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Brief (das Briefschreiben sonst und jetzt; Geschichte der Brieflitteratur).
"Ilias" ergibt sich, daß zu Homers Zeiten, also 800 Jahre v. Chr., bei den Griechen ein B. aus Wachstäfelchen bestand, in welche die Schrift mittels Griffels eingeritzt wurde. Die Täfelchen, aus Holz, Erz oder in späterer Zeit aus Elfenbein bestehend, waren auf den beiden innern Seiten mit Wachs bestrichen und wurden übereinander gelegt, so daß die Schrift vor Verletzung bewahrt war. In dem Berliner Postmuseum sind mehrere dieser Täfelchen (bei den Griechen pinakes und deltoi, bei den Römern pugillares, codicilli oder tabelae genannt) aufbewahrt. Der Verschluß der Täfelchen wurde in der Weise hergestellt, daß man eine Schnur umlegte, diese schürzte und den geschürzten Knoten mit kretischer Siegelerde befestigte, deren Cicero in der Rede pro Flacco ausdrücklich als Briefverschlußmittel erwähnt. Die Schreibgriffel, mit denen man die Buchstaben ritzte, waren von Eisen; später findet man zierlich gearbeitete Bronzegriffel, deren Kopf dazu diente, das Wachs der Täfelchen bei dem Verbessern und Auswischen von Buchstaben besser zu glätten. Als die Berührungen der ägyptischen mit der griechischen und römischen Kultur immer zahlreicher wurden, kam auch der Papyrus ins Ausland und ersetzte die frühern unvollkommnern Briefformen. Im 3. Jahrh. n. Chr. tauchte das Pergament als Schreibstoff auf, und seit 1340 wurde in Europa das jetzige Lumpenpapier zum Briefschreiben verwendet. Von dieser Zeit ab nähert sich die äußere Form der Briefe immer mehr der uns bekannten modernen Form. Während man früher zum Verschließen der Briefe Wachs benutzte, in welchem Siegelringe abgedruckt wurden, kam im 15. Jahrh. Siegellack aus China nach Europa, und das erste Siegel aus Lack findet sich an einem Schreiben aus London von 1554. Im J. 1624 kamen in Speier die Oblaten auf. Seit 1820 benutzt man zum Einlegen der Briefe den Umschlag, das von Brewer in England erfundene Kouvert. Stephan fügte den alten Briefarten als neueste, aus dem Prinzip der Vereinfachung beruhende Briefform die Postkarte hinzu, welche unter den Kulturvölkern binnen kurzem so heimisch geworden ist, daß allein in Europa jetzt alljährlich 800 Mill. Postkarten Verwendung finden. Im J. 1880 kamen auf den Kopf der Bevölkerung in Großbritannien 35,5, in der Schweiz 22, in den Vereinigten Staaten 19, in Deutschland 16,5, in den Niederlanden 15, in Frankreich 13,1, Belgien 12,6, Dänemark 11,1, Luxemburg 11,1, Österreich 9,5, Italien 6,5, Schweden 6,3, Spanien 4,8, Ungarn 4,7, Griechenland 1,8, Rußland 1,2, Türkei 0,3 Briefe.
Das Stilistisch-Formelle des Briefs war bei Griechen und Römern gleich. Bei beiden setzte der Schreiber des Briefs seinen Namen nicht unter den B., sondern in die Überschrift und zwar vor den des Empfängers, z. B. Cicero Attico ("Cicero an Atticus"). Die Griechen fügten der Unterschrift meist einen Glückwunsch etc. bei, die Römer dem Namen des Schreibenden und des Empfängers die Angabe der Würde und des Amtes, z. B.: Cicero consul M. Coelio aedili curuli, oder ebenfalls ein Zeichen der Vertraulichkeit, Freundschaft oder Gewogenheit, z. B.: Caius Sempronio suo, humanissimo, optimo, dulcissimo, animae suae etc., oder die Begrüßungsformel: Salutem plurimam dicit (abgekürzt S. P. D., "sagt schönsten Gruß"), oder Salutem dicit (abgekürzt S. D.), oder auch bloß Salutem (S.). Der Eingang des Briefs lautete bei den Römern gewöhnlich: "Si vales, bene est (oder gaudeo), ego valeo" (abgekürzt S. V. B. E., oder G., E. V.), eine Formel, die in Deutschland in den untern Klassen noch weit verbreitet ist: "Wenn du gesund bist, soll es mich freuen, ich bin gesund". Der Schluß lautete bei den Römern: Vale, oder Ave, oder Salve, oder Cura, ut valeas etc. ("lebe wohl, sei gegrüßt, bleibe gesund"). Bisweilen bemerkte man auch das Datum im B. Seit der Kaiserzeit und besonders am byzantinischen Hofe verließ man allmählich die alte Einfachheit des klassischen Briefs und näherte sich zunächst in Staatsschreiben, Berichten u. dgl. und endlich auch in der Privatmitteilung der Umständlichkeit des neuern Briefstils. Sklaven und Freigelassene besorgten die Abfassung der Briefe und erhielten daher (a manu) den Namen Amanuensis.
Geschichte der Brieflitteratur.
Die Brieflitteratur der abendländischen Völker hat sich, insbesondere seit im Mittelalter kirchlicher und sonst amtlicher Verkehr die Korrespondenz wieder erweckt hatten, zu einem Umfang und Reichtum entwickelt, der nicht nur noch der Sichtung und Ordnung harrt, sondern auch noch lange nicht zu Tage gefördert ist, insofern viele für Staaten-, Litteratur- und Kulturgeschichte äußerst wichtige Dokumente noch in Archiven und Handschriftensammlungen der Bibliotheken verborgen liegen. In der griechischen Litteratur unterscheidet man Briefe aus der alten und neuern Zeit, echte und unechte. In den Schulen der griechischen Rhetoren wurden der Übung wegen zahlreiche Briefe abgefaßt, die man geschichtlichen Personen der Vergangenheit unterschob, und solche Übungs- oder Musterstücke sind fast alle früher der griechischen Blütezeit zugeschriebenen Briefe, die auf die Neuzeit herabgekommen sind, nur etwa mit Ausnahme einiger dem Redner Isokrates und dem Philosophen Epikur zugeschriebener Briefe. Solche Fälschungen sind z. B. die angeblichen Briefe des Pythagoras und seiner Anhänger; des Sokrates, seiner Freunde, Schüler und Nachfolger; die Briefe der Pythagoreischen Theano, des Platonikers Chion aus Heraklea, des Themistokles und besonders die durch die kritischen Behandlungen, zu denen sie Anlaß gegeben haben, merkwürdig gewordenen Briefe des Phalaris (vgl. Westermann, De epistolarum scriptoribus graecis, Leipz. 1851-58, 9 Tle.). Sammlungen griechischer Briefe von allerlei Verfassern besorgten: Ald. Manutius (Vened. 1499, 2 Bde.; lat. von Cujacius, Genf 1606), Joach. Camerarius (Tübing. 1540) und Eilh. Lubinus (Heidelb. 1601, 1605). Die neuern griechischen Briefe, aus dem 2. und den folgenden Jahrhunderten nach Christo, rühren zum Teil von den hervorragendsten Schriftstellern einer der Briefform sehr zugeneigten Litteraturperiode her und sind für die Kultur- und Litteraturgeschichte von großer Bedeutung. Unter ihnen sind die von Alkiphron besonders interessant als Sittenschilderungen, dagegen die von Libanios, Julian dem Apostaten und Fronto der darin enthaltenen geschichtlichen Daten wegen wichtig. Eine vollständige kritische Ausgabe der griechischen Briefschreiber (Epistolographen) gab R. Hercher heraus ("Epistolographi graeci", Par. 1873). Die römische Litteratur nennt nur wenige Epistolographen, die aber von desto größerer Bedeutung sind, indem ihre zahlreichen Briefe die Geschichte, Politik, Philosophie und Moral ihrer Zeit in das hellste Licht gesetzt und die Nachwelt nicht nur mit den trefflichsten Mustern der Briefschreibekunst beschenkt, sondern auch mit edlen Persönlichkeiten bekannt gemacht haben. Die große Trias besteht aus Cicero, Plinius und Seneca. Unter dem Einfluß der gesunkenen Zeit leidend erscheinen schon Magnus Ausonius, Symmachus und Sidonius Apollinaris. Im Mittelalter bediente man sich zu brieflichen Mit-^[folgende Seite]