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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Buchdruckerkunst

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Buchdruckerkunst (Gutenberg).

Betracht zieht) zu Haarlem ein Mann, Namens Lourens Janszoon, nach seinem Stand als Küster zubenannt Coster, gelebt, der einstmals während eines Spaziergangs in dem vor der Stadt gelegenen Gehölz zum Zeitvertreib Buchstaben aus Buchenrinde verkehrt ausgeschnitten, sie zu Worten zusammengefügt und dann mit Tinte abgedruckt habe als Spielzeug für die Kinder seines Schwiegersohns Thomas Pieterzoon. Die gewöhnliche leichtflüssige Tinte der Schreiber aber habe sich für den Druck ungeeignet erwiesen, und es sei ihm mit Hilfe dieses Schwiegersohns gelungen, eine bessere und dickere Farbe hierfür zu erfinden, woraus er den in Holz geschnittenen Bildern die Erklärung beigefügt habe mit Hilfe seiner Lettern, beide, Bild und Erklärung, dann abdruckend. Diese ersten Bücher seien nur auf einer Seite bedruckt, die unbedruckten Seiten aber zusammengeklebt gewesen; eins davon, in der Volkssprache abgefaßt, sei der "Spieghel onzer behoudenis" (die holländische Ausgabe des "Speculum salutis"). Nach und nach sei der Erfinder Coster von Buchenholztypen zu bleiernen und von diesen zu zinnernen übergegangen, der größern Dauerhaftigkeit des Materials halber. Die neue Kunst habe den verdienten Beifall im Volk, die gedruckten Bücher viele Käufer gefunden und hiermit dem Erfinder Wohlstand zugeführt; Coster aber habe infolgedessen die Zahl seiner Arbeiter und Gehilfen vermehren müssen, unter denen sich sodann auch ein gewisser Johannes (auch ein Faustus wird in unklarer Weise genannt) befunden habe. Dieser habe sich als ein sehr ungetreuer Knecht erwiesen, denn sobald er hinreichend unterrichtet war im Typenguß und Satz, und was sonst zur Kunst gehörte, ergriff er die erste günstige Gelegenheit, und hierzu schien ihm die heilige Christnacht am geeignetsten, als alle andern dem Gottesdienst beiwohnten, um sich in das Arbeitszimmer zu schleichen, Typen und Werkzeug zusammenzupacken und schleunigst zu fliehen. Er ging erst nach Amsterdam, dann nach Köln und schließlich nach Mainz, wo er sich so sicher fühlte, daß er selbst eine Druckerei eröffnete, die ihm schon in der kurzen Zeit eines Jahrs reichliche Einnahmen brachte. Es war dies um 1442, wo er bereits das Doktrinal des Alexander Gallus mit denselben Typen gedruckt und veröffentlicht haben soll, deren sich Coster in Haarlem bedient hatte.

Jedem, welcher mit dem Wesen der B. bekannt ist, muß es unbegreiflich erscheinen, wie ein solches der Fust-Schöfferschen Verbesserungsgeschichte der B. nachgebildetes Märchen nicht nur Glauben, sondern auch gläubige Verteidiger Jahrhunderte hindurch hat finden können. Ein Zusammentreffen von mancherlei Umständen führte zu diesem Resultat. Die leichtfertige Fälschung des Junius fand Boden in dem Nationalitätsgefühl der Holländer; ihre nächsten und eifrigsten Verbreiter aber waren Gelehrte, die wohl oberflächliche Begriffe haben mochten von den Hantierungen der Buchdrucker, keineswegs aber von den Grundbedingungen, auf welche hin allein die Herstellung eines Schriftsatzes und sein nachmaliger Abdruck möglich sind; andernfalls würden sie wohl schwerlich für Typen aus Buchenrinde oder Buchenholz eingetreten seien. Manche von ihnen, welche die Schwächen der Juniusschen Fabel empfanden, haben durch eignes Hinzuthun diese zu ergänzen gesucht. Der Kampf für und gegen Coster ist zum Teil mit großer Erbitterung geführt worden; entscheidend trat aber erst van der Linde gegen die Haarlemer Ansprüche 1869 im "Nederlandschen Spectator" in einer Reihe von Aufsätzen auf, die er dann in verbesserter und erweiterter Form 1870 unter dem Titel: "Die Haarlemsche Coster-Legende" erscheinen ließ, an welche sich 1878 sein Hauptwerk: "Gutenberg, Geschichte und Erdichtung" (Stuttg.), geschlossen hat. Speziell Haarlem betreffend, weist derselbe nach, daß das erste daselbst gedruckte Buch, welches diese Stadt als Druckort und als Druckjahr 1485 trägt, "Dat leiden Jesu" war, der Drucker aber sich Jacob Bellaert von Zierikzee nannte. Die 32 Holzschnitte, welche das Werkchen enthielt, waren indes schon ein Jahr vorher von Gerard Leeu zu Gouda zum Druck desselben Buches benutzt worden; ja, 1473 druckte bereits zu Aalst in Flandern Dierik Martens und zu Utrecht Nicolaus Kettelaer und Gerhard de Leempt; Haarlem hat mithin nicht einmal das Recht auf den Anspruch, daß es die erste Stadt in Holland gewesen sei, welche historisch nachweisbar eine Druckerei besessen habe. Das Zeugnis eines Buchbinders, Cornelis, zu gunsten Costers besteht nicht vor der historischen Kritik, ebensowenig wie der im Museum zu Haarlem aufbewahrte Stammbaum eines gewissen Gerrit Thomaszoon, der ein Nachkomme Costers von mütterlicher Seite, seinem Beruf nach aber ein Gastwirt zu Haarlem gewesen sein soll. Genaue Nachforschungen in den Haarlemer Stadtarchiven und Kirchenregistern über die Person Costers haben nur dargethan, daß um 1446 ein Mann dieses Namens zu Haarlem gelebt hat, der einen Verkaufsladen für Salz, Lichte, Öl, Seife etc. hielt, 1456 aber eine Gastwirtschaft begann und diese bis 1483 betrieb, worauf er von Haarlem wegzog, unermittelt wohin. Von dem Lourens Janszoon Coster, welchem als Erfinder der B. zu Ehren man in Haarlem ein 1856 enthülltes Monument errichtet hat, ist nicht die leiseste historische Spur aufgefunden worden.

Gutenberg der Erfinder.

Vermögen somit die hier erörterten Ansprüche nicht zu bestehen vor der prüfenden Geschichtsforschung, so wohnt ihnen allen gemeinsam ein Moment inne, dessen Beachtung uns ganz von selbst auf den wahren Erfinder, auf Gutenberg, verweist. Wann Gutenberg und wie er seine Erfindung begonnen, läßt sich freilich ebensowenig mit Bestimmtheit aus ihnen erkennen, wie wir dies aus den ihn selbst betreffenden historischen Nachrichten vermögen.

Johannes Gensfleisch, nach seiner Mutter genannt zu Gudenberg, hatte vermutlich mit seinen Eltern Anfang der 20er Jahre des 15. Jahrh. seine Vaterstadt Mainz der daselbst zwischen Adligen und Bürgern ausgebrochenen Unruhen halber verlassen müssen, hatte auch nicht Gebrauch gemacht von einer 1430 gewährten Amnestie, sondern war in Straßburg verblieben, wie mit Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werden darf. Bestimmtheit über seinen Aufenthalt daselbst erhalten wir erst durch die von ihm 1434 veranlaßte Inhaftnahme des zufällig in Straßburg weilenden Mainzer Stadtschreibers; sie erfolgte einer ansehnlichen Zinsschuld halber, welche der Magistrat von Mainz an Gudenberg oder Gutenberg, wie die neuhochdeutsche Schreibart lautet, zu zahlen sich weigerte; als die Mainzer Behörde indes Zahlung versprach, ließ Gutenberg sofort den Stadtschreiber in Freiheit setzen. 1439 wurde ein größerer Prozeß verhandelt, gegen ihn angestrengt von den Erben eines Andreas Dritzehn, mit welchem er, wahrscheinlich um 1435, einen Kontrakt abgeschlossen hatte, um ihm und Andreas Heilmann das Steineschleifen zu lehren, und da Gutenberg 1437 auch mit einem Hans Riffe zum Betrieb des Spiegelmachens für die Heiltumsfahrt nach Aachen in Geschäftsverbindung