Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Drama; Dramatik; Dramatomanie; Dramatopöie; Dramaturg; Dramaturgie

117

Drama - Dramaturgie.

dem Tragischen das Komische und umgekehrt beigemengt. Dabei liegt der Unterschied des spanischen vom englischen D. darin, daß bei beiden das schließliche Schicksal des Handelnden zwar mit Rücksicht auf dessen That bestimmt, aber in jenem durch eine außerhalb des Handelnden stehende Macht (im Lustspiel durch den neckenden Zufall, im Trauerspiel durch die gnädige oder ungnädige Laune der Gottheit), in diesem dagegen ausschließlich durch den Handelnden selbst (dessen Selbstverstrickung in die Folgen seiner That) herbeigeführt wird. Die Höhe des Dramas in Spanien bezeichnet nach dessen volkstümlicher Seite hin Lope de Vega, nach dessen höfisch-kunstmäßiger Calderon; jene des Dramas in England Shakespeare. Jenes behält etwas Konventionelles, weil nach katholischer (überhaupt nach geistlicher) Vorstellung der natürliche Gang der Handlung jederzeit durch ein göttliches Wunder unterbrochen werden kann und oft genug wirklich wird; das D. Shakespeares dagegen stellt die rein menschliche (weltliche) Auffassung dar, nach welcher jeder der Schmied seines Schicksals ist. Nach ihm haben durch Ben Jonson und dessen Schule antike und französische Einflüsse auch in England Eingang gefunden. In Frankreich, dem einstigen Sitz des mittelalterlichen Schauspiels, kämpften im Anfang spanische mit antik-klassischen Mustern; letztere, vornehmlich durch den Einfluß der von Richelieu gestifteten Akademie, gewannen die Oberhand, und die französische Tragödie wurde durch Corneille nach den Vorschriften des von ihm selbst mißverstandenen Aristoteles geschaffen. Die Anlage der Handlung wurde durch die überflüssige Forderung der sogen. "Einheit des Ortes und der Zeit" unnatürlich eingeschränkt, aber die Einheit und Geschlossenheit der Handlung, die übersichtliche Motivierung und die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die innern Konflikte des Handelnden in hohem Grad erreicht. Dagegen ward durch den Mangel an sichtbaren Ereignissen die rhetorische Ausschmückung begünstigt, durch das Streben nach Anstand und formeller Gemessenheit nicht selten die Naturwahrheit und Freiheit des Ausdrucks gehemmt. Corneille, Racine und Voltaire in der Tragödie, Molière in der Komödie, welche, dem rationalen Wesen des französischen Geistes entsprechend, hauptsächlich Charaktergemälde ist, bezeichnen die Blüte des Dramas in Frankreich. Die Philosophie des 18. Jahrh., das Zeitalter der Rückkehr zur Natur und der Aufklärung, brachte auch im französischen D. eine Umwandlung hervor, die sich in der Erfindung des sogen. bürgerlichen Trauerspiels durch Diderot, das die Tragik im alltäglichen Leben und in Prosa behandelte, und des modernen Sittenbildes durch Beaumarchais, das die zeitgenössischen Einrichtungen dem Gelächter oder der Entrüstung preisgab, offenbarte. Die Wirkung derselben wurde in Deutschland sichtbar, das bis dahin unter Gottscheds Führung, der den Hanswurst in Leipzig, wie Sonnenfels in Wien, von der Bühne verbannte, das klassische D. der Franzosen nachgeahmt hatte. Lessing, der Geistesverwandte Diderots, machte durch seine Dramaturgie letzterm Einfluß ein Ende, schuf aber selbst ein deutsches D. (Trauerspiel und Lustspiel) in Prosa nach dem Vorgang Diderots. Indem er gleichzeitig auf die Alten und Shakespeare als Muster des Dramas hinwies, zeigte er dem klassischen D. in Deutschland den Weg, welchen Goethe (in seinen Jugenddramen mehr an Shakespeare, in seiner Reife mehr an die Alten, in seinem "Faust" an die Mysterien des Mittelalter sich anlehnend) und vor allen der nationalste Dramatiker Deutschlands, Schiller, einschlug, in welch letzterm die Versöhnung beider Gegensätze am weitesten gediehen ist. Seitdem hat keine Bereicherung der Geschichte des Dramas durch neue Originalrichtungen, wohl aber der Litteratur desselben durch virtuose Belebung vorhandener stattgefunden. Nicht nur haben die deutschen Romantiker in allen dramatischen Stilarten sich versucht, die modernen Charakteristiker (H. v. Kleist, Grabbe, Hebbel, Ludwig u. a.) sich insbesondere Shakespeare zum Vorbild genommen, sondern auch im französischen D. ist, in der Tragödie durch die Nachahmung Shakespeares und des spanischen Theaters, in der Komödie durch die geistreiche, aber frivole Behandlung sozialer Probleme, ein Umschwung herbeigeführt worden, der durch die Namen Victor Hugo, A. Dumas, A. de Vigny u. a. bezeichnet wird. Im Konversationsstück ist Scribe, dank der gesellschaftlich noch immer tonangebenden Stellung der Franzosen, das kosmopolitische Muster und seine Darstellungsweise zum Spiegel, die (weder moralische noch moralisierende, aber im Sinn der französischen "Moralisten") moralistische oder Sittenkomödie Beaumarchais' durch die dramatischen Sittenbilder der A. Dumas Sohn, E. Augier, V. Sardou, Pailleron u. a. zum lehrreichen Sittenspiegel der modernen Gesellschaft geworden. Bedeutsame Aufschlüsse über das Wesen des Dramas geben Lessings "Hamburger Dramaturgie" und Schillers und Goethes Briefwechsel. Vgl. außerdem A. W. Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur (Heidelb. 1809, 2. Aufl. 1817); Freytag, Die Technik des Dramas (4. Aufl., Leipz. 1881); Carriere, Die Kunst im Zusammenhang der Kulturentwickelung (3. Aufl., das. 1877 ff., 5 Bde.); Klein, Geschichte des Dramas (das. 1865-76, 13 Bde., unvollendet); Prölß, Geschichte des neuern Dramas (das. 1880-83, 3 Bde.).

Drama, Hauptstadt eines Kazas im türk. Wilajet Salonichi, mit guten Schulen, Tabaksbau, Baumwollspinnereien und 10,000 Einw., Sitz eines Mutessarifs und eines griechischen Erzbischofs. In der östlichen und südlichen Umgegend bedeutende Reispflanzungen. D. ist das alte Drabeskos (s. d.).

Dramatik (griech.), s. v. w. dramatische Poesie; Dramatiker, Schauspieldichter; dramatisch, in der Weise eines Dramas, dazu gehörig; dramatisieren, einen Stoff dramatisch behandeln.

Dramatomanie (griech.); Versessenheit auf Schauspiele, Schauspielwut, -Sucht.

Dramatopöie (griech.), Abfassung und Aufführung von Dramen.

Dramaturg (griech.), einer, welcher der Regie einer Bühne als Berater vom Standpunkt der Kunstwissenschaft aus zur Seite steht.

Dramaturgie (Dramaturgik, griech.), bei den Griechen Bezeichnung für die Darstellung eines Dramas sowie für die Verfertigung eines solchen, während sie Schriften über dramatische Dichtungen und deren Aufführung Didaskalien nannten. In neuerer Zeit hat das Wort D. eine wesentlich andre und sehr dehnbare Bedeutung erhalten, so daß man jetzt die ganze Lehre vom Drama darunter versteht, des dichterischen Teils sowohl als der theatralischen Ausführung in Darstellung und szenischen Mitteln, obschon es zur Zeit noch fast ganz an Schriften fehlt, die diesem umfassenden Sinn des Wortes entsprächen. Die meisten dramaturgischen Schriften beschäftigen sich nur mit einzelnen Teilen einer solchen Lehre. Für ein zusammenfassendes Werk bietet besonders das Verhältnis der Musik zum Drama eine be-^[folgende Seite]