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Essiggeist - Essigsäure.
mit Essig dargestellt werden. Offizinell sind folgende. Fingerhutessig (Acetum digitalis): 5 Digitalisblätter, 9 verdünnte Essigsäure, 36 Wasser und 5 Spiritus werden acht Tage maceriert; Meerzwiebelessig (Acetum scillae): 5 Meerzwiebelwurzel, 9 verdünnte Essigsäure, 36 Wasser und 5 Spiritus werden drei Tage maceriert.
Essiggeist, s. v. w. Aceton.
Essigmesser, s. Acetometer.
Essigmutter, s. Mycoderma.
Essigsäure (Acetylsäure) C2H4O2 ^[C_{2}H_{4}O_{2}] findet sich in der Natur teils frei, teils an Basen gebunden im Saft vieler Pflanzen, namentlich baumartiger Gewächse, im Schweiß und Muskelsaft, im Safte der Milz und andrer Drüsen, im Blut Leukämischer und nach dem Genuß zucker- und stärkemehlreicher Substanzen auch im Magen. Sie bildet sich bei sehr vielen chemischen Prozessen, z. B. bei der trocknen Destillation der meisten nicht flüchtigen organischen Körper, wie Holz (daher im Holzessig), beim Schmelzen von Zucker, Weinsäure und ähnlichen Substanzen mit Kalihydrat, bei der Fäulnis und hauptsächlich bei der Oxydation des Alkohols. Reiner Alkohol verdunstet an der Luft unverändert, läßt man ihn aber auf fein verteiltes Platin (Platinmohr) tröpfeln, so wird er schnell zu E. oxydiert. Der Platinmohr enthält verdichteten Sauerstoff, und dieser wird auf den Alkohol übertragen. Verdünnter Alkohol geht bei Gegenwart eines Ferments an der Luft gleichfalls in E. über, und darauf beruht die Essiggewinnung. Konzentrierte E. wird meist aus Holzessig dargestellt. Man neutralisiert denselben mit Kalk, verdampft die Lösung des essigsauren Kalks zur Trockne und bringt das Salz unter dem Namen Weißkalk in den Handel. Wo aber der Holzessig direkt auf E. verarbeitet werden soll, destilliert man ihn (wobei zuerst Methylalkohol, Holzgeist, übergeht), neutralisiert das Destillat, welches bedeutend reiner ist als der rohe Holzessig, mit kohlensaurem Natron, verdampft die Lösung des essigsauren Natrons (Rotsalz) zur Trockne, zerstört den größten Teil der empyreumatischen Substanzen, mit welchen das Salz verunreinigt ist, durch Schmelzen desselben und reinigt es durch Umkristallisieren. Man destilliert nun den gerösteten essigsauren Kalk mit Salzsäure oder, wenn es sich um reinere E. handelt, das essigsaure Natron mit Schwefelsäure. Zur Gewinnung der stärksten E. wird das essigsaure Natron durch Schmelzen entwässert und mit konzentrierter Schwefelsäure destilliert. Die gewonnene E. rektifiziert man, um die letzten Spuren empyreumatischer Stoffe zu zerstören, über übermangansaurem Kali. Bei starker Abkühlung scheidet sich dann reine E. in Kristallen ab, von welcher wasserhaltige Säure abgegossen werden kann. Auch aus Essig kann man durch Neutralisieren mit kohlensaurem Natron etc. E. gewinnen, in neuester Zeit aber gelingt dies auch durch Destillation, wobei man nach denselben Prinzipien verfährt und ähnliche (Kolonnen-) Apparate anwendet wie bei der Spiritusfabrikation. E. bildet eine farblose Flüssigkeit, riecht und schmeckt stechend sauer, wirkt höchst ätzend, erzeugt auf der Haut schmerzhafte Brandblasen, zieht an der Luft begierig Feuchtigkeit an, raucht in ammoniakalischer Luft, erstarrt bei 16° kristallinisch (Eisessig), siedet bei 118°, ist brennbar, mischt sich mit Wasser, Alkohol und Äther, löst einige ätherische Öle, Kampfer, Harze, fette Öle, Farbstoffe und reagiert stark sauer. Das spezifische Gewicht der reinen E. ist 1,055 bei 15°, steigt bei einem Wassergehalt bis 20 Proz. und sinkt dann wieder, so daß eine E., die 43 Proz. reine E. enthält, wieder das spezifische Gewicht 1,055 zeigt. Die folgende Tabelle zeigt den Gehalt der E. von verschiedenem spezifischen Gewicht bei 15°.
Gehalt der Essigsäure von verschiedenem spezifischen Gewicht bei 15°.
Proz. E.	Spez. Gewicht	Proz. E.	Spez. Gewicht	Proz. E.	Spez. Gewicht	Proz. E.	Spez. Gewicht
0	0,9992	26	1,0363	51	1,0623	76	1,0747
1	1,0007	27	1,0375	52	1,0631	77	1,0748
2	1,0022	28	1,0388	53	1,0638	78	1,0748
3	1,0037	29	1,0400	54	1,0646	79	1,0748
4	1,0052	30	1,0412	55	1,0653	80	1,0748
5	1,0067	31	1,0424	56	1,0660	81	1,0747
6	1,0083	32	1,0436	57	1,0666	82	1,0746
7	1,0098	33	1,0447	58	1,0673	83	1,0744
8	1,0113	34	1,0459	59	1,0679	84	1,0742
9	1,0127	35	1,0470	60	1,0685	85	1,0739
10	1,0142	36	1,0481	61	1,0691	86	1,0736
11	1,0157	37	1,0492	62	1,0697	87	1,0731
12	1,0171	38	1,0502	63	1,0702	88	1,0726
13	1,0185	39	1,0513	64	1,0707	89	1,0720
14	1,0200	40	1,0523	65	1,0712	90	1,0713
15	1,0214	41	1,0533	66	1,0717	91	1,0705
16	1,0228	42	1,0543	67	1,0721	92	1,0696
17	1,0242	43	1,0552	68	1,0725	93	1,0686
18	1,0256	44	1,0562	69	1,0729	94	1,0674
19	1,0270	45	1,0571	70	1,0733	95	1,0660
20	1,0284	46	1,0580	71	1,0737	96	1,0644
21	1,0298	47	1,0589	72	1,0740	97	1,0625
22	1,0311	48	1,0598	73	1,0742	98	1,0604
23	1,0324	49	1,0607	74	1,0744	99	1,0580
24	1,0337	50	1,0615	75	1,0746	100	1,0553
25	1,0350
Das Acidum aceticum der Pharmacopoea germanica besitzt das spez. Gew. 1,064 und siedet bei 117°. Das Acid. acet. dilutum (Acetum concentratum) vom spez. Gew. 1,041 enthält 30 Proz. E. E. wirkt gärungswidrig; stark verdünnt, schimmelt sie an der Luft und zerfällt in Kohlensäure und Wasser. Bei Einwirkung von Chlor auf E. im Sonnenlicht entstehen drei Chloressigsäuren, welche zerfließliche Kristalle bilden und zum Teil als Ätzmittel empfohlen worden sind. Behandelt man ein trocknes essigsaures Salz mit Phosphoroxychlorid, so entsteht Essigsäureanhydrid (wasserfreie E.) C4H6O3 ^[C_{4}H_{6}O_{3}], eine farblose Flüssigkeit, welche ungemein stechend sauer riecht, bei 137° siedet, sich nicht mit Wasser mischt und nicht den Charakter einer Säure besitzt, aber bei längerer Berührung mit Wasser wieder in E. übergeht. Verdünnte E. (Essig) wirkt durstlöschend, kühlend, setzt, in größern Quantitäten genommen, die Pulsfrequenz und Körpertemperatur herab, veranlaßt bei längerm Gebrauch Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit; Neigung zum Durchfall, Kolikschmerzen; das Gesicht wird blaß, es erfolgt Abmagerung und bisweilen Lungenschwindsucht. Reine E. wirkt innerlich ätzend wie Mineralsäure; äußerlich dient sie als blasenziehendes Mittel (Vésicatoire de Beauvoisin), als Ätzmittel bei Warzen und Hühneraugen (Acetine ist mit 0,5 Volumen Wasser verdünnte E.) und zu Riechfläschchen. Verdünnte E. (Essig) wird auch als blutstillendes Mittel, zu Waschungen bei starken Schweißen, zu Umschlägen bei Kontusionen etc. benutzt. Außerdem dient E. in der Färberei und Kattundruckerei, in der Photographie, zur Darstellung von Anilin, vielen Salzen und Äthern.
Geschichtliches. Essig, aus sauer gewordenen Fruchtsäften, Wein und Bier erhalten, war bereits im Altertum bekannt und als kühlendes Getränk geschätzt. Man wußte auch, daß er gewisse Steine und Metalle löst, auf manchen Steinen Aufbrausen er-^[folgende Seite]