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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deich

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Deich.

tet werden kann, wobei aber der ältere zur Fürsorge beibehalten wird, so heißt jener Schlaf- oder Sturmdeich. Flügel- oder Schenkeldeiche nennt man die Teile eines Deiches, die vom Hauptdeich schräg über das Vorland gehen (Fig. 1 u. 2). Schlickdeiche dienen zum Auffangen des Schlicks. Ein Blockdeich ist ein auf morastigem Boden errichteter D. Das Vorland dient dazu, das Durchflußprofil des Hochwassers zu vergrößern und bei gewöhnlichem Wasserstand den D. vor dem Unterwaschen zu schützen. Die Breite desselben läßt sich nicht allgemein bestimmen, an großen Strömen muß sie oft 100-200 m und mehr betragen. Alles kommt darauf an, den Wert des zu schützenden Landes gegen den des Vorlandes und gegen die Baukosten richtig abzuwägen. Bei Feststellung der Deichlinie sind alle scharfen Ecken möglichst zu vermeiden und durch Bogen abzurunden, die Höhe des Deiches muß den höchsten in Aussicht genommenen Wasserstand um 0,35-0,5 m übersteigen. Auch muß man, da die aufgeworfene (wenn auch festgestampfte) Erde stets etwas zusammensinkt, 1/15-1/10 der Höhe zugeben und in sumpfigen Gegenden außerdem die Senkung des Grundes (Deichanker, Deichfuß, Deichstuhl) im voraus veranschlagen. Beim D. unterscheidet man die Krone oder Kappe a b (Fig. 3), die äußere oder Außenböschung a c und die innere oder Innenböschung b d. Wichtigere Deiche erhalten noch eine Außenkrone e c und eine Innenkrone d f, welche nötigen Falls durch besondere Graben e g und f h (Außenkronen-, Innenkronengraben) bez. von dem Vorland und Binnenland abgegrenzt werden. Die Stärke des Deiches bemißt sich nach dem zu leistenden Widerstand und der Festigkeit des Materials. Die Kappe sollte nie schmäler als 2 m werden; soll der Damm fahrbar sein, so ist diese Breite zu vermehren, ebenso bei sehr hohen Deichen. Die Böschungen müssen desto flacher sein, je weniger Zusammenhang das Material hat, woraus der D. gebaut wird. Man kann annehmen, daß fester Thon oder Lehm unter einem Winkel von 35-40, mittelfeste Erde unter 30-35, Sand unter 18-24° liegen bleibt. Sanddämme müssen daher am flachsten abgeböscht werden. Die äußere Böschung ist flacher als die innere zu halten, weil jene den Andrang des Wassers unmittelbar auszuhalten hat; auf der Landseite genügt es in der Regel, wenn die Erde und ihre Bekleidung festliegt. Die Böschungslinie ist gewöhnlich eine gerade; die Kappe wird ein wenig konvex gebildet, um dem Regenwasser Abfluß zu gewähren. Die Erddeiche werden schichtweise gebaut, indem man die Erde in Schichten von 0,25-0,5 m aufbringt und jede einzelne für sich feststampft. Die Böschungen des Deiches müssen eine Bekleidung mit Rasen (Sohden, daher Besohdung) oder Luzerne erhalten, um das Austrocknen und Ablösen der Erde zu verhindern. Läßt sich eine dichte Rasen- oder Kleedecke nicht anbringen, so muß der D. durch Strohmatten, welche mit hölzernen Krampen befestigt werden, durch Rutengeflechte, besser durch Bohlenbekleidung oder Steindossierungen, verwahrt werden. Beschädigungen des Deiches müssen womöglich im ersten Entstehen ausgebessert werden, weil bei schwellendem Wasser, welches die beschädigte Stelle angreift, der Schade meist reißend schnell wächst. Kleine Öffnungen in der innern Böschung, durch welche das Wasser dringt, kann man interimistisch mit kegelförmigen Zapfen verkeilen, Öffnungen in der äußern Böschung durch Pechleinwand, Wachstuch, Erdsäcke oder ähnliche wasserdichte Stoffe verschließen. Erreicht das Wasser die Kappe des Deiches, so müssen die zu niedrigen Stellen rasch erhöht werden, denn die kleinste Verletzung der Kappe durch überfließendes Wasser (Kappenstürzung) hat sonst fast immer einen Deichbruch zur Folge. Endlich erweist sich zur Sicherung des Binnenlandes vor Überflutungen auch häufig die Anlage von Deichsielen oder Deichschleusen (s. Siel) als notwendig. Sie dienen dazu, das Wasser, welches sich innerhalb des Deiches durch Schnee und Regen oder wohl auch durch Zuströmungen aus höhern Gegenden sammelt, abzuführen.

Die Wichtigkeit der Deiche für die Abwendung der nachteiligen Folgen, welche durch Überschwemmungen von Meeren, Seen und Flüssen für das Land entstehen, hat zur Bildung von Deichverbänden und zur gesetzlichen Regelung des Deichwesens, zur Aufstellung von Deichordnungen, Veranlassung gegeben. Die Deichverbände bestehen aus allen Inhabern der durch die Deiche geschützten Grundstücke, welchen ein Ausschuß der Deichgenossenschaft, die sogen. Deichgeschwornen, an deren Spitze ein Deichgraf (Deichhauptmann, Deichinspektor) steht, vorgesetzt ist. Die den Deichverbänden obliegenden Pflichten, die Deichlast, zerfällt in ordentliche und außerordentliche. Jene begreift die regelmäßige, nicht durch besondere Ereignisse veranlaßte Unterhaltung der Deiche. Von ihr werden alle Inhaber (auch Pachter) der durch die Deiche geschützten Grundstücke getroffen, und zwar muß hierbei gegen sonstige bei den Reallasten gültige Rechtsregeln der Nachfolger die Rückstände seines Vorgängers übernehmen. Zur außerordentlichen Deichlast gehören die Fälle der Beihilfe und der Nothilfe. Beide werden beansprucht, wenn die Erhaltung des Deiches die Kräfte der einzelnen Verpflichteten übersteigt. Die Nothilfe tritt ein, wenn bei hoher Sturmflut oder bei Eisgang die Deiche in Gefahr oder wenn Kappenstürzungen wirklich geschehen sind, oder wenn ein Teil des Deiches bereits weggerissen und ein Durchbruch des Wassers wirklich erfolgt ist. Die ältesten Deichordnungen stammen aus dem 13. Jahrh. Als das wichtigste und vollständigste Deichrecht erscheint die am 29. Juli 1743 veröffentlichte Deichordnung für das Herzogtum Bremen. Unter den neuern Deichordnungen sind das preußische Gesetz über das Deichwesen vom 28. Jan. 1848 und die Oldenburger Deichordnung vom 8. Juni 1855 hervorzuheben. Der Hauptgrundsatz des Deichrechts ist: "kein Land ohne D. und kein D. ohne Land", d. h. alle von einem Hauptdeich umfaßten Grundstücke, welche ohne denselben der Überschwemmung ausgesetzt sein würden, sind deichpflichtig, und die Deichpflicht ist von dem Grundstück, worauf sie haftet, unzertrennlich. Ausnahmen von

^[Abb.: Fig. 3. Deichquerprofil.]