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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1500-1519. Maximilian I., Reformationszeit).

doch nur unter der Voraussetzung kräftiger Unterstützung der Reichsreform zugestimmt hatte. Ärgerlich und mißgestimmt, legte er jetzt der Durchführung derselben Schwierigkeiten in den Weg; das Reichsregiment mußte sich 1502 wieder auflösen, dem Kammergericht trat des Kaisers Hofgericht, der Reichshofrat in Wien, zur Seite und zog ebenfalls Reichsangelegenheiten vor sein Forum. Ja, als 1505 im wittelsbachischen Haus über das Landshuter Erbe eine Fehde ausbrach, nahm Maximilian an derselben teil, um sich ein Stück von dem Erbe anzueignen. Unerschöpflich in neuen Entwürfen, aber ohne Ausdauer, brachte er weder einen großen Kriegszug gegen die Türken zu stande, noch gelang es ihm, die Franzosen aus Italien zu vertreiben; da er Rom nicht erreichen konnte, legte er sich als erster deutscher Herrscher den Kaisertitel bei, ohne mit der Kaiserkrone gekrönt zu sein. Dagegen begünstigte ihn wie seinen Vater das Glück bei der Erhöhung der Macht seines Hauses durch Familienverbindungen. Die Vermählung seines Sohns Philipp des Schönen mit der spanischen Infantin Johanna, der Tochter und Erbin Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragonien, verschaffte dem Haus Habsburg den Besitz der spanischen Monarchie, zu welcher das neuentdeckte Amerika und in Italien die Königreiche Neapel, Sizilien und Sardinien gehörten, ein Besitz, den sein ältester Enkel, Karl, 1516 antrat. Durch die Vermählung seines zweiten Enkels, Ferdinand, mit der Schwester des Königs Ludwig von Böhmen und Ungarn verstärkte er die Aussichten auf Erwerbung dieser Königreiche. Schmerzlich berührte es ihn nur, daß er nicht noch vor seinem Tod seinem Enkel Karl die Kaiserkrone sichern konnte. Als er im Januar 1519 starb, hinterließ er D. ohne Oberhaupt in einem der entscheidendsten Wendepunkte seiner Geschichte.

Die Reformationszeit.

Im Beginn des 16. Jahrh. waren die Dinge in D. in lebendigster Bewegung und Gärung. Die Verhandlungen über die Reichsreform hatten die politischen Verhältnisse in Fluß gebracht, überall Wünsche und Forderungen angeregt, die nur zum Teil in Erfüllung gingen, und das Verlangen nach einer gründlichen Umgestaltung der Dinge, besonders in den niedern Ständen der Ritter, Bürger und Bauern, gesteigert. Die Verwirrung im Reich, die Verluste des Deutschtums an den Grenzen und der verschwundene Glanz des Kaisertums wurden um so bitterer empfunden, als die Deutschen jener Zeit im Bewußtsein ihrer üppigen Volkskraft stolz und hochstrebend waren und keinem Volk den Vorrang vor sich einräumen wollten, wie sie denn im Ausland überall als hochmütig und gewaltthätig bekannt waren. Allerdings nur in diesem Verlangen einer Änderung, nicht über die Art derselben waren die Unzufriedenen einverstanden. Der Ritterstand wünschte wieder, wie in der staufischen Zeit, der herrschende Kriegerstand zu sein unter einem mächtigen Kaiser, der große Eroberungszüge unternehme, auf denen Ruhm und Beute zu erwerben seien. Die Bürger verlangten dagegen vor allem Schutz von Handel und Gewerbe durch ein kräftiges Regiment, an dem sie einen ihren finanziellen Leistungen entsprechenden Anteil hätten. Neben den Bürgern gab es aber in den Städten eine niedere Handwerkerbevölkerung, welche die herrschende mehr oder weniger aristokratische Verfassungsform umzustoßen und eine rein demokratische zu errichten strebte. Diese ärmern Stadtbewohner berührten sich in ihren Bestrebungen mit den Bauern, welche ihre elende Lage unter dem Druck von Steuern und Fronen und unter der Willkür ihrer großen und kleinen Herren seit 100 Jahren um so bitterer empfanden und um so ungeduldiger ertrugen, als die Kämpfe der Schweizer und die Hussitenkriege sowie die Bedeutung der aus Bürgern und Bauern gebildeten Landsknechtheere sie gelehrt hatten, welche Macht in der entfesselten Volkskraft verborgen war. Wiederholte Aufstände von Bauernbünden in Schwaben und am Oberrhein hatten gezeigt, daß es sich in diesem unterdrückten, wehrlosen Stand regte, und je härter die Tyrannei war, unter welcher er seufzte, desto radikaler waren ihre Reformideen, die unter dem Einfluß religiöser Schwärmer, wie bei den Taboriten, oft einen rein kommunistischen Charakter annahmen.

Zu diesen Gärungselementen traten nun die geistige Bewegung des Humanismus und die kirchliche Reformfrage hinzu. Beide flossen in D. ineinander, indem der Aufschwung der Künste und Wissenschaften durch die Wiederbelebung des klassischen Altertums und die neuen Entdeckungen, die Gründung zahlreicher Universitäten und Schulen und die Ausbreitung der Bildung über weitere Kreise infolge der Erfindung der Buchdruckerkunst das Gefühl der Selbstverantwortlichkeit und Freiheit in den Menschen weckten und die Entrüstung über die Entartung der Kirche und über die Schmach, von einem so rohen, sittenlosen und unwissenden Klerus beherrscht und ausgebeutet zu werden, aufs höchste steigerten. Das Verlangen nach einer Abstellung der kirchlichen Mißstände war so allgemein und so mächtig, daß sich fast niemand außer den Dominikanern ihm zu widersetzen und die herrschende Kirche zu verteidigen wagte, daß die ernsten wie die satirischen Angriffe gegen die Hierarchie und ihre Vorkämpfer mit Begeisterung begrüßt wurden und selbst den Beifall hoher Prälaten fanden. So bedurfte es nur eines Anstoßes, eines erlösenden Wortes, um einen Sturm in der öffentlichen Meinung zu entfesseln, der das Gebäude der mittelalterlichen Kirche bis in seine festesten Grundlagen erschütterte. Dies Wort sprach Luther, indem er 31. Okt. 1517 die 95 Thesen gegen den Ablaß an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg schlug. Sein mannhaftes Auftreten wurde als der Beginn der ersehnten Reform mit Freuden begrüßt. Wie sich dieselbe gestalten solle und werde, war freilich fast allen ebenso unklar wie die politische Reform, welche man wünschte. In beiden Fragen kam es hauptsächlich darauf an, welcher Kaiser den Thron besteigen würde.

So war die Lage in D., als die Kurfürsten nach mehrmonatlicher Thronvakanz sich im Mai 1519 in Frankfurt zur Neuwahl eines Kaisers versammelten; mit Ausnahme des Königs von Böhmen erschienen sie alle persönlich, denn die zu treffende Entscheidung war ebenso wichtig wie schwierig. Gern hätten die Kurfürsten einen der Ihrigen, nämlich Friedrich den Weisen, gewählt, was auch der Papst wünschte; aber Friedrich lehnte es ab, die schwere Bürde auf sich zu nehmen. So kamen nur Karl von Spanien und Franz I. von Frankreich als Thronbewerber in Frage, welche beide sich um die Kaiserkrone bewarben, um in dem bevorstehenden Kampf der beiden in Italien und Burgund rivalisierenden Staaten Spanien und Frankreich durch den Besitz der höchsten Würde der Christenheit ihre moralische und physische Macht zu verstärken. Franz hatte die Mehrzahl der Kurfürsten zwar durch Bestechung für sich gewonnen, obgleich sein herrisches, gewaltthätiges Auftreten in seinem Erbreich schwere Bedenken erregte. Im letzten Moment siegte aber Karl. Er galt doch als Deutscher, besaß ansehnliche Teile des Deutschen Reichs, und