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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Geschichte: Ludwig XIV.).

festungen Belgiens (darunter Ypern, Cambrai, Valenciennes); die niederländische Republik mußte Ludwig allerdings in ihrem alten Bestand anerkennen. Sein Sieg über die verbündeten Gegner hatte aber seinen Übermut und seine Herrschsucht so gesteigert, daß er fremde Rechte rücksichtslos mit Füßen trat. Durch die Reunionskammern ließ er sich alle Gebietsteile zusprechen, die jemals zu den ihm im Westfälischen und im Nimwegener Frieden abgetretenen Provinzen gehört hatten, und besetzte sie. Straßburgs und Luxemburgs bemächtigte er sich mitten im Frieden und erlangte 1684 auch, daß ein Waffenstillstand ihm die Reunionen auf 20 Jahre sicherte. Keine auswärtige Macht schien im stande oder willens zu sein, seiner gewaltthätigen Politik entgegenzutreten und die erstrebte Weltherrschaft ihm streitig zu machen.

Nicht minder despotisch und eigenmächtig verfuhr der König im Innern. Nicht bloß in staatlicher, sondern auch in religiöser Beziehung sollte F. ein einheitliches Ganze bilden, in dem der Wille des Königs unumschränkt herrschte. Während er daher die Unabhängigkeit der gallikanischen Kirche gegenüber dem Papsttum verteidigte und darüber in einem französischen Nationalkonzil die berühmten vier Artikel von 1682 beschließen ließ, verfolgte er mit immer größerer Strenge die französischen Protestanten. Nach vielen vorhergegangenen Bedrückungen, besonders auch der Bequartierung mit Soldaten (den "Dragonaden"), erfolgte im Oktober 1685 die Aufhebung des Edikts von Nantes und damit das Verbot des reformierten Gottesdienstes. Trotz der strengen darauf gesetzten Strafen wußten an 400,000 Reformierte nach den protestantischen Ländern zu entkommen, wo man die gebildeten und intelligenten Flüchtlinge gern aufnahm. Ganz willkürlich wurde die innere Verwaltung des Landes eingerichtet. Der Adel wurde ganz in einen Hof- und Militäradel verwandelt. Alles sollte von oben gelenkt und geleitet werden, in alles durften die Beamten sich mischen. Individuelles Leben, provinziale und kommunale Unabhängigkeit wurden erstickt, die Selbständigkeit der höchsten Gerichtshöfe, der Parlamente, völlig gebrochen. Dieses übrigens trefflich organisierte System verlieh der Staatsregierung ungeheure und prompte Machtmittel, wie sie keine andre Regierung besaß; aber es machte die Franzosen politisch unmündig und reizte endlich durch die lastende Schwere seines Despotismus das ganze Volk gegen den Staat und das Königtum auf.

Aber auch im Ausland erregten Ludwigs Despotismus und Intoleranz und Frankreichs maßlose Einmischungssucht allgemeinen Haß und bewirkten die Bildung einer neuen Koalition fast aller europäischen Mächte, als F. 1688 in England die Reaktionspolitik der Stuarts unterstützte, sich in die Kölner Bischofswahl anmaßlich einmischte und ganz widerrechtlich einen Teil der Pfalz beanspruchte. Der Kaiser, der Papst, das Reich, Spanien, die Niederlande, Savoyen und nach dem Sturz Jakobs II. auch England verbanden sich gegen F., dessen Heerführer und Truppen sich zwar zu Lande der schwerfälligen Kriegführung der Verbündeten in allen Schlachten, bei Fleurus (1690), Steenkerken (1692) und Neerwinden (1693) in den Niederlanden, bei Staffarda (1690) in Italien, überlegen zeigten. Doch wurde die französische Flotte von der englischen bei dem Vorgebirge La Hougue (1692) vernichtet, und es erlahmten vor allem die materiellen Kräfte Frankreichs allmählich im Ringen mit den übermächtigen Gegnern. Lionne, Colbert, Louvois, Luxembourg waren gestorben, ihre Nachfolger ihnen nicht gleich. Der französische Seehandel wurde fast vernichtet, die kolonisatorische Thätigkeit unterbrochen. So schloß Ludwig mit seinen Gegnern im November 1697 den Ryswyker Frieden, in welchem er das Herzogtum Lothringen sowie alle seit 1679 gemachten Reunionen wieder herausgab, mit Ausnahme von Straßburg.

Der Verfall.

Der Ryswyker Friede bezeichnet den Wendepunkt, an welchem das universal-monarchische Streben Frankreichs zum Rückzug gezwungen ward. Noch immer behauptete es die erste Stelle in Europa; indes daran, sein Belieben unbedingt überall zur Geltung zu bringen, durfte es nicht mehr denken. Auch im Innern ward es ein andres. Unter dem Einfluß seiner zweiten Gemahlin, der Frau v. Maintenon, entsagte Ludwig seinen bisherigen Ausschweifungen und ergab sich vollständig der Frömmelei. Nun wich er auch in kirchenpolitischer Beziehung eine beträchtliche Strecke zurück, indem er 1693 selbst die gallikanische Unabhängigkeit dem heiligen Stuhl auslieferte. Noch einmal setzte Ludwig die ganze Kraft seines Staats ein, als es sich darum handelte, die spanische Erbschaft, welche ein durch diplomatische Künste errungenes Testament des letzten habsburgischen Königs von Spanien, Karls II., der am 1. Nov. 1700 starb, dem Haus Bourbon vermacht hatte, gegen Österreich und seine Alliierten zu behaupten. Der spanische Erbfolgekrieg (1701-14, s. d.) nahm seit dem Sieg des Prinzen Eugen von Savoyen und Marlboroughs über die Franzosen und Bayern bei Höchstädt (1704) für F. eine immer unglücklichere Wendung. Die Niederlagen der Franzosen bei Turin und Ramillies (1706), bei Oudenaarde (1708) und bei Malplaquet (1709) vernichteten den Kern ihrer Streitkräfte u. führten den Verlust ganz Italiens, Bayerns, Kölns, der spanischen Niederlande und fast aller nordfranzösischen Festungen herbei. Ludwig XIV., völlig gedemütigt, war bereit, den Frieden mit den größten Opfern zu erkaufen; nur an der Forderung der Verbündeten, er solle seinen Enkel mit französischen Streitkräften aus Spanien vertreiben, scheiterten die Verhandlungen zu Geertruidenberg. Da wurde Ludwig aus äußerster Not errettet. In England gelangte ein konservatives, friedliebendes Ministerium zur Herrschaft, welches Marlborough vom Oberbefehl entfernte, Separatverhandlungen mit F. begann und endlich die englischen Truppen von dem verbündeten Heer in den Niederlanden zurückzog. Nun konnte Marschall Villars dem schwächern Heer Eugens bei Denain (Juli 1712) eine Schlappe beibringen; die ganze Lage war von Grund aus verändert. Trotz des Widerspruchs des Kaisers schlossen England, Holland, Preußen und Savoyen 11. April 1713 den Utrechter Frieden mit F., welches einige nordamerikanische Kolonien an England abtrat und von der spanischen Erbschaft Neapel, Sardinien, Mailand und Belgien an Österreich, Sizilien an Savoyen überließ; das eigentliche Spanien und dessen außereuropäische Kolonien verblieben dem Enkel Ludwigs, Philipp von Anjou. Notgedrungen mußten der Kaiser zu Rastatt und das Reich zu Baden (1714) dem Utrechter Frieden beitreten, letzteres ohne irgend einen Gewinn. So ging F. ohne nennenswerte materielle Einbuße, aber besiegt, gedemütigt, gänzlich erschöpft aus dem spanischen Erbfolgekrieg hervor. Die Staatsschuld war auf 2 Milliarden Livres gestiegen, das Defizit chronisch geworden. Die Herrschaft der Bourbonen in Spanien war für F. selbst ein sehr zweifelhafter Gewinn. Auch die zahlreiche Familie Ludwigs XIV.