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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bundesrat

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Bundesrat (Zusammensetzung, Rechte des Bundesrats).

Bundestagsgesandte den Titel "Präsidialgesandter" führte. Die damit verbundenen Rechte waren jedoch keine eigentlichen politischen, sondern nur Ehrenrechte, wie namentlich das Recht des Vorsitzes in der Bundesversammlung und das Recht einer entscheidenden Stimme im engern Rat bei etwaniger Stimmengleichheit.

Bundesrat, im Deutschen Reich das Kollegium der Vertreter der Bundesregierungen. Wie im vormaligen Norddeutschen Bund, so setzt sich auch im nunmehrigen Deutschen Reich diese Körperschaft aus den hierzu beauftragten Bevollmächtigten derjenigen Einzelstaaten zusammen, welche den deutschen Gesamtstaat bilden. Die Souveränität der verbündeten Regierungen soll nach einem Ausspruch des Fürsten Bismarck in dem B. ihren unbestritten Ausdruck finden. Darum sind es instruierte Vertreter der einzelnen Regierungen, welche in diesem Kollegium die letztern vertreten, im Gegensatz zum Reichstag, in welchem die Volksvertreter das Volk in seiner Gesamtheit vertreten sollen, ohne an Aufträge und Instruktionen ihrer Wähler irgendwie gebunden zu sein. Der B. ist nach Gerbers Definition "das Zentralorgan, in welchem jeder einzelne Bundesstaat als solcher nach einem seinen Staatskräfte entsprechenden Stimmenmaß für die Zwecke des Bundes zur Mitwirkung gelangt".

Zusammensetzung des Bundesrats.

Nach der Reichsverfassung (Art. 6 ff.) verteilt sich die Stimmenführung unter den Vertretern der Bundesregierungen in der Weise, daß Preußen mit den ehemaligen Stimmen, welche Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt a. M. zur Zeit des vormaligen Deutschen Bundes in der damaligen Bundesversammlung führten, im ganzen 17 Stimmen abzugeben hat, während Bayern über 6, Württemberg und Sachsen über je 4, Baden und Hessen über je 3, und Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig über je 2 Stimmen verfügen. Die übrigen Staaten, nämlich Sachsen-Weimar-Eisenach, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, Reuß jüngere Linie, Reuß ältere Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen und Hamburg, führen je 1 Stimme. Die Gesamtzahl der Stimmen ist 58. Jedes Mitglied des Bundesrats kann so viel Bevollmächtigte zum B. ernennen, als es Stimmen hat. Die Gesamtheit der einem einzelnen Mitglied zuständigen Stimmen muß jedoch in einheitlicher Weise abgegeben werden. Das Reichsland Elsaß-Lothringen ist durch stimmberechtigte Bevollmächtigte im B. nicht vertreten, weil eine besondere Landesregierung dort nicht existiert. Es können jedoch nach dem Gesetz vom 4. Juli 1879, betreffend die Verfassung und Verwaltung von Elsaß-Lothringen (§ 7), zur Vertretung der Vorlagen aus dem Bereich der dortigen Landesgesetzgebung sowie der Interessen des Reichslandes bei Gegenständen der Reichsgesetzgebung durch den Statthalter Kommissare in den B. abgeordnet werden, welche an den Beratungen des letztern über jene Angelegenheiten teilnehmen. Die Mitglieder des Bundesrats können nicht auch zugleich Mitglieder des Reichstags sein. Der Vorsitz im B. und die Leitung seiner Geschäfte stehen dem vom Kaiser ernannten Reichskanzler zu. Da nun aber der B. aus Vertretern der Mitglieder des Bundes besteht, so folgt daraus, daß auch der Reichskanzler zu den Bundesratsbevollmächtigten gehören, also einer der 17 Bevollmächtigten, welche die Krone Preußen ernennt, sein muß. Der Reichskanzler kann sich in Verhinderungsfällen vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen. Bei Gelegenheit des Abschlusses des Vertrags, auf Grund dessen das Königreich Bayern dem Deutschen Reich beitrat, hat die preußische Staatsregierung der bayrischen das Recht eingeräumt, daß die letztere im Fall der Verhinderung Preußens, d. h. der sämtlichen preußischen Bundesratsbevollmächtigten, den Vorsitz im B. führen soll, ein Ehrenrecht, welches jedoch kaum einmal zur praktischen Ausübung kommen dürfte. Anträge und Vorschläge können von jedem Bundesmitglied durch dessen Bevollmächtigte vorgebracht werden, und das Präsidium ist verpflichtet, dieselben der Beratung zu übergeben. Die Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern ist zur Beschlußfähigkeit des Bundesrats nicht erforderlich. Die Beschlußfassung selbst erfolgt nach einfacher Stimmenmehrheit, wofern es sich nicht um eine Verfassungsänderung handelt. Eine solche gilt nämlich als abgelehnt, wenn sie im B. 14 Stimmen gegen sich hat (Reichsverfassung, Art. 78). Es hat also die Krone Preußen mit ihren 17 Stimmen von vornherein die Macht, jede Verfassungsänderung zu verhindern. Bei Stimmengleichheit gibt die preußische Präsidialstimme den Ausschlag. In gewissen Fällen ist die Präsidialstimme stets ausschlaggebend, wofern sie sich für die Aufrechterhaltung der bestehenden Zustände ausspricht. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um Gesetzvorschläge über das Militärwesen, die Kriegsmarine und um Zölle und Verbrauchssteuern von dem im Bundesgebiet gewonnenen Salz, Tabak, Branntwein, Bier, Zucker und Sirup oder um Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen handelt, welche zur Ausführung derartiger Zoll- und Steuergesetze dienen sollen (Reichsverfassung, Art. 5 und 37). Auf diese Weise ist dem Umstand Rechnung getragen, daß die preußische Monarchie das ihr nach ihrer Größe und Bedeutung gebührende Stimmgewicht im B. gegenüber den Mittel- und Kleinstaaten, wenn man die Stimmenzahl allein berücksichtigt, nicht besitzen würde. Ferner besteht die wichtige Vorschrift, daß, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die nach den Bestimmungen der Reichsverfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich sind, also z. B. um ein auf Bayern und Württemberg nicht anwendbares Postgesetz, nur die Stimmen derjenigen Bundesstaaten gezählt werden sollen, welchen die betreffende Angelegenheit gemeinschaftlich ist.

Rechte des Bundesrats.

Der B. ist in erster Linie einer der gesetzgebenden Faktoren des Reichs. Die Reichsgesetze entstehen durch den übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß des Bundesrats und des Reichstags, und insofern hat der B. den Charakter eines gesetzgebenden Körpers. Außerdem erscheint der B. aber auch als eine verwaltende und vollziehende Behörde des Deutschen Reichs. In ersterer Beziehung, in seiner Eigenschaft als gesetzgebender Körper, hat der B. jedoch nicht denselben Charakter, wie er einem Oberhaus oder der Ersten Kammer in jenen Staaten innewohnt, in welchen das Zweikammersystem besteht, auch nicht etwa den Charakter eines zur Vertretung der Einzelstaaten gegenüber der Gesamtheit bestimmten Staatenhauses, wie z. B. der Ständerat in der Schweiz. Das Eigentümliche der Institution besteht vielmehr darin, daß sich der B. lediglich aus Vertretern der Einzelregierungen zusammensetzt, die nach bestimmter Instruktion ihrer Gewaltgeber, d. h. der einzelnen verbündeten Regierungen, in den monarchischen Staaten der Landesherren, in den Freien Städten der Senate, zu han-^[folgende Seite]