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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Heerwesen).

greifenden Neuorganisation erkennen, welche durch das Rekrutierungsgesetz vom 27. Juli 1872, das Organisationsgesetz vom 24. Juli 1873 und das Kadregesetz vom 13. März 1875 geregelt wurde. Das Rekrutierungsgesetz bestimmt: Jeder Franzose ist zum persönlichen Kriegsdienst verpflichtet und kann, sofern er nicht völlig dienstuntauglich ist, vom 20. bis 40. Lebensjahr zum aktiven Heer und zur Reserve einberufen werden. Die Stellvertretung ist aufgehoben, jedoch ist eine Dienstbefreiung unter gewissen Bedingungen gesetzlich gestattet. Die Dienstpflicht in der aktiven Armee dauert 5, in der Reserve 4, in der Territorialarmee 5, bei deren Reserve 6 Jahre. Von den Ersatzmannschaften brauchen indes nach einjährigem Dienst nur so viele bei den Fahnen zurückbehalten zu werden, wie der Kriegsminister jährlich bestimmt. Die Bevorzugung bestimmt das Los. Können die nach einem Jahr zu entlassenden Leute nicht lesen und schreiben, so müssen sie ein Jahr weiterdienen; anderseits können Leute der ersten Losklasse auch nach einem halben Jahr schon entlassen werden. Hiernach dient die erste Losklasse (I. portion) 5, die zweite Losklasse (II. portion) ½, 1 oder 2 Jahre bei der Fahne. Hierdurch ist die allgemeine Wehrpflicht im Prinzip sehr beschränkt, der Willkür der Vorgesetzten ein weiter Spielraum gelassen. Der einjährig-freiwillige Eintritt ist unter vielen modifizierenden Bedingungen gestattet, welche mit dazu beigetragen haben, diese Einrichtung so mißliebig zu machen, daß ihre Beseitigung wahrscheinlich ist. Seit Jahren ist ein neues Rekrutierungsgesetz auf Grundlage einer dreijährigen aktiven Dienstzeit beraten, aber noch nicht vom Parlament angenommen worden.

[Organisation der Arme.] Der Präsident der Republik ist Chef der Armee und besetzt die Offizierstellen. Das Recht der Kriegserklärung und der direkten Einwirkung auf die Armee besitzt er nicht. Diese wird durch den Kriegsminister vermittelt, welcher, anders wie in Deutschland, in den innern Dienst einzugreifen befugt ist. Das Kriegsministerium besteht aus den Kabinetten des Ministers und des Unterstaatssekretärs, dem Großen Generalstab, den Direktionen der Kontrolle, des innern Dienstes, der Infanterie, Kavallerie, Artillerie, des Genies, des Sanitätsdienstes, der Heeresverwaltung und der Direktion für Pulver und Salpeter. Außerdem sind dem Kriegsminister noch 17 Komitees und Kommissionen für Heeresfragen beigegeben. Die Generalität zählt etatmäßig 5 Marschälle, 100 Divisions- und 200 Brigadegenerale; 19 Divisionsgenerale (Rang der Generalleutnants) sind Korpskommandeure, dürfen aber nach dem Gesetz nur 3 Jahre das Kommando desselben Korps behalten und treten dann zu einer Division zurück. Die Charge "General der Infanterie oder Kavallerie" besteht in F. nicht. Brigadegenerale sind Generalmajore. Der Generalstab (corps d'état major) bei den Truppen soll aus 40 Obersten, 40 Oberstleutnants, 120 Majoren und 200 Hauptleuten bestehen. Beim Generalstab werden eine Anzahl (im J. 1884 deren 251) Offiziere aller Chargen der Reserve geführt, welche im Krieg als Ordonnanzoffiziere Verwendung finden. Der Militärintendanz und dem Kontrollkorps, organisiert durch das Heeresverwaltungsgesetz vom 16. März 1882, sind unterstellt die Verwaltung bei der Artillerie, dem Genie, die Intendanz der Pulver- und Salpeterfabriken. Prinzip der Verwaltungsorganisation ist die Teilung in Direktion, Verwaltung und Amtsführung und in Kontrolle; erstere würde etwa unsern Intendanturen, die Verwaltung unsern Garnisonverwaltungen, Proviantämtern etc. entsprechen. Bei den Artillerie- und Geniedirektionen sind Zeug- u. Genieoffiziere u. Geniebeamte angestellt. Das Militärintendanzkorps besteht aus 7 Generalintendanten (Generalleutnants), 30 Militärintendanten (Generalmajore), 300 Unterintendanten (Obersten bis Majore), 50 Adjoints (Hauptleute), Summa 387 Offizieren, welche sich aus Offizieren aller Waffen und Verwaltungsoffizieren ergänzen. Letztere entsprechen den deutschen Garnisonverwaltungs-, Proviant- und Lazarettbeamten in fünf Rangstufen mit zusammen 1065 Verwaltungsoffizieren. Das Militärsanitätskorps besteht aus Ärzten und Pharmazeuten, beide im Rang vom Unterleutnant bis zum Generalleutnant, und zwar 1300 Ärzten und 185 Pharmazeuten. Das Kontrollkorps der Militärverwaltung besteht aus 20 Generalkontrolleuren (Divisions- und Brigadegenerale), 60 Kontrolleuren und Adjoints (Obersten bis Majore).

[Heereseinteilung.] Nach dem Organisationsgesetz vom 24. Juli 1873 ist F. in 18 Regionen geteilt, deren jede einem Armeekorps der aktiven Armee entspricht; Algerien bildet den Bezirk des 19. Korps. Jedes Armeekorps besteht aus 2 Infanteriedivisionen à 2 Brigaden zu je 2 Regimentern, einer Kavalleriebrigade à 2 Regimenter, einer Artilleriebrigade à 2 Regimenter, einem Geniebataillon, einer Traineskadron, einem Generalstab und den Verwaltungsbranchen. Die Infanteriedivisionen und -Brigaden führen fortlaufende Nummern durch die Armee, die Kavallerie- und Artilleriebrigaden die der Armeekorps. Jeder Korpsbezirk ist in 8 Subdivisionen, zusammen 144, unsern Landwehrbezirkskommandos entsprechend, mit einem oder mehreren Rekrutierungsbüreaus eingeteilt. Die Generalkommandos haben ihre Quartiere in: 1. Lille, 2. Amiens, 3. Rouen, 4. Le Mans, 5. Orléans, 6. Lager von Châlons, 7. Besançon, 8. Bourges, 9. Tours, 10. Rennes, 11. Nantes, 12. Limoges, 13. Clermont, 14. Lyon, 15. Marseille, 16. Montpellier, 17. Toulouse, 18. Bordeaux, 19. Algier. Die nicht den Armeekorps zugeteilte Kavallerie ist in 5 Kavalleriedivisionen à 3 Brigaden zu je 2 Regimentern derselben Waffengattung (Kürassiere, Husaren etc.) formiert. Die 1. Kavalleriedivision steht in Paris, die 2. in Lunéville, 4. in Meaux, 5. in Melun, 6. in Lyon (die 3. ist noch nicht formiert); im ganzen sind 75 Eskadrons nahe der deutschen Grenze disloziert. Zu jeder Kavalleriedivision gehören 3 Batterien reitende Artillerie. Durch Dekret vom 19. Juli 1884 sind eine dem Kriegsministerium direkt unterstellte Kolonialarmee sowie ein Korps von Spezialtruppen für Afrika formiert worden.

[Die Truppen.] Der Truppenetat ist normiert durch das Kadregesetz vom 13. März 1875. Zum stehenden Heer gehören: 1) Die Gendarmerie, beritten und zu Fuß, welche in viel näherer Beziehung zur Armee steht als in Deutschland; sie besteht aus der Garde républicaine, den Legionen für die Departements des Innern, für Afrika, die Kolonien und aus der mobilen Legion von Versailles, im ganzen 27,650 Mann mit 14,500 Pferden. 2) Infanterie. 144 Linienregimenter zu 4 Bataillonen à 4 Kompanien und 2 Depotkompanien pro Regiment. Jedes Regiment zählt 73 Offiziere, 380 Unteroffiziere, 1188 Mann und 16 Pferde. Gesamtstärke der Infanterie 576 Bataillone, 288 Depotkompanien, 10,512 Offiziere, 54,720 Unteroffiziere, 171,072 Mann, 230 Pferde. Ferner 30 Jägerbataillone à 4 aktive und 1 Depotkompanie, in einer Stärke von 660 Offizieren, 4200 Unteroffizieren, 13,380 Mann und 138 Pferden. 1 Regiment zu 2 Bataillonen Sappeurs-Pompiers in