignen Repräsentativrepublik unter Bolivars Schutz zusammen, worauf der junge Freistaat 11. Aug. den Namen "B." annahm. Der Sitz der Regierung ward nach Chuquisaca gelegt. An die Spitze derselben ward, nachdem 25. Aug. 1826 ein neuer Kongreß die von Bolivar entworfene, die republikanische Freiheit beschränkende Konstitution, den Code Boliviano, angenommen hatte, der kolumbische General Sucre gestellt, der aber, zum lebenslänglichen Präsidenten gewählt, diese Würde nur für zwei Jahre annahm. Da die Verfassung nicht demokratisch genug war, so kam es bald zu Unruhen; 25. Dez. 1827 brach in La Paz ein großer Aufstand aus, und da wegen des Erdbebens in Lima (30. März 1828) keine Truppen gegen die Empörer gesandt werden konnten, so mußte Sucre, den man herrschsüchtiger Absichten beschuldigte, im April 1828 mit seinen kolumbischen Truppen B. verlassen. Ein 3. Aug. 1828 eröffneter neuer Kongreß zu Chuquisaca veränderte die Verfassung in wesentlichen Punkten und wählte den Großmarschall Santa Cruz zum Präsidenten, der aber vorerst die Wahl nicht annahm. Velasco, der inzwischen die Präsidentenwürde usurpiert hatte, ward von dem im Dezember wieder zusammengetretenen Kongreß ab- und General Blanco an seiner Stelle eingesetzt, der jedoch schon nach einigen Monaten (in der Neujahrsnacht von 1828 zu 1829) bei einem Aufstand ermordet ward. Hierauf wurde eine provisorische Regierung eingesetzt, welche die Präsidentenwürde nochmals Santa Cruz übertrug, der sie jetzt annahm und die Ruhe wiederherstellte. Er gab 1831 ein neues Gesetzbuch, Codigo Santa Cruz, ordnete die Finanzen, schloß einen Friedens- und Handelsvertrag mit Peru und stellte 1834 zur Beförderung der Landeskultur, der Industrie, der Wissenschaften und Künste den Einwanderern sehr günstige Bedingungen. Nach einigen Jahren ungestörter Ruhe und einer gedeihlichen Entwickelung suchte Santa Cruz eine Vereinigung Bolivias und Perus zu stande zu bringen; er rückte in Peru ein, besiegte den General Gamarra 8. Aug. 1835 bei Cuzco und eroberte bis Frühjahr 1836 ganz Peru, worauf er als Pazifikator von Peru zum Oberhaupt von Süd- und Nordperu ausgerufen wurde. Er gab nun den beiden Staaten eine Verfassung, nach welcher jeder Staat seine innern Angelegenheiten selbständig besorgen, der gesamte Bundesstaat aber einer Zentralregierung unterworfen sein sollte, die für zehn Jahre ihm selbst unter dem Namen eines Protektors übertragen ward. Dies gab aber Anlaß zu neuen Empörungen in beiden Staaten. In Peru erhob sich General Gamarra und brachte, von den eifersüchtigen Chilenen unterstützt, Santa Cruz in der Schlacht bei Yungay 20. Jan. 1839 eine Niederlage bei. In B. erklärte sich General Velasco gegen die Konföderation und wurde von dem am 16. Juni 1839 zu Chuquisaca versammelten Kongreß als provisorischer Präsident bis zur verfassungsmäßigen definitiven Wahl bestätigt, worauf Santa Cruz das Land verließ. Aber auch Velasco mußte bald dem einstimmig als Präsidenten anerkannten General Ballivian weichen. General Gamarra, der Präsident von Peru, suchte diese Zerwürfnisse in B. zu benutzen, um die Provinz La Paz loszureißen, rückte im Herbst 1841 in B. ein, besetzte La Paz, ward aber 18. Nov. auf der Pampa von Ingavi unweit Viacha aufs Haupt geschlagen und blieb auf dem Schlachtfeld. Ballivian drang nun in Peru ein, worauf 7. Juni 1842 zu Pasco unter Vermittelung und Garantie Chiles Friede auf Grund des Status quo ante bellum geschlossen ward. Ballivian blieb trotz aller Versuche des Generals Santa Cruz, in Peru zur Wiedererlangung seiner Würde eine Revolution zuwege zu bringen, Präsident bis 1847, worauf Velasco provisorisch wiedergewählt wurde.

Nach seinem Rücktritt 1848 kam es zu längern Streitigkeiten zwischen den alten und mehreren neuen Prätendenten um die Präsidentenwürde, bis zuletzt General Manuel Isidor Belzu sich behauptete, welcher nun wieder die Ordnung einigermaßen herstellte und sich die Hebung des Ackerbaues und der Industrie angelegen sein ließ. 1855 nötigte ihn indes eine Soldatenmeuterei zum Rücktritt, und sein eigner Schwiegersohn, der General Cordova, ward an seiner Stelle Präsident, mußte jedoch, weil es ihm an der nötigen Festigkeit und Entschiedenheit mangelte, schon im September 1857 dem Dr. José Maria Linare weichen. Dieser riß bald die ganze Regierungsgewalt an sich, unterdrückte alle Opposition und warf sich schließlich durch Dekret vom 31. März 1858 zum Diktator aus, konnte sich aber gegen die Verschwörungen und Aufstandsversuche der Nebenbuhler nicht behaupten und ward Anfang 1860 durch Cordova verdrängt. Dieser wurde schon in der Nacht vom 15. Jan. 1861 durch einen Aufstand in La Paz gestürzt, worauf der General José Maria de Acha zum Präsidenten erhoben wurde. Auch dieser hatte anfangs mit mancherlei Unruhen und Aufstandsversuchen zu kämpfen; als im Oktober 1861 der Befehlshaber von La Paz, Oberst Placido Yonez, von einer neuen Verschwörung Kunde erhielt, ließ er 106 angesehene Personen, darunter Cordova, ergreifen und erschießen. Diese Grausamkeit und die Wachsamkeit Achas sicherten für einige Zeit seine Herrschaft, und die Umgestaltung, welche er 1863 mit seinem Ministerium vornahm, verschaffte ihm allgemeineres Vertrauen. Er richtete sein Augenmerk vornehmlich auf Bolivias kommerzielle und industrielle Entwickelung und vollzog 2. Nov. 1862 einen bereits 13. Mai 1858 mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika geschlossenen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag. Auch mit Frankreich trat er 1863 in freundschaftliche Beziehungen. Schwieriger ward ihm die Beilegung eines zwischen Chile und B. entstandenen Streits über den Besitz eines am Stillen Meer gelegenen Landstrichs, Mejillones genannt, der unfern des Hafens Cobija anfängt und wegen seiner Salpeterbergwerke und Guanolager wichtig ist. Auf dem Kongreß der südamerikanischen Republiken zu Lima im November 1864 riet Acha von allen Beschlüssen ab, die den europäischen Mächten als eine Drohung oder Herausforderung erscheinen könnten, und wirkte dahin, daß der projektierte südamerikanische Bund sich auf Handels- und Verkehrserleichterungen beschränkte.

Bei dem Streit zwischen Spanien und Peru wegen der Chinchainseln schloß sich B. an Peru an. Die kluge und gemäßigte Regierung Achas hatte indessen den Geist der Anarchie doch nicht unterdrücken können. Am 28. Dez. 1864 erhob sich gegen ihn zu Cochabamba der General Mariano Melgarejo, welcher, nachdem er im Februar 1865 die letzten Truppen Achas bei Ocaza in der Nähe von Potosi geschlagen hatte, fast in ganz B. als Präsident anerkannt wurde. Derselbe wußte wie-^[folgende Seite]