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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Textilindustrie).

vorzugsweise in den süddeutschen Staaten und in der Rheinprovinz. Die Schuhmacherei in Pirmasens und Mainz liefert die feinsten Waren für das Ausland; wichtig ist dieselbe ferner in der Provinz Sachsen, in Thüringen, Berlin, Offenbach, im württembergischen Amt Balingen etc. Handschuhe produziert namentlich Württemberg zur Ausfuhr. Ledergalanteriewaren von ausgezeichneter Güte liefern Berlin, Nürnberg, Offenbach, Hanau etc. Für die Anfertigung von Sattler-, Riemer- und Täschnerwaren sind Berlin, Breslau, Aachen, Düsseldorf, München, Nürnberg, Stuttgart, Karlsruhe und andre Städte Hauptplätze. Einfuhr in das deutsche Zollgebiet 1884: 699,578 Doppelzentner Häute und Felle und 76,933 Doppelzentner Leder und Lederwaren; Ausfuhr: 184,695 Doppelzentner Häute und Felle; 140,560 Doppelzentner Leder und Lederwaren.

Textilindustrie etc.

D. ist ein Wolle, Flachs und Hanf erzeugendes Land; zu ihrer Verarbeitung haben sich die aus dem Ausland eingeführten großen Mengen dieser Rohmaterialien gesellt. D. bringt aber nicht bloß Wollen- und Leinenstoffe, sondern vor allem auch Baumwollen- und Seiden- sowie gemischte Stoffe in den Welthandel. Viele Tausend Hände am preußischen Niederrhein, in Westfalen, in Sachsen und Schlesien sind mit Spinnen und Weben beschäftigt. In den Streich- und Kammwollspinnereien sowie in den Tuch- und Wollwarenfabriken arbeiten wenigstens 150,000 Menschen. Die Streichwolle, zur Fabrikation von tuchartigen Geweben gebraucht, wird in großen Anstalten gesponnen, die in der Regel mit der Tuchfabrikation verbunden sind. Sie verfügt im Reich über wenigstens 2,600,000 Feinspindeln. Hauptsitze der Tuchfabrikation sind vor allen die Rheinprovinz, der südliche Teil von Brandenburg nebst angrenzenden Kreisen von Schlesien (Lausitz) und das westliche Sachsen nebst Teilen von Thüringen. In der Rheinprovinz steht der Regierungsbezirk Aachen obenan, woselbst in den Städten Aachen, Burtscheid, Düren, Eupen und Montjoie diese Industrie schon seit langer Zeit in Flor ist und eine Vollkommenheit erreicht hat, die ihren Erzeugnissen den überseeischen Markt sichert; nach Nordamerika allein gehen von hier jährlich Tuche und Buckskins im Wert von mindestens 5 Mill. Mk. Im Regierungsbezirk Düsseldorf treten die Städte Lennep, Werden und Kettwig hervor. In dem zweiten Mittelpunkt, der Lausitz, erfreut sich die Tuchfabrikation durch die in jüngster Zeit erfolgte Erbauung zahlreicher Eisenbahnen einer steigenden Entwickelung und arbeitet ebenfalls für den Export nach Nordamerika und dem Orient. Im Regierungsbezirk Frankfurt liefern Buckskins hauptsächlich Kottbus, Peitz, Forst und Spremberg, glatte Tuche Guben, Sorau, Sommerfeld und Finsterwalde. Andre brandenburgische Städte, ausgezeichnet durch dieselbe Industrie, sind Schwiebus mit glatten Tuchen und Luckenwalde mit Buckskins. In Schlesien treten besonders die Städte Görlitz mit Export nach Ostasien, Grünberg und Sagan und im Königreich Sachsen Großenhain, in der Provinz Sachsen Burg und in Anhalt Zerbst und Dessau hervor. Im dritten Hauptsitz der Tuchfabrikation sind von ganz besonderer Wichtigkeit die Städte Meerane, Krimmitschau, Reichenbach, Werdau, Kirchberg, Lengenfeld, Döbeln und Roßwein im Königreich Sachsen, Pößneck in Thüringen etc. In andern Städten blühen die Kammwollspinnerei und die Fabrikation von Wollwaren (Glauchau), während Gera, Greiz und Zeulenroda im Reußischen der Sitz der deutschen Tibetfabrikation sind und jährlich Tibetwaren im Wert von mehr als 30 Mill. Mk. liefern, die mit den englischen Waren auf überseeischen Märkten erfolgreich konkurrieren. Gleichfalls von großer Wichtigkeit sind die Kammwollspinnereien und Wollwarenfabriken zu Mülhausen und Gebweiler sowie die Tuchfabriken zu Bischweiler im Elsaß. Auch Württemberg besitzt in einigen Städten noch eine ziemlich erhebliche Tuch- und Wollwarenmanufaktur, während in Oberhessen die zahlreichen Anstalten für diese Industrie nur klein sind. Vereinzelt tritt mit Tuchfabriken in andern Gegenden noch manche Stadt hervor, z. B. Neumünster in Schleswig-Holstein. Die Tuchmacherei war zu Anfang dieses Jahrhunderts noch ein allgemein verbreitetes Gewerbe, das in den östlichen Provinzen Preußens selbst für Polen arbeitete; heute hat es in den nordöstlichen Provinzen indes fast gänzlich aufgehört, nur grobe Wollwaren werden durch Nebenbeschäftigung noch auf dem platten Land erzeugt. Die Strumpfwarenfabrikation ist von Bedeutung in Sachsen (Zwickau, Chemnitz), in Thüringen (Apolda) und im Reußischen (Zeulenroda). Die Teppichweberei wird vorzüglich in Berlin, Hanau, Schmiedeberg i. Schl. und Barmen betrieben; in Schmiedeberg i. Schl. und Wurzen im Königreich Sachsen werden sogen. Smyrnateppiche verfertigt. Die Shawlweberei ist in Berlin zu Hause, das D. auch mit Stickwolle und die Welt mit Stickmustern versieht. Einfuhr in das deutsche Zollgebiet 1884: 1,056,662 Doppelzentner Schafwolle, 189,978 Doppelzentner Wollengarne und 19,042 Doppelzentner Wollwaren aller Art; Ausfuhr: 119,140 Doppelzentner Schafwolle, 51,889 Doppelzentner Wollengarne, 24,897 Doppelzentner wollene Strumpfwaren und 246,806 Doppelzentner andre wollene Waren etc.

Die Leinweberei hatte einst für D. fast noch größere Bedeutung als die Tuchfabrikation; sie war für die Landbevölkerung eine allgemein gebräuchliche Nebenbeschäftigung. Noch hat sich dieselbe in dieser Weise vorzüglich in den Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern und Posen erhalten. Schlesien, die sächsische Lausitz, Westfalen, Hannover und die Schwäbische Alb, wo früher schon der Hauptsitz dieser Thätigkeit war, sind auch gegenwärtig durch Einführung englischen Maschinengarns sowie der mechanischen Flachsspinnerei wieder einigermaßen Herr über die englische Konkurrenz geworden. Die Flachsspinnereien (mit etwa 300,000 Feinspindeln), die noch keineswegs den innern Bedarf decken, sind besonders im schlesischen Gebirge (Liebau etc.), woselbst sie ein kleines Seitenstück zu der großartigen Flachsspinnerei Böhmens (von Trautenau bis Reichenberg) bilden, sowie in Westfalen (Bielefeld) und in der Rheinprovinz (Dülken, Viersen, Düren) zu Hause; die außerhalb Preußens sind meist nur klein. Die Einfuhr an Rohmaterial und Garnen übertrifft bei weitem die Ausfuhr. Garne kommen namentlich aus dem britischen Reich (Belfast), Belgien und Österreich. Die ausgezeichnetsten Leinengarne in D. liefert Bielefeld, das nebst seiner Umgegend, der Grafschaft Mark, auch ein Mittelpunkt der deutschen Leinwandfabrikation ist, von dem dieselbe sich über andre Gegenden Westfalens (Warendorf), über große Teile von Hannover (Osnabrück, Hildesheim), über Lippe etc. ausbreitete. Ein zweiter Mittelpunkt dieser Industrie liegt in der sächsischen Lausitz, wo in Zittau und dessen Umgegend, namentlich in Großschönau, die schönsten Leinwandsorten und die feinsten Damaste verfertigt werden. Von hier nach O. erstreckt sich das Gebiet der Leinweberei weit nach