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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (13. Jahrhundert).

am gefeiertsten waren Gaces Brulez, Colin Muset, Raoul (Renaut) de Coucy, Adam de la Halle, Jean Bodel, Perrin d'Angecourt, Quesne de Bethune, Guiot de Provins u. a. Muster der ältern mehr volkstümlichen Lyrik finden sich bei P. Paris, "Romancero" (Par. 1833); Wackernagel, "Altfranzösische Lieder und Leiche" (Basel 1846); E. Mätzner, "Altfranzösische Lieder" (Berl. 1853); Bartsch, "Romanzen und Pastourellen" (Leipz. 1870). Vgl. auch A. Scheler, Trouvères belges du XII. au XIV. siècle (Brüssel 1876).

In scharfem Gegensatz zu der höfischen Lyrik steht die volkstümliche satirische Dichtung, die in ihren Schwänken und komischen Anekdoten (fabliaux, contes) ein anschauliches Bild des damaligen Sittenzustandes bietet. Seit dem 13. Jahrh. in Aufnahme gekommen, überziehen die Fabliaux in buntester Mannigfaltigkeit die Thorheiten und Lächerlichkeiten des bürgerlichen Lebens mit ihrem derben Spott, vornehmlich das unerschöpfliche Thema der Ehe behandelnd; nur selten und mit Vorsicht werden Adel und Geistlichkeit angegriffen. In manchen Erzählungen steht der frivole, oft geradezu unzüchtige Ton, der den Fabliaux eigen ist, in eigentümlichem Gegensatz zu der frommen Tendenz, so in den heiligen Geschichten (contes dévots), die wegen ihrer gedrängten Behandlung und des kurzen Verses zu den Fabliaux gerechnet werden müssen. Satirischer Art sind auch die Dits, Débats, Disputes oder Disputoirons, Batallies, Legs oder Testaments, Parodies, Resveries, Fatrasies etc.; einige von diesen wagen sich sogar auf das Gebiet der Politik, worin der Einfluß der provençalischen Sirventes nicht zu verkennen ist. Die dialogische Form einzelner Gedichte (débats, disputes etc.) entwickelt oft dramatische Lebendigkeit und bildet das natürliche Mittelglied bei dem Übergang der satirischen Poesie in die dramatische, der sich im 15. Jahrh. vollzieht. Noch sind als satirische Formen die "Bibles" zu erwähnen, umfangreiche Sittenspiegel, von denen die "Bible" von Guiot de Provins (Ende des 12. Jahrh.) und die "Bible au seigneur de Berze" (ca. 1210) am berühmtesten waren. Der gefürchtetste Satiriker des 13. Jahrh. ist Rutebeuf; seine Verse richten sich besonders gegen die hohe Geistlichkeit und sprudeln von übermütiger, zügelloser Laune. Eine Reihe andrer Dichter findet sich besprochen bei V. Le Clerc, Histoire littéraire de la France, Bd. 23. S. Fabliau, wo auch die Sammlungen von diesen Dichtungen angeführt sind.

Zu der satirischen Poesie müssen noch zwei Gedichte gezählt werden, welche große Berühmtheit erlangt haben und Geist und Charakter dieser Periode aufs treueste zur Anschauung bringen: der "Roman de Renart" und der "Roman de la Rose". Die Fabel vom Fuchs und vom Wolf ist lateinischen Ursprungs (Äsop) und schon frühzeitig in den Klöstern mit Vorliebe gepflegt worden; die ältesten Bearbeitungen, die beiden lateinischen Gedichte: "Isemgrimus" und "Reinhardus", datieren aus der Mitte des 12. Jahrh. Auf Grund der Überlieferung oder durch Neudichtung entstanden nun gegen Ende des 12. Jahrh. 32 verschiedene Branchen, in denen einzelne Abenteuer des Fuchses besungen werden, und deren Autoren, außer Pierre de Saint-Cloud und Richard de Lison, nicht genannt sind. Schon in diesen Gedichten macht sich neben dem altepischen ein allegorisch-satirisches Element bemerklich, das in den Bearbeitungen des folgenden Jahrhunderts ("Renart le contrefait" u. a.), welche durch Kompilationen und abenteuerliche Erfindungen, breite Redseligkeit und das Auskramen unverdauter Gelehrsamkeit zu einem unnatürlichen Umfang (62,000 Verse) anschwellen, die Hauptsache bildet. Die vollständigste Ausgabe ist die von Méon (Par. 1826, 4 Bde.); Ergänzungen bietet Chabaille (das. 1835). Vgl. Jonckbloet, Étude sur le Roman de Renart (Haag 1863). Schon früh hatte sich die Allegorie in die Litteratur hineingedrängt; die pedantische Gelehrsamkeit der lateinischen Klosterpoesie sowie die künstelnde Tändelei der Troubadoure hatten sich ihrer mit Vorliebe bedient; zur Vollendung aber gelangte sie erst im "Roman de la Rose", von Guillaume de Lorris (ca. 1240) begonnen und von Jehan de Meung, genannt Clopinel, um 1300 vollendet. Während der erste Teil (4000 Verse), der trotz des einförmigen Gegenstandes und der unpoetischen Form durch die Grazie und Lebendigkeit des Stils interessieren könnte, mehr der lehrhaften Dichtung angehört, wendet sich der zweite Teil (18,000 Verse) ganz zur Satire und bietet zugleich ein umfassendes Bild des damaligen Wissens. Gerade dieser encyklopädischen Eigenschaft wegen war das Gedicht jahrhundertelang ein Lieblingsbuch der Franzosen; aber schon früh haben die Trivialitäten und Pedanterien sowie der Wust unreifen Wissens ihre gebührende Kritik gefunden. Die beste Ausgabe ist von Fr. Michel (Par. 1864, 2 Bde.).

Eng mit der satirischen Dichtung verwandt ist die didaktische; sie hat mit ihr die Entwickelung aus der Predigt gemeinsam und bleibt ebenfalls ausschließlich geistlichen und bürgerlichen Dichtern überlassen. Neben rein belehrenden Schriften, wie Kalendern (computs), z. B. dem "Liber de creaturis" von Philippe de Thaun (ca. 1119), zoologischen Werken ("Bestiaires", z. B. von Philippe de Thaun, von Wilhelm von der Normandie, "Volucraires" etc.), kosmographischen ("Dits des planètes", "Vers du monde" u. a.), Jagdbüchern ("Dels Auzels cassadors", "La chace dou cerf") u. a., stehen die moralisierenden Gedichte, Heiligenbiographien, Übersetzungen klassischer Werke ("Disticha Catonis", ca. 1145, Aristoteles, Boethius), Anstandslehren ("Castoiements, doctrinaux, enseignements"), die mehr homiletischen Schriften des Reclus du Moliens ("Miserere" und "Roman de charité", 13. Jahrh.), das lange Gedicht "Moralités des philosophes" und viele andre, welche gar keinen poetischen Wert haben. Hierher gehören auch die moralisierende Tierfabel und die mit ihr eng verbundene Menschenfabel, orientalischen oder klassischen Ursprungs. Unter den zahlreichen Sammlungen ("Ysopets" nach Äsop) ist diejenige der Marie de France (13. Jahrh.) die berühmteste. Vgl. Robert, Fables inédites des XII., XIII., XIV. siècles (Par. 1825, 2 Bde.). Der "Roman des sept sages de Rome" oder "Dolopathos" ist eine Sammlung von Märchen orientalischer Herkunft. Bald wurde alles mögliche in Verse gebracht, medizinische, juristische, grammatische Stoffe; man reimte das Alphabet, die Münzen und Straßen von Paris. Auch encyklopädische Werke erhalten eine poetische Form, wie die "Bible de sapience" von Herman von Valenciennes (13. Jahrh.) und die umfangreiche "Image du monde" von Gautier von Metz (ca. 1245).

Die dramatische Poesie entwickelte sich ebenfalls aus dem religiösen Kultus, indem in die Liturgien an hohen Festen und in die Recitationen von Heiligengeschichten nach und nach Dialog und Handlung eingefügt wurden; bis zum Ende des 11. Jahrh. herrschte die lateinische Sprache ausschließlich. Um diese Zeit jedoch machten sich Neuerungen bemerklich; episodenartig werden Erzählungen und gereimte Ge-^[folgende Seite]