Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

866

Deutschland (Geschichte 1529-1545. Reformationszeit, Karl V.).

D. einzuschreiten, und der Bund der beiden Häupter der Christenheit wurde 1530 durch eine persönliche Zusammenkunft in Bologna und die Kaiserkrönung Karls daselbst (24. Febr., die letzte in Italien) besiegelt. Die heldenmütige Verteidigung Wiens gegen die Türken (Oktober 1529) und der Rückzug derselben beseitigten für einige Zeit auch die Türkengefahr.

Die veränderte Haltung des Kaisers wirkte schon auf den zweiten Speierer Reichstag 1529 entscheidend ein. Die der alten Kirche zugethanen Stände waren so zahlreich erschienen, daß sie die Majorität besaßen und der kaiserlichen Proposition gemäß beschlossen, daß das Wormser Edikt bestehen bleiben, den evangelischen Ständen jede weitere Neuerung, besonders Beeinträchtigung der geistlichen Obrigkeit, verboten sein und das Sektenwesen nicht geduldet werden solle. 19 evangelische Reichsstände, 5 Fürsten und 14 Städte, protestierten dagegen, daß in Gewissenssachen die Mehrheit gemeingültige Beschlüsse fassen könne; davon erhielten die Anhänger der neuen Lehre den Namen "Protestanten". Im Mai 1530 kehrte der siegreiche Kaiser nach D. zurück und eröffnete 18. Juni die glänzende Reichsversammlung zu Augsburg. Als die evangelischen Stände seinem Befehl, die Neuerungen einzustellen, unter Berufung auf ihr Gewissen den Gehorsam verweigerten, verlangte er, daß ihm die Gegensätze der beiden Lehren in Kürze dargelegt würden. Dies geschah: am 25. Juni ward vor versammeltem Reichstag das Augsburgische Glaubensbekenntnis verlesen, welches, von Melanchthon verfaßt, die Unterschiede der neuen und der alten Lehre mild und leidenschaftslos entwickelte und die erstere fein und gewandt rechtfertigte. Die angesehensten katholischen Theologen reichten dagegen eine Gegenschrift, die Confutatio, ein. Hiermit erklärte Karl V. die Sache für erledigt und nahm Melanchthons Apologie der Confessio Augustana nicht an. Ohne sich auf Gewissensfragen einzulassen, verlangte Karl von den Protestanten, daß sie sich dem Papst wieder unterwerfen sollten, bis er das längst versprochene allgemeine Konzil in Rom zu stande gebracht haben würde, und der Reichstagsabschied sprach deutlich und scharf die Drohung aus: wenn die Protestanten nicht bis zum 15. April 1531 gutwillig zur alten Kirche zurückkehrten, würde die neue Lehre mit Gewalt ausgerottet werden.

Unter dem Eindruck dieser Drohung schlossen die Häupter der Protestanten Anfang 1531 den Schmalkaldischen Bund (s. d.) zur Verteidigung der evangelischen Freiheit und Abwehr aller Gewalt. Indes der Wunsch, seinen Bruder Ferdinand zum römischen König gewählt zu sehen, die von neuem drohende Türkengefahr und die Unsicherheit des Friedens mit Frankreich bewogen Karl vorläufig zur Nachgiebigkeit, und so kam es zum Abschluß des Nürnberger Religionsfriedens, der den Anhängern der Augsburgischen Konfession freie Religionsübung bis zum bevorstehenden Zusammentritt eines allgemeinen Konzils gestattete. Nachdem ein stattliches deutsches Heer die Türken zurückgetrieben hatte, begab sich Karl wieder nach Spanien, von wo er nach großartigen Rüstungen die Barbareskenstaaten an der Nordküste Afrikas zu unterwerfen begann; auch in neue Kriege mit Frankreich wurde er verwickelt, während Ferdinand für die Abwehr der Türken die Hilfe des Reichs immer wieder in Anspruch nehmen mußte. Die Berufung des Konzils verzögerte die Kurie unter allerlei Vorwänden, weil ihr der Verlust von einigen Hunderttausend Ketzern weniger gefährlich erschien als die Erneuerung der Konzilsbestrebungen von Konstanz und Basel.

So war den Protestanten eine längere Frist geschenkt, welche sie nicht säumten sich für die Ausbreitung der Reform nutzbar zu machen. Philipp von Hessen führte 1534 den 1519 vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg in sein von Österreich besetztes Land zurück, das nun dem Luthertum sich anschloß. In Norddeutschland mehrten sich die Anhänger der neuen Lehre von Tag zu Tag; selbst die Errichtung eines phantastisch-tollen Wiedertäuferreichs in Münster, welches durch die vereinigte Macht protestantischer und katholischer Fürsten 1535 vernichtet wurde, konnte die Ausbreitung des Protestantismus nicht hemmen. Brandenburg, Meißen, die pfälzischen Linien, endlich auch der Kurfürst Otto Heinrich von der Pfalz selbst, eine Anzahl Städte, ja sogar schon Bischöfe traten zur Reformation über. Die Bevölkerung in den Gebieten katholischer Fürsten, sogar in Böhmen und Österreich, war zum guten Teil protestantisch. Der einzige Fürst im Norden, welcher der alten Kirche treu blieb, Herzog Heinrich von Braunschweig, wurde infolge von gewaltthätigen Angriffen auf die Reichsstädte Goslar und Braunschweig vom Schmalkaldischen Bund aus seinen Landen vertrieben (1542). Selbst bei der Kurie regte sich ein versöhnlicher Geist; einflußreiche Kardinäle waren dafür, durch ehrliche Anerkennung der berechtigten Reformforderungen der Protestanten die Einheit der Kirche wiederherzustellen. 1540-41 wurden wiederholt Unterhandlungen eingeleitet und Religionsgespräche veranstaltet, um die friedliche Verständigung zwischen beiden Parteien anzubahnen, und auch Karl V. kam den Protestanten, deren Hilfe er von neuem gegen die Türken und gegen Frankreich bedurfte, im Regensburger Interim und im Reichsabschied vom 29. Juli 1541 auf das nachgiebigste entgegen: der Nürnberger Religionsfriede wurde bestätigt, die Ausschließung der Protestanten vom Kammergericht aufgehoben, der Übertritt zu ihrer Lehre jedermann erlaubt und eine christliche Ordnung und Reformation auf einem gemeinen oder Nationalkonzil versprochen.

Aber so weit auch der Kaiser in seinen Zugeständnissen ging, eine Restauration der einheitlichen Kirche, wenn auch nicht ohne Reform, behielt er sich immer noch vor. Auch diese drohte unmöglich zu werden, als der Kurfürst von Köln, Hermann von Wied, sein Stift zu reformieren begann. Hatten die Protestanten erst die Majorität im Kurfürstenkollegium, und griff die Säkularisation der geistlichen Gebiete weiter um sich, so war bei der Stimmung des Volkes die dauernde Begründung des evangelischen Kirchentums durch den Kaiser und die wenigen katholischen Stände nicht mehr rückgängig zu machen und die Protestanten auch nicht mehr theoretisch zur Unterwerfung unter die päpstliche Autorität zu bringen. Karl unterbrach daher im vierten französischen Krieg (1542-44) seinen Siegeslauf, der ihn bis in die Nähe von Paris geführt, schloß 1544 plötzlich mit Franz I. den Frieden von Crépy, in dem er sich mit dem Stande der Dinge vor dem Krieg begnügte, erreichte dann endlich vom Papste die Berufung eines allgemeinen Konzils nach Trient, einer zwar südlich der Alpen, aber im Reichsgebiet gelegenen Stadt, wo es im Dezember 1545 eröffnet wurde, und forderte nun die Protestanten auf dem Wormser Reichstag (Mai 1545) zur Beschickung desselben auf. Indes diese weigerten sich, weil sie in Trient der überwiegenden Mehrheit italienischer Prälaten gegenüber auf gerechte Behandlung nicht rechnen konnten, und bestanden auf einem freien deutschen Nationalkonzil. Jetzt entschloß sich der Kaiser zur Anwendung von