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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ernährung

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Ernährung (die Nährstoffe des Tierkörpers).

wiedergewinnt. Die Pflanze verfährt dabei in der Weise, daß sie aus der Atmosphäre und aus dem Boden eine Reihe anorganischer Stoffe von einfacher chemischer Konstitution (binäre Sauerstoffverbindungen) als Nahrungsmittel in sich aufnimmt, diese unter dem Einfluß des Sonnenlichts zerlegt, aus ihnen den Sauerstoff abscheidet und die übrigbleibenden Elemente jener Verbindungen so umgruppiert, daß organische Stoffe von komplizierterer chemischer Konstitution (ternäre und quaternäre Verbindungen) daraus hervorgehen, während ihr Sauerstoff an die Atmosphäre abgegeben wird. Der Tierkörper dagegen wandelt die direkt oder indirekt aus der Pflanzenwelt entnommenen organischen Stoffe wiederum in einfachere anorganische Stoffverbindungen um, indem er sie verbrennt, d. h. indem sie mit dem aus der Atmosphäre eingeatmeten Sauerstoff sich verbinden. Die Rolle, welche die Pflanzen in dem großen Kreislauf des Stoffes spielen, ist also derjenigen der Tiere gerade entgegengesetzt. Denn die Pflanze zersetzt Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, die sie aus Luft und Boden aufgenommen hat, und erzeugt daraus Eiweißstoffe, Fette und Kohlehydrate, indem sie gleichzeitig Sauerstoff ausscheidet. Das Tier dagegen verzehrt die Eiweißstoffe, die Fette und Kohlehydrate, zersetzt sie mit Hilfe des eingeatmeten Sauerstoffes und erzeugt dabei Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, welche ausgeschieden werden. Man kann somit den Tierkörper mit einem Oxydationsapparat, den Pflanzenkörper mit einem Reduktionsapparat vergleichen. Mit dem besprochenen Kreislauf des Stoffes geht aber immer Hand in Hand ein Kreislauf der Kraft. Die reduzierende Thätigkeit des Pflanzenkörpers geschieht nur unter dem Einfluß des Sonnenlichts und eines bestimmten Wärmegrades: die Pflanze verbraucht Wärme, dafür aber häuft sie in ihren Substanzen eine entsprechende Masse von Spannkräften auf, welche später wieder in lebendige Kraft umgesetzt werden kann. Letzteres geschieht durch den Tierkörper, denn indem dieser die als Nahrung aufgenommenen Pflanzenstoffe verbrennt, erzeugt er nicht bloß Wärme, sondern auch lebendige Kraft, welche als Arbeit des Tiers in die Erscheinung tritt.

Der Tierkörper bedarf zu seiner E. sowohl organischer als anorganischer Nährstoffe. Die organischen Nährstoffe entstammen unmittelbar oder mittelbar der Pflanzenwelt, denn auch die zur Nahrung dienenden tierischen Bestandteile sind auf pflanzliche Nährstoffe zurückzuführen, weil das fleischfressende Tier entweder direkt oder doch jedenfalls in letzter Instanz von Pflanzenfressern sich ernährt. Organische Nährstoffe sind die Albuminate oder Eiweißkörper, die Fette und die Kohlehydrate. Ihre Bedeutung für die E. des tierischen Organismus gipfelt darin, daß sie sich mit dem der Atmosphäre entnommenen freien Sauerstoff zu verbinden vermögen. Es sind Spannkraft führende Körper, auf deren Verbrennung die Leistungen des Tiers, Bewegung, Wärmebildung etc., beruhen. Ein organischer Nährstoff ist daher für die E. des Tiers um so wertvoller, einer je vollkommnern Oxydierung er fähig ist oder: was auf das Gleiche hinauskommt, je größer die Summe von Spannkräften ist, welche er repräsentiert. Anorganische Nährstoffe sind freier Sauerstoff, welcher mit der atmosphärischen Luft eingeatmet wird und den Verbrennungsprozessen im Körper vorsteht, ferner das Wasser, welches als allgemeines Lösungsmittel der übrigen Körperbestandteile dient, und endlich gewisse Salze, namentlich Kochsalz, phosphorsaurer und kohlensaurer Kalk etc.

Bedeutung der Nährstoffe.

Was die physiologische Bedeutung der einzelnen Kategorien von organischen wie anorganischen Nährstoffen für die E. des Tierkörpers anbelangt, so ist in Kürze folgendes darüber zu sagen:

1) Die Eiweißkörper oder Albuminate sind stickstoffhaltige Körper von sehr komplizierter chemischer Konstitution und haben einen außerordentlichen Wert für die E., weil die Gewebe des Körpers größtenteils aus Albuminaten bestehen und der Organismus beständig, und das selbst beim Hungern, Eiweiß zersetzt. Eiweißkörper sind die teuersten von allen Nährstoffen; eine rationelle E. strebt deshalb dahin, nicht mehr Eiweiß zu verzehren, als für den Organismus erforderlich ist. Dieses Quantum ist vielfach überschätzt worden, indem man irrtümlich mit Liebig annahm, daß die Muskelarbeit wesentlich eine Funktion der Eiweißkörper sei, während Kohlehydrate und Fette niemals zur Arbeitsleistung, sondern nur zur Wärmebildung dienen sollten. Als aber Voit und Pettenkofer den Stoffwechsel während der Arbeit und während der Ruhe vergleichend studierten, da fanden sie auch während der stärksten Muskelarbeit den Eiweißzerfall im Organismus nicht größer als während der Ruhe. Die neuere Physiologie hat entschieden, daß nicht die Eiweißkörper, sondern daß die stickstofffreien Nährstoffe die Quellen der Muskelkraft sind; wenn aber trotzdem eine eiweißreiche Kost den Organismus zu weit größerer Energie befähigt, so ist dies darauf zurückzuführen, daß nur eiweißreiche Organe energisch zu funktionieren vermögen, daß aber ein bedeutender Eiweißgehalt der Organe nur durch eine verhältnismäßig große Eiweißzufuhr erhalten werden kann. Aus der Zersetzung des Eiweißes im Organismus geht eine Reihe stickstoffhaltiger Zersetzungsprodukte hervor, welche durch die Nieren ausgeschieden werden; das wichtigste derselben ist der Harnstoff.

Bei gesteigerter Eiweißzufuhr wird die Harnstoffausscheidung selbst dann erheblich vermehrt, wenn an die Arbeitsleistung des Organismus größere Anforderungen nicht gestellt werden; umgekehrt scheidet der hungernde Organismus nur minimale Mengen von Eiweiß aus, und es zeigt also der Organismus das Bestreben, sich seinen Eiweißgehalt nach Kräften zu sichern. Übrigens genügt eine Nahrung, welche genau so viel Eiweiß enthält, als im Hungerzustand zerstört wird, auch nicht annähernd zur Erhaltung des Organismus; dieser büßt vielmehr unter solchen Verhältnissen mehr und mehr an Körpermasse ein und geht schließlich nicht viel später zu Grunde als bei Entziehung der ganzen Nahrung. Ein Fleischfresser braucht zum Fristen eines selbst kümmerlichen Daseins mindestens 2½mal soviel Eiweiß, wie seinem Hungerumsatz entspricht. 100 g Nahrungseiweiß vermögen also auch nicht annähernd 100 g Körpereiweiß vor Zerfall zu schützen, und es handelt sich bei der E. keineswegs um einen bloßen Austausch der eiweißartigen Bestandteile des Körpers und der Nahrung, sondern noch unbekannte Momente gestalten den Gang der E. wesentlich anders.

Von Eiweiß allein vermag sich der Organismus nicht zu erhalten, und er geht bei ausschließlicher Eiweißzufuhr nicht viel später zu Grunde als bei völliger Nahrungsentziehung. Für den gut genährten Fleischfresser glaubt indessen Voit annehmen zu müssen, daß er sich dauernd mit fettfreiem Fleisch, also mit einer Kost, welche fast ausschließlich aus Eiweiß, Wasser und Salzen besteht, erhalten kann. Es wird das aus einem Versuch geschlossen, in welchem ein gut genährter Hund, der ausschließlich höchst fettarmes Fleisch er-^[folgende Seite]