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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Erbpacht

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Erbpacht.

Die Erbpacht ist die entgeltliche Überlassung der Nutzung eines Landguts auf ewige Zeit von dem Grundeigentümer (Erbverpachter, Vererbpachter) an einen andern (Erbpachter) unter der Voraussetzung der Erfüllung bestimmter Bedingungen. Diese Bedingungen sind nach gemeinem Recht: 1) Bei Antritt der Erbpacht die Zahlung des Erbbestandsgeldes (Erbstandsgeldes), das wesentlich die Natur eines Kaufgeldes (des ganzen oder teilweisen) für die dem Erbpachter überlassenen mobilen Werte (Inventar), Gebäude und Feldbestellung hat. 2) Während der Dauer der Erbpacht die Zahlung einer jährlichen unablösbaren Rente, des sogen. Kanons (der Naturalzins, Geldzins oder auch beides sein und als Geldzins in Geld oder Roggenwert bestimmt sein kann). 3) Die Verpflichtung, das Gut nicht zu verschlechtern. Die Nichterfüllung der letzten beiden Bedingungen berechtigt den Eigentümer, die Erbpacht ohne weitere Entschädigung des Erbpachters aufzuheben. Letzterer kann das Gut bis zur Grenze der Verschlechterung frei benutzen. Ohne Zustimmung des Erbverpachters darf er es nicht teilen, doch kann er, wenn der Vertrag oder die gesetzliche Erbordnung nichts andres bestimmt, es frei veräußern, verpfänden und vererben. Freilich sind thatsächlich gewöhnlich im Vertrag, nicht selten auch nach Partikularrecht gesetzlich Verkauf und Verpfändung von der Zustimmung des Erbverpachters abhängig gemacht, diesem auch das Vorkaufsrecht vorbehalten. In der Regel ist ferner an diesen bei Verkäufen eine Quote des Kaufpreises als "laudemium", nicht selten auch sonst noch eine Besitzveränderungsabgabe, von der aber Erben in absteigender Linie gewöhnlich befreit sind, zu zahlen.

Das Erbzinsgut ist ebenso wie das Erbpachtgut ein vertragsmäßig erblich gegen einen ständigen unablösbaren Zins verliehenes (census reservativus) oder gegen Überlassung eines Kapitals mit einem solchen Zins (census constitutivus) belastetes Gut. Aber es wird bei der Erbzinsleihe kein Kaufpreis beim Antritt der Leihe gezahlt, und der Erbzins ist nicht als Vergütung für den Nutzungswert des Guts, sondern als Bekenngeld des Obereigentums und der Rechte des Erbzinsherrn zu betrachten. Auch ist die Verschlechterung nicht unbedingt ein gesetzlicher Entziehungsgrund. Dann finden sich weniger häufig die Beschränkungen des Rechts der Veräußerung und Verpfändung. Im übrigen ist das Rechtsverhältnis von dem der Erbpacht nicht wesentlich verschieden.

Unwiderrufliche Landleihen dieser Art gegen festen Zins kamen in Deutschland vor mit und ohne Verminderung des persönlichen Rechtsstandes der Beliehenen, in der letztern Weise schon im Mittelalter bei Übertragung (Oblation) freier Güter an geistliche Stifter und andrer Grundherren, bei neuen Ansiedelungen (Kolonisationen), ferner, namentlich in Südwestdeutschland, auf den Grundstücken, welche den Städten oder den in Städten ansässigen geistlichen und weltlichen größern Grundbesitzern gehörten, dann aber auch in der neuern Zeit, insbesondere im 18. Jahrh., wo die Landesherren (besonders in Preußen und Schleswig-Holstein), auch öffentliche Korporationen und einzelne Großgrundbesitzer ihr Land durch Vererbpachtung an kleine und mittlere Landwirte in der rationellsten Weise zu benutzen, die erstern überdies dadurch die Hebung der bäuerlichen Bevölkerung und der Landeskultur zu fördern suchten.

Auch in vielen nichtdeutschen Staaten entstanden diese und andre unwiderrufliche Landleihen gegen festen Zins seit dem Mittelalter und erstreckten sich allmählich auf den größten Teil der Bauerngüter.

In vielen europäischen Staaten erfolgte aber im letzten Jahrhundert durch die Intervention des Staats die Aufhebung derselben. Bei Gelegenheit der Beseitigung aller aus der Grundherrschaft und Hofhörigkeit entsprungenen Rechtsverhältnisse und der Befreiung des Bodens von den auf ihm ruhenden kulturschädlichen Lasten wurde auch das Erbpacht- und Erbzinsverhältnis dadurch aufgehoben, daß die betreffende Gesetzgebung den Kanon und die sonstigen Leistungen des Erbpachters oder Erbzinsmanns für ablösbar erklärte und sein erbliches Nutzungsrecht oder Miteigentum in volles Eigentum verwandelte. In gleicher Weise wurde die Ablösbarkeit der auf dem Grundeigentum als Reallast ruhenden Renten angeordnet und endlich sowohl die neue Konstituierung von Erbpacht- und Erbzinsverhältnissen als der Vorbehalt unablöslicher Grundrenten bei Eigentumsübertragungen untersagt.

Voran ging in dieser Richtung die französische Gesetzgebung in und seit der großen Revolution. Aber sie gestattete doch noch die Emphyteusis (s. d.) bis auf 99 Jahre. Ihr folgten andre Gesetzgebungen, so auch die preußische, die indes in stärkerer Abneigung gegen diese Verhältnisse die Vertragsfreiheit noch weiter einschränkte (insbesondere durch § 91 des Gesetzes vom 2. März 1850, dessen Bestimmungen auch in den nach 1866 erworbenen Provinzen Gültigkeit erlangten). Die meisten andern deutschen Staaten gingen ebenso entschieden wie Preußen vor. Einige, z. B. Sachsen, gewährten wie Frankreich größere Freiheit in Bezug auf Festsetzung der Ablösungsbedingungen neuaufgelegter fester Geldrenten, verboten aber ebenfalls jede Art unablöslicher Grundlasten. Eine entgegengesetzte Politik befolgten die beiden Mecklenburg. Dort ließ man nicht nur die zahlreichen Erbpachtgüter bestehen, sondern nahm auch noch im letzten Jahrzehnt auf den Domänen viele neue Vererbpachtungen vor. Auch in verschiedenen kleinern deutschen Staaten (Sachsen-Weimar, Schwarzburg-Rudolstadt, Oldenburg, Meiningen, Sachsen-Altenburg, Gotha, Braunschweig u. a.) sind die Erbpacht- und Erbzinsverhältnisse noch nicht beseitigt.

In neuester Zeit ist eine Gegenströmung gegen diese Gesetzgebung bemerkbar. Man macht geltend, daß die schädlichen wirtschaftlichen Wirkungen der frühern Erbpacht- und Erbzinsverhältnisse ihren Grund nur in den Nebenbestimmungen der Verträge hatten, und daß deshalb die völlige Beseitigung derselben, wie sie in Preußen vorgenommen wurde, nicht zu rechtfertigen sei. Die Erhaltung des mittlere Bauernstandes sei bei einer Gesetzgebung, die nur Zeitpachtverhältnisse und ein freies, volles Eigentum gestatte, in der heutigen Volkswirtschaft gefährdet. Um dieser Gefahr zu begegnen und dem in den östlichen Provinzen Preußens empfundenen Bedürfnis zu genügen, landwirtschaftliche Arbeiter seßhaft zu machen, sei es geboten, auch solche Rechtsformen für kleine und mittlere landwirtschaftliche Unternehmer zu gestatten; bei denen weniger bemittelte Personen teils ohne Kapitalanzahlungen und -Abzahlungen Güter zu Eigentum erwerben, aber nicht frei teilen, teils als Pachter in den gesicherten vollen Nutzungsbesitz von Gütern auf ewige Zeit oder doch auf sehr lange Zeit gelangen könnten und dafür gesorgt sei, daß sie Kulturverwendungen aller Art ohne Gefahr des Verlustes vornehmen könnten.

Zu den Rechtsformen dieser Art gehören: der Rentenkauf (Kauf eines Gutes gegen eine unablösbare Rente), bei welchem gesetzlich dem Rentenberechtig-^[folgende Seite]