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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1848. Erhebung Schleswig-Holsteins).

rechte des deutschen Volkes" zuwendete. Die Debatten über diese theoretischen Paragraphen waren eingehend, teilweise gediegen und mitunter heftig, zogen sich aber endlos hin und wurden durch eine wichtige Frage der auswärtigen Politik unterbrochen.

Das Parlament und die Zentralgewalt hatten den Versuch gemacht, D. dem Ausland gegenüber als einen einheitlichen Staat zu repräsentieren. Aber ihre Bevollmächtigten hatten an den Höfen der Großmächte ebensowenig eine förmliche Anerkennung erlangen können wie die neue schwarz-rot-goldene Kriegs- und Handelsflagge. Dennoch beanspruchten sie, auch in der äußern Politik die höchste Instanz für die deutschen Staaten zu bilden. Als die Erhebung Schleswig-Holsteins gegen Dänemark im März 1848 wegen ungenügender Streitkräfte zu scheitern drohte, hatte der Bundestag Preußen damit beauftragt, die Unabhängigkeit der Herzogtümer zu schützen, und Friedrich Wilhelm war auch bereitwillig darauf eingegangen. Im Verein mit den Schleswig-Holsteinern schlugen die Preußen unter Wrangel 23. April die Dänen bei Schleswig und rückten im Mai in Jütland ein. Die Nationalversammlung faßte 2. Juni die Resolution, daß energische Maßregeln getroffen werden müßten, um den Krieg zu Ende zu führen und beim Friedensschluß die Rechte der Herzogtümer und die Ehre Deutschlands zu wahren. Am 1. Aug. befahl der Reichsverweser den Marsch eines beträchtlichen süddeutschen Heers nach dem Kriegsschauplatz. Die energische Intervention Englands und Rußlands zu gunsten Dänemarks jedoch, die Lähmung des preußischen Handels durch die dänische Blockade, gegen welche D. ohne Kriegsflotte wehrlos war, und die geheime Abneigung Friedrich Wilhelms gegen die Schleswig-Holsteiner, welche er für Rebellen gegen ihren rechtmäßigen König hielt, bewogen die preußische Regierung, 26. Aug., ohne die Genehmigung der Reichsregierung vorzubehalten, den Waffenstillstand von Malmö mit Dänemark auf sieben Monate abzuschließen, der alle Beschlüsse der provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein für ungültig erklärte und eine halb von Dänemark, halb von Preußen ernannte gemeinschaftliche Regierung einsetzte.

Die Nachricht hiervon rief in Frankfurt allgemeine Entrüstung hervor. Der Antrag der Rechten, in anbetracht der Zwangslage Preußens den Waffenstillstand dennoch zu genehmigen, wurde bei der ersten Verhandlung der schleswig-holsteinischen Angelegenheit 5. Sept. abgelehnt. Als aber nun das Reichsministerium zurücktrat und ein neues zu bilden nicht gelang, genehmigte die Majorität der Versammlung bei einer zweiten Verhandlung 16. Sept. den Vertrag vorbehaltlich einiger Modifikationen. Inzwischen hatte die äußerste Linke die Volksmassen, die in Frankfurt zusammengeströmt waren, durch agitatorische Reden gegen die Versammlung aufgereizt. Eine große Volksversammlung auf der Pfingstweide 17. Sept. erklärte die 258 Abgeordneten, welche für den Vertrag gestimmt hatten, für Verräter des Volkes, der deutschen Freiheit und Ehre. Am 18. Sept. war die Nationalversammlung selbst ernstlich bedroht; ein allgemeiner Aufstand war organisiert und Barrikaden erbaut. Österreichisches und preußisches Militär schützte die Paulskirche, nahm die Barrikaden und trieb das Volk auseinander; dagegen fielen zwei Abgeordnete, General v. Auerswald und Fürst Lichnowski, der Volkswut zum Opfer. Die Republikaner versuchten nun an andern Orten Erhebungen des Volkes zu veranlassen. Struve machte einen Einfall von Basel in das Badische und proklamierte die Republik, indes wurde er rasch vertrieben, und auch sonst blieben die Bewegungen erfolglos.

Die Majorität der Versammlung erkannte jedoch nun, daß sie mit den Regierungen engere Fühlung suchen und die Beratung der Verfassung rasch zu Ende führen müsse, um den radikalen Wühlereien nicht so viel Spielraum zu gönnen. Am 20. Okt. wurde die Beratung der Grundrechte vorläufig abgebrochen und mit der Beratung über den Verfassungsentwurf begonnen, welchen der Verfassungsausschuß 8. Okt. vorgelegt hatte. Derselbe wurde in den Hauptpunkten angenommen: die Reichsgewalt erhielt die ausschließliche Vertretung Deutschlands nach außen, die Verfügung über die ganze Heeresmacht und das Recht der Gesetzgebung auf allen Gebieten der materiellen Entwickelung, des Handels und Verkehrs. Eine besondere Tragweite hatte die Bestimmung des Entwurfs, daß jeder deutsche Staat, der mit nichtdeutschen Territorien verbunden sei, dieselben nur in Personalunion besitzen dürfe. Dieselbe war gegen Österreich gerichtet, dessen Regierung nach den Siegen Radetzkys in Italien und nach der Einnahme Wiens durch Windischgrätz (31. Okt.) die habsburgischen Lande durch eine Gesamtstaatsverfassung enger zu vereinigen strebte und ihre Geringschätzung der Frankfurter Versammlung und ihre Absicht, sich nicht durch deren Verfassung binden zu lassen, in schroffster Weise dadurch kundgab, daß sie zwei Abgeordnete derselben, die in Wien hatten Frieden stiften sollen, verhaften und den einen, Robert Blum, den gefeierten Führer der Linken, 9. Nov. erschießen ließ. Der österreichische Ministerpräsident erhob sogar 27. Nov. in seinem Regierungsprogramm den Anspruch, daß die Stellung Österreichs zu D. erst dann geregelt werde, wenn ersteres zu neuen, festen Formen gelangt sei, bis dahin aber Österreich seinen Bundespflichten treulich nachkommen, also nicht ausscheiden werde; er verlangte also unbedingte Unterordnung der deutschen unter die österreichischen Interessen. Der Gegensatz Österreichs zu den Zielen der Nationalversammlung war damit so deutlich ausgesprochen, daß Schmerling 17. Dez. das Präsidium des Reichsministeriums niederlegte. Dasselbe übernahm Heinrich v. Gagern, an dessen Stelle als Präsident der Nationalversammlung der bisherige Vizepräsident, Simson, trat.

Mit entschiedener Offenheit trat Gagern 18. Dez. mit seinem Programm (der sogen. kleindeutschen Partei) vor die Versammlung, das die Trennung Österreichs von D. und die Regelung der Verhältnisse beider zu einander durch eine zu vereinbarende Bundesakte als den einzigen Weg zur Rettung des Bundesstaats bezeichnete. Hiermit erleichterte er jedoch Österreich und seinen Anhängern ihre Stellung, indem sie, anstatt selbst Vorschläge zu einer bundesstaatlichen Verfassung mit Gesamtösterreich machen zu müssen, die sich sofort als unmöglich erwiesen hätten, nun mit einer negativen Kritik und Opposition sich begnügen durften, wobei sich ihnen Ultramontane und Radikale bereitwilligst anschlossen. Die österreichische Regierung protestierte 28. Dez. formell gegen das Gagernsche Programm und erklärte, daß die deutsche Verfassungsfrage nur gelöst werden könne auf dem Weg der Verständigung mit den deutschen Regierungen, unter welchen die kaiserliche den ersten Platz einnehme. Dazu kam, daß die liberalen Anhänger Preußens durch den Bruch der preußischen Regierung mit der dortigen Nationalversammlung, die Berufung des konservativen Ministeriums Brandenburg und die Oktroyierung einer Verfassung (5. Dez.) mißtrauisch gemacht worden waren. Daher wurde Gagern die