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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Buchhandel

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Buchhandel (im 15. und 16. Jahrhundert).

Buchhändler den Drucker mit einem Auftrag versah, so sagte man ebenfalls, daß er den Drucker "verlegt" habe, sein "Verleger" sei. Im 15. und auch im 16. Jahrh. wird oft auf den Drucken nur der Drucker genannt, während der wirkliche Verleger völlig verschwiegen wird. Der Drucker behielt neben seinem Druckerlohn den Zuschuß, den er in seinem eignen Nutzen verwertete, die Quelle vieler Mißbräuche. Auf eigne Rechnung hergestellte Bücher suchten die Drucker entweder einzeln zu verwerten, oder sie boten sie in Partien oder in ganzen Auflagen den Buchführern zum Ankauf an. In gefährlichen Zeiten, wenn es sich um Schriften handelte, deren Beanstandung vorauszusetzen war, ließ man auswärts und unter falscher Firma drucken, von Leipzig aus z. B. in Wittenberg, Eilenburg etc. Die eigentlichen Vertreiber der Litteratur waren die Buchführer, die bedeutendsten derselben zugleich Verleger. Solche waren die Koburger in Nürnberg (1472-1540), welche durch ihren großartigen Geschäftsbetrieb Nürnberg gewissermaßen zum Zentralpunkt des Buchhandels machten. Neben ihrem sehr bedeutenden Verlag und eigner Druckerei (außerdem ließen sie auch auswärts drucken) hatten sie auch ein großes Sortimentsgeschäft, vermittelst dessen sie besonders den italienischen Klassikerverlag vertrieben. Anton Koburger hatte in Paris zwei Niederlagen, in Lyon eine für den italienischen und spanischen Verkehr, dann solche in Wien, Ofen, Krakau, Breslau. Sein Verkehr durch Reisende, durch Vermittelung von Geistlichen und Privatleuten erstreckte sich auch auf Polen, Norddeutschland etc. Franz Birckmann in Köln und Antwerpen (ca. 1510-50) hatte Geschäftsverkehr mit England, Süddeutschland, der Schweiz, Paris. Von Leipzig aus, wo Buchführer seit 1489 nachzuweisen sind, bestanden schon in den 90er Jahren des 15. Jahrh. weitreichende Verbindungen nach Magdeburg, Prag, im Anfang des 16. Jahrh. nach Danzig, über Breslau nach Polen, Ungarn, Siebenbürgen.

Wie schon die Handschriftenhändler, besuchten auch die Buchhändler im Interesse ihres Absatzes die Messen und Jahrmärkte, welche sämtlich einen gewissermaßen bestimmten, nach Ländern und Landschaften abgegrenzten Kundenkreis boten. So bezogen die Leipziger Buchhändler die Messen und Märkte zu Breslau und zu Posen schon im Anfang des 16. Jahrh., besonders aber die Peter-Paulsmesse des benachbarten Naumburg; die Breslauer waren regelmäßige Besucher der Neißer Märkte. Die wichtigsten waren die Messen zu Frankfurt a. M., seit den 70er Jahren des 15. Jahrh., welche sich zu einem Weltbüchermarkt entwickelten. Dorthin kamen die Buchhändler aus den wichtigsten Ländern: Italien, Frankreich, Niederlande etc. Mehr für den deutschen und östlichen Büchermarkt waren die Leipziger Messen, deren Bezug seit 1493 sicher nachweisbar ist. Auf den Messen legten die Buchhändler ihre Waren aus, oder sie schlugen die Titelblätter oder Verzeichnisse ihrer Vorräte an. Sensationelle Neuigkeiten wurden in den Straßen ausgerufen, und dem Vertrieb kleinerer Schriften widmeten sich Massen von Männern, Weibern und Kindern. Hierhin kamen die Gelehrten, um für sich und ihre Freunde Einkäufe zu machen, Buchhändler, um ihre Vorräte zu ergänzen und zu erneuern. Nebenbei pflegten die Buchhändler gelegentlich ihrer Geschäftsreisen Briefe, Zahlungen und sonstige Geschäfte der Gelehrten zu besorgen, besonders aber vermittelten sie bedeutende Papierlieferungen von Süd- nach Norddeutschland und weiter. Verkauft wurde in der frühsten Zeit an Händler und Private unterschiedslos zu gleichen Preisen. Nur in einzelnen Fällen gaben große Verleger den bedeutendsten Buchführern einen Rabatt von ihren Bezügen. Ein Ladenpreis war unbekannt, und der Buchhändler suchte seine Ware später so vorteilhaft wie möglich zu verwerten. Aber das war immer nur ein kleiner Teil der Bücherkäufer, die sich besonders in der Reformationszeit gewaltig vermehrten. Hier trat als wichtigster Vermittler des Absatzes die Kolportage, der Wander- und Hausierverkehr, ein, die besonders für populäre Artikel die größten Erfolge erzielte. Alles reiste: Briefmaler, Kartenmacher, Briefdrucker (Briefe, litterae, gleich Flugschriften) durchzogen als "Briefträger" und "Kunstträger" das Land, besonders die Nürnberger. Sogar selbstverlegende Gelehrte gingen mit ihren Büchern selbst und durch ihre Angehörigen hausieren. Nach dem Bar- kam das Changegeschäft auf den Messen. Der geschäftliche Vorteil, den ein möglichst vielseitiges Lager gewährte, führte schon im 15. Jahrh. dazu, daß die Verleger ihre Artikel gegenseitig austauschten. Dieses "Stechen" oder "Changieren" geschah meist "nach der Ballenschnur", d. h. ballen- oder riesweise, bei Kleinkram wohl ausnahmslos. Wurde hier anfangs Gleichschätzung vorausgesetzt, so änderte sich das, als die Niederländer für ihren wertvollern Verlag später das drei- bis fünffache Quantum des deutschen Verlags beanspruchten und auch erhielten. Natürlich konnten nur solche Buchhändler changieren, die selbst Verlag auf die Messe brachten; die reinen Buchführer mußten bar kaufen, wie auch dem reinen Verleger mit Tausch nicht gedient sein konnte. Übrigens wurden, obgleich der B. nie zünftig gewesen ist, gewisse Schranken mit großer Eifersucht eingehalten. Auswärtige Buchhändler durften nie in fremde Kreise eindringen, in den Meßplätzen nur während der Messe offene Läden halten; Buchdrucker durften nur mit selbstgedruckten Artikeln, Bücherkrämer oder Antiquare nur mit alten und gebundenen Büchern, Dissertationenhändler nur mit Kleinlitteratur und Büchern von nicht mehr als zwölf Bogen Umfang handeln (in Paris durften schon die unvereideten Handschriftenhändler kein Buch verkaufen, das mehr als 10 Sous wert war). Nur die Buchbinder ließen sich trotz langer Kämpfe den Handel mit Kalendern, Schul- und Erbauungsbüchern nicht entreißen. Diejenigen kleinen Bücherhändler, für welche sich der Meßbesuch nicht lohnte, bezogen ihren Bedarf von Großsortimenten, deren es verschiedene gab. Der bedeutendste dieser Buchführer, welche ein möglichst vielseitiges Lager behufs Weiterverkaufs an andre anlegten, war Georg Willer in Augsburg. Er hatte neben seinem Hauptgeschäft noch ein Lager in Wien und einen Agenten (Kommissionär, institor) in Tübingen. Er war der erste, welcher (Herbst 1564) einen gedruckten Katalog der von ihm von der Messe gebrachten Artikel ausgab; hieraus entwickelte sich einerseits der Meßkatalog, anderseits die Sitte der Buchführer, Kataloge über ihr Lager zu drucken, in welche gelegentlich auch der Bestand angekaufter Bibliotheken aufgenommen wurde, und in ihre Kundenkreise zu verbreiten.

Die Blüte des Frankfurter Weltbüchermarktes dauerte kaum ein Jahrhundert. War der B. jener Zeit nach außen gewissermaßen kosmopolitisch, in seiner innern Gliederung universell gewesen, so konnten doch diese ursprünglichen Zustände auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden, als die Nationallitteraturen der einzelnen Länder ihre Selbständigkeit gegenüber dem früher allgemein herrschenden Latein errungen hatten und in den einzelnen Ländern nach