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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (nichtdeutsche Bevölkerung).

Einen dritten hochdeutschen Hauptstamm bilden die Alemannen und Schwaben. Die erstern wohnen im obern Schwarzwald, an seinem Südgehänge in Einzelgehöften im Schweizer Baustil ländliches Gewerbe mit emsigem Gewerbfleiß (Uhren) verbindend. Durch die Schweiz reicht der Stamm in das gewerbreiche Vorarlberg hinüber, und über dem Rhein nach W. umfaßt er die Bewohner des Elsaß bis auf die Höhe der Vogesen. Östlich und nordöstlich folgt der schwäbische Stamm, welchem D. mehrere seiner größten Männer verdankt; er reicht, wie der alte schwäbische Reichskreis, vom Kamm des Schwarzwaldes und vom Bodensee ostwärts bis zum Lech und Ries, vom Quellgebiet der Iller im S. bis zum Eintritt des Neckar in die malerischen Engen des Odenwaldes, bis an die Grenzen des Hohenlohischen. Landbau, Weinbau, Viehzucht vereinigen sich hier mit reger gewerblicher Thätigkeit, insbesondere diesseit der Alb; auch hier geht die Industrie vorzugsweise von den alten Reichsstädten aus, auf die sie sich im S. der Donau beschränkt.

Der vierte der großen hochdeutschen Stämme ist der bayrische, dem der ganze übrige deutsche Süden und Südosten (auch die Deutschen, die in dem Innern Böhmens und Mährens zwischen den Slawen leben) angehören. Wie der Schwabe, hängt auch der Bayer an seinem Dialekt, der, wenn auch abgeschliffen, im Mund aller Gesellschaftsschichten des Volkes ist. Ackerbau und Viehzucht, im Gebirge Alpenwirtschaft bilden den vorherrschenden Erwerb. Auch in Altbayern lebt vielfach der Bauer, wie in Westfalen, auf seinem Einzelgehöft, inmitten seines unteilbaren Besitzes. Es ist ein derber, kräftiger Volksschlag, der Hochebene und Gebirge bewohnt, und zwar da am rohesten, wo am reichsten; was die Bildung nicht gethan hat, das gleicht der gesunde Mutterwitz aus; überall regen sich jedoch auch in diesem Gebiet die Knospen neuer, lange unterdrückter geistiger Entwickelung. Vgl. auch Deutsche Sprache.

Nichtdeutsche Bevölkerung.

Unter den Nichtdeutschen sind die Polen am zahlreichsten. Sie wohnen in den Provinzen Ost- und Westpreußen (790,000), Posen (880,000) und Schlesien (840,000), in ganz geringer Zahl auch in Pommern (3500) und unterscheiden sich in Großpolen, Masuren, Kassuben und Lechen oder Wasserpolen. Die Großpolen findet man in der Provinz Posen, in Westpreußen östlich von der Weichsel und in einigen Kreisen des Regierungsbezirks Breslau; die Masuren im südlichen Ostpreußen; die Kassuben in Westpreußen westlich von der Weichsel und in unbedeutenden Resten in den pommerschen Kreisen Bütow, Lauenburg und Stolp; die Lechen oder Wasserpolen in Oberschlesien. In der Provinz Westpreußen beschäftigen uns zuerst die den Wenden verwandten Kassuben, deren Sprache, ein Dialekt des Polnischen, dem Großpolen nicht recht verständlich ist. Sie bilden die Ureinwohner des Gebiets im W. von der Weichsel (Pommerellen). Gegen O. wohnen sie bis an den Rand der Weichselniederungen; gegen W. dringen sie beinahe noch bis an die Linie vor, welche die deutschen Städte Neustadt, Bütow, Konitz und Flatow verbindet, zwischen Bütow und Konitz auch noch ein wenig über diese Linie hinaus. Als geschlossene Masse treten sie vorzüglich in der Mitte zwischen Brahe, Schwarzwasser und Ferse, ferner auf dem Plateau von Karthaus und nördlich bis an das Rhedathal sowie auf den Plateauinseln an der Putziger Wiek und auf der Halbinsel Hela (ohne den gleichnamigen Flecken) auf. Die meisten Deutschen gibt es in diesen Gegenden an den Landstraßen (Eisenbahnen), wie an der von Dirschau nach Konitz und von Danzig nach Lauenburg, an letzterer sogar fast ausschließlich. Im O. von der Weichsel dehnt sich das polnische Sprachgebiet in West- und Ostpreußen längs der Südgrenze aus und reicht im N. bis an die Linie, welche von Kulm über Lessen, Deutsch-Eylau, Osterode, Bischofsburg, Lötzen und Kowahlen zur Ostgrenze führt. Nördlich von dieser Linie sind mit Ausnahme der polnischen Sprachinsel des Kreises Stuhm die Polen nur vereinzelt. Die Polen nehmen demnach hier von Westpreußen das ehemalige Kulmer Land, in Ostpreußen dagegen den Kern des Landrückens mit seiner südlichen Abdachung ein; dort sind sie Großpolen und vorwiegend katholisch, hier Masuren und meist evangelisch, katholisch aber auch in den zum Ermeland gehörigen Kreisen Allenstein und Rössel. Der Masure hat blonde Haare und blaue Augen und hat seine alten Sitten und Gebräuche vollständig bewahrt. Seine Sprache unterscheidet sich vom Hochpolnischen wesentlich, wenn auch nicht so erheblich wie der Dialekt des Kassuben. Der Masure besitzt eine große Liebe zu seinem seenreichen Vaterland und steht mit dem Deutschen, mit dem ihn die evangelische Kirche verbindet, auf gutem Fuß. Die Landbevölkerung ist in dem Umfang des ganzen eben bezeichneten Gebiets zu 80-90 Proz. eine polnische, die Stadtbevölkerung überwiegend eine deutsche. Die alten Preußen, die Ureinwohner der Provinz im O. von der Weichsel, sind ausgestorben, und ihre Sprache ist erloschen; jedoch erinnert noch die verwandte Sprache weniger Hundert Kuren auf der Kurischen Nehrung und bei Memel an dieselbe. Dagegen haben sich die Litauer in ziemlich großer Menge (150,000) erhalten; sie bilden die Mehrzahl der Landbewohner auf der nördlichen Seite der Memel, sind zahlreich auf der südlichen Seite des Stroms bis zur Linie Labiau-Pillkallen und finden sich in einigen Resten noch bis Goldap. Sie sind, wie die Masuren, evangelisch. In der Provinz Posen sind die Polen in der Mehrzahl. Sie bewohnen den östlichen Teil vorherrschend, während sie nach W. zu nach und nach abnehmen und in den Grenzkreisen entschieden gegen die Deutschen zurücktreten. Im N. haben die Deutschen sich längs der Netze und von dieser bis zur Brahe und Warthe verbreitet und dieser Gegend einen völlig deutschen Anstrich gegeben; demnach bilden die Deutschen in allen südwestlichen, westlichen und nördlichen Grenzkreisen oder in den Grenzdistrikten von Fraustadt über Schwerin a. W. bis Bromberg die Mehrzahl. Eine Grenzlinie zwischen beiden Nationalitäten ist schwer zu ziehen, da in allen Teilen der Provinz deutsche Dörfer und Haulande, wie man die von Deutschen in bruchigen und waldigen Gegenden im Posenschen angelegten Kolonien nennt, vorkommen. Gegen W. dringen die Polen aber dreimal zwischen den Deutschen in schmalen Streifen vor: im S. über das Obrabruch bis Bomst, in der Mitte auf der Südseite der Warthe bis Birnbaum und auf der Südseite der Netze an Filehne vorbei bis zur brandenburgischen Grenze. Von den Städten der Provinz ist fast die Hälfte vorzugsweise polnisch; von den etwa 5600 Ortschaften des platten Landes haben 800 (meist die größern) eine rein deutsche, 1000 eine polnische, 1300 eine überwiegend deutsche, 2500 eine überwiegend polnische Bevölkerung; von den größern Gütern sind etwa 45 Proz. in polnischen Händen. Die Deutschen (wie auch in Westpreußen) sind meist evangelisch (weshalb deutsch und evangelisch, polnisch und katholisch in der Regel