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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Elsaß-Lothringen

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Elsaß-Lothringen (Geschichte: 15.-17. Jahrh.).

mit ihnen Verbündeten im Sundgau, insbesondere der Stadt Mülhausen, zu rächen, einen Teil seiner elsässischen Besitzungen dem Herzog Karl dem Kühnen. Doch war es dem Zusammenwirken Straßburgs mit andern links- und rechtsrheinischen Städten zu danken, daß die Vögte und Söldner Karls des Kühnen aus dem Elsaß verjagt wurden. Hierauf trat Straßburg dem großen Bund Lothringens und der Schweizer gegen Karl den Kühnen bei, und seine Truppen fochten bei Granson und Nancy, wo der Burgunderherzog seinen Tod fand.

Wie aber die politischen Verhältnisse des Elsaß durchaus und überall an Deutschland und sein Verfassungsleben anknüpften, so waren auch das gelehrte und künstlerische Schaffen in den mittelalterlichen Klöstern, die religiöse Richtung und die Geschichtschreibung der bürgerlichen Kreise, die Entwickelung des Baustils, aus welcher die großartigsten Denkmäler des Mittelalters hervorgingen, durchaus deutsch. Der Mönch Otfried von Weißenburg unternimmt seine Übersetzung der Evangelien in deutsche Verse mit dem bewußten Zweck, damit die Deutschen das Lob Gottes in ihrer Zunge singen könnten. Das Rittertum, welches von Frankreich die allerstärksten Antriebe erhalten hatte, nimmt in der Liebesdichtung Reinmars von Hagenau und in dem berühmtesten Roman des Mittelalters, in des Straßburger Gottfried "Tristan und Isolt", wesentlich deutsche Charakterzüge auf. In der Zeit der Vertiefung des religiösen Geistes in Deutschland waren es die Elsässer, unter denen die Lehre der Mystiker die unglaublichsten Erfolge hatte. Meister Eckard war zwar nicht im Elsaß geboren, wirkte aber befruchtend, wie nirgends, in Straßburg, und Johannes Tauler, in Straßburg um 1300 geboren, verdunkelte fast den Ruhm jenes seines Lehrers. Die "Gottesfreunde" im Elsaß bildeten einen Bund, welcher für die deutsche Reformation eine ähnliche Stellung erwarb wie die Lollharden in England für die anglikanische Kirche. In der Entwickelung der echt deutschen Geschichtschreibung geht das Elsaß fast allen andern Stämmen voran. Eine popularisierende Absicht verfolgten die thätigen Dominikaner des Elsaß in der Geschichtschreibung, wenn sie sich auch zunächst, wie die Verfasser der "Kolmarer Chroniken", von dem Gebrauch der Gelehrtensprache nicht trennten; auch in Straßburg wurde die erste bürgerliche Stadtgeschichte auf Geheiß des angesehenen Herrn Ellenhard "vor dem Münster" lateinisch verfaßt und erst später von dem Priester Closener übersetzt. Der letztere brachte im 14. Jahrh. eine ganze Sammlung Straßburger Historien zusammen, welche von Jakob von Königshofen (bis 1420) wesentlich erweitert und mit Zuthaten andrer einheimischer Geschichtschreiber, wie des Matthias von Neuburg, Alberts von Straßburg u. a., versehen wurden.

Während hierauf im 15. Jahrh. der Mainzer Patrizier Johann Gensfleisch von Gutenberg zu Straßburg die erste Buchdruckpresse aufstellte, Martin Schön oder Schongauer zu Kolmar seine weitberühmten Kupfertafeln gravierte, begann in der fruchtbaren Litteratur des Elsaß der Vorkampf der Reformation. Geiler von Kaisersberg, Wimpheling und Sebastian Brant waren die jedem Deutschen wohlbekannten Männer, welche den Boden des südwestlichen Deutschland für die Überzeugungen der Reformation vorbereiteten. Selbst der Franziskaner Thomas Murner, welcher vor der wirklichen Erscheinung des neuen Geistes zur Umkehr riet und seine Satire gegen Luther richtete, hatte doch durch seine frühern Bücher geholfen, das Mittelalter zu begraben.

Elsaß seit der Reformation.

Die Reformation nahm von den elsässischen Städten und insbesondere von Straßburg im ersten Anlauf Besitz. Unter den Reformatoren von Straßburg trat Matthias Zell aus Kaisersberg zuerst als Anhänger Luthers auf, fand aber bald Helfer seiner Bestrebungen in Wolfgang Köpfel, Capito genannt, aus Hagenau, Kaspar Hedio aus Ettlingen in Baden und vor allen in Martin Bucer, welcher durch seine vermittelnde Stellung unter den Reformatoren eine weit über das Elsaß hinausgehende Bedeutung erlangte. Bucer wirkte in Straßburg von 1523 bis zur Einführung des Interim nach dem Augsburger Reichstag 1548. Einer der wichtigsten Augenblicke der Geschichte des Elsaß war es, als der Rat 20. Febr. 1529 mit Zustimmung der gesamten Schöffenversammlung die Messe abschaffte. Aber eben in dieser Zeit begann sich in den großen Reichskörperschaften unter der Führung des habsburgischen Hauses eine katholische Reaktion bemerkbar zu machen. Blutige Verfolgungen der Anhänger der neuen Lehre waren im Elsaß besonders seit dem Bauernkrieg an die Tagesordnung gekommen. Nach der Beendigung desselben schritt die österreichische Herrschaft, soweit ihre Macht reichte, besonders im Sundgau zur Ausrottung der evangelischen Lehre, welche mit der Sache der Bauern zusammengeworfen wurde. Den einheimischen Ketzergerichten und den Beschlüssen der Reichstage von 1529 und 1530 hätte die elsässische Reformation zum Opfer fallen müssen, wenn nicht das Straßburger Stadtregiment unter der Leitung des Stadtmeisters Jakob Sturm von Sturmeck (s. d.) klug und gemäßigt allen Angriffen des Katholizismus Widerstand zu leisten vermocht hätte. Schon von Beginn des Schmalkaldischen Bundes an war Straßburg Mitglied desselben. Daß sich die Stadt auf dem Augsburger Reichstag zur reformierten Lehre der Schweizer bekannte, hinderte nicht ein eifriges politisches Zusammenhalten mit den lutherischen Ständen. Im Schmalkaldischen Krieg standen die Straßburger Bundestruppen unter Schärtlins Kommando. Da aber der Bund unterlag, so mußte sich der Stadtrat bequemen, die kaiserlichen Mandate auszuführen, bis der Augsburger Religionsfriede auch den elsässischen Reichsständen Ruhe und Sicherheit gewährte. Es folgte die Zeit, wo Johannes Sturm seine epochemachenden Schulreformen durchführte und auf der vom Kaiser Maximilian II. gegründeten Straßburger Akademie ein reges wissenschaftliches Leben begann. Damals geschah es auch, daß Fischart zu Straßburg den Stoff zu seinen unvergleichlichen Schöpfungen fand und Daniel Specklin, ebenfalls ein geborner Straßburger, neben seinen geographischen und historischen Arbeiten dem Elsaß den Ruhm erwarb, den ersten militärischen Baumeister zu besitzen.

Der erste ernstliche Versuch, Straßburg dem französischen Reich einzuverleiben, wurde vom König Heinrich II. von Frankreich gemacht, als er Metz, Toul und Verdun dem Deutschen Reich entriß. Die Verlockungen und Drohungen des französischen Hofes vermochten jedoch die Straßburger nicht einzuschüchtern. Eine der entscheidendsten Wendungen im gesamten Schicksal des Elsaß in der neuern Zeit trat durch den Vertrag der österreichischen Erzherzöge mit der Krone von Spanien 20. März 1617 ein, wonach alle Rechte des habsburgischen Hauses im Elsaß an die spanische Linie desselben abgetreten wurden. Man muß diesen Umstand im Auge behalten, wenn man die zunehmenden Sympathien für Frankreich während des Dreißigjährigen Kriegs unter den Elsässern rich-^[folgende Seite]