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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Chinesische Sprache u. Litteratur

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Chinesische Sprache u. Litteratur (fachwissenschaftl. Werke, Encyklopädien; Dichtkunst).

Musik, der Naturphilosophie, der Politik etc. Er war, wenigstens unsers Wissens, der letzte Philosoph von Bedeutung. An die Schule des Laotse hat sich unter dem Namen Taosse eine religiöse Sekte angelehnt, deren Lehre mit jener ihres Meisters nur wenig mehr zu schaffen hat. Ihre Bücher, soweit wir von ihnen Kunde haben, sind teils moralischen, teils toll abergläubischen Inhalts; das von Julien übersetzte Spruchbuch "Über Belohnungen und Strafen" gehört in die erstere Gattung. Die religiösen Schriften der Buddhisten sind für uns wertvoll, teils weil sie die Entwickelung dieses Glaubens in China abspiegeln, teils weil sie manches im indischen Urtext verloren gegangene Werk aufbewahrt haben. Näheres über sie gehört aber mehr in die Geschichte jener Religion als in die der chinesischen Litteratur.

Das Studium der alten Schriftsteller erheischt das ihrer Sprache, die Richtigstellung und Erklärung der Texte setzt eine Philologie voraus. In dieser Wissenschaft haben die Chinesen Erhebliches geleistet. Freilich sind sie wohl nie darauf verfallen, ihre Sprache grammatisch zu bearbeiten; die Formlosigkeit derselben lud dazu nicht ein. Ihre Wörterbücher aber sind um so bedeutender, das größte derselben umfaßt 237 Bände. Dazu kommen Werke über alte Schriftzeichen und Inschriften, über die Aussprachen der verschiedenen Dialekte, über auffallende Sprachgebräuche einzelner Schriftsteller, endlich Wörterbücher, ja sogar Grammatiken der mongolischen, mandschuischen und noch mancher andrer Sprachen. Bis zu einer vergleichenden Linguistik in unserm Sinn hat man es nicht gebracht. Die chinesische Geschichtschreibung kann, was Vollständigkeit und Zuverlässigkeit des Erzählten betrifft, mustergültig genannt werden, nicht aber hinsichtlich ihrer Darstellungsweise. Der trockne Annalenton des "Tschhünthsiéu" (s. oben) klingt fast überall nach, allenfalls gewinnt das Erzählte durch tieferes Eingehen in Einzelheiten an Lebendigkeit; fast überall aber bleibt ein übersichtliches Bild der jeweiligen Zustände und ein klares Entwickeln der Ereignisse aus diesen zu vermissen. Seit der Dynastie Hia (2207-1767) besteht bis auf den heutigen Tag das Amt der Reichsgeschichtschreiber, und die Vasallenfürsten unterhielten für ihre Staaten ähnliche Ämter. Die damit betrauten Männer, jetzt das ganze Hanli-Kollegium, scheinen stets einer Unabhängigkeit genossen zu haben, die Vertrauen in die Wahrheit ihrer Berichte erweckt. Durch den großen Bücherbrand ist natürlich, was sich bis dahin von jenen Quellen erhalten hatte, vollends zu Grunde gegangen. Das Sseki des Ssematsian aus dem 1. Jahrh. v. Chr. ist nächst dem Schuking und dem Tschhünthsiéu das wichtigste Werk für Chinas ältere Geschichte. Der Verfasser hat mit unendlichem Fleiß die vorhandenen Urkunden, Denkmäler und Sagen durchforscht, um so ein Werk zu schaffen, das die Geschichte von beinahe dritthalb Jahrtausenden, vom Kaiser Hoangti bis 122 v. Chr., in sich faßt. Er ordnet seinen Stoff in fünf Teile: 1) Lebensbeschreibungen der Kaiser mit nur kurzer Erwähnung der reichsgeschichtlichen Ereignisse; 2) chronologische Aufzählung von Belehnungen und Ernennungen; 3) Geschichte von Ritual, Musik, Gesetzen, Zeitbestimmung, Astronomie, Opfern, Staatsbauten und Maß und Gewicht; 4) Genealogie der lehnsfürstlichen und andrer durch Grundbesitz bedeutender Häuser; 5) Biographien hervorragender Männer, nicht selten verbunden mit ausführlichen Erzählungen wichtiger geschichtlicher Begebenheiten. Diese Einteilung des Stoffs gilt noch heute der offiziellen Geschichtschreibung als Muster. Das Sseki eröffnet die Reihe der sogen. "vierundzwanzig Geschichtswerke", d. h. der Reichsannalen. Die nächstfolgenden Werke sind Privatarbeiten; seit dem 7. Jahrh. v. Chr. aber besteht die Einrichtung, daß jede Dynastie amtlich die Geschichte der vorhergehenden bearbeiten läßt. Neben diesen Werken gibt es dann noch die Geschichten einzelner Lehnsreiche und Provinzen und eine Menge zum Teil sehr umfangreicher Privatarbeiten, unter denen das "Thongkian" des Ssemakuang und seiner Nachfolger für das bedeutendste gilt.

Was wir von den Leistungen der Chinesen auf den Gebieten der Länder- und Völkerkunde, der Naturgeschichte und Medizin und andrer Erfahrungswissenschaften kennen, ist wohl durchweg mehr beschreibend und aneinander reihend als systematisch gehalten. Der Wert der einschlägigen, zum Teil sehr umfangreichen Werke beruht in der Art, wie die Thatsachen beobachtet und erzählt, nicht wie sie erklärt werden. Die herkömmliche dualistische Naturphilosophie mit ihrer Theorie von den fünf Elementen: Feuer, Wasser, Erde, Metall und Holz muß in der Arzneiwissenschaft ersetzen, was an anatomischen, physiologischen, chemischen und physikalischen Kenntnissen fehlt. Die Berichte chinesischer Reisenden über benachbarte Länder aber versprechen eine wahrhaft unschätzbare Ausbeute, desgleichen die Schriften über Ackerbau und Gewerbe. Den uns nur wenig bekannten Werken der Gesetzgebung und Rechtswissenschaft wird Übersichtlichkeit und logische Konsequenz nachgerühmt. Überaus beliebt sind die Encyklopädien. Der kleine, aus ein, zwei Heften bestehende "Hausschatz" (Kiapao), der in der Wohnung des kleinen Mannes neben dem Kalender und einer Anzahl billiger Erzählungen fürs Volk liegt, ebenso wie die hundert- und tausendbändigen Sammelwerke in den Büchereien der Großen und Gelehrten, alle erfüllen sie den Zweck, ihrem Besitzer innerhalb des Kreises seines Bedürfnisses allseitige Belehrung zu gewähren. Auch haben wissenschaftliche Köpfe ersten Ranges es sich angelegen sein lassen, solche Universalwerke zu verfassen. Obenan unter diesen Encyklopädisten steht Matuanlin (1245-1322), ein Mann von einem Umfang des Wissens, einer Schärfe des Urteils und Arbeitskraft, die ihm den Rang unter den größten Gelehrten der Welt sichern. Sein Buch "Wenhianthongkhao", ein Riesenwerk von 348 Bänden in 24 Abteilungen, stellt in kraftvoll klarem Stil die gesamte chinesische Landes- und Volkskunde mit Ausschluß gewisser Teile der Naturbeschreibung, aber einschließlich der Staats-, Kultur- und Litteraturgeschichte, Astronomie, merkwürdige Naturereignisse, endlich die Zustände der bekannten ausländischen Nationen dar. Zwei Nachträge Späterer, zusammen gegen 300 Hefte haltend, führen das Werk bis ins 18. Jahrh. hinein weiter. Man begreift, wie einer unsrer Sinologen sagen konnte, ein solches Buch wiege für sich allein eine Bibliothek auf und würde, wäre es das einzige Erzeugnis der chinesischen Litteratur, vollauf die Erlernung der chinesischen Sprache lohnen. Mit zahlreichen Abbildungen versehen, aber kaum ein Sechstel so groß ist das "Santsaithuhoei", wahrscheinlich in Japan mehr verbreitet als in seinem Vaterland. Wir wissen aber auch, daß die kaiserliche Bibliothek zu Peking eine Encyklopädie von 10,000 und eine von 22,870 Bänden besitzt. Die Anordnung aller dieser Werke ist nicht die bei uns beliebte lexikalische, sondern eine dem Gutdünken der Redaktoren folgende sachliche.

Dichterische Werke gehören nach chinesischer Auffassung nur dann zur höhern Litteratur, wenn sie in

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