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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (16. Jahrhundert).

eine andre Vereinigung an, die der "Enfants sans soucy". Dies waren junge Leute aus guter Familie, welche in der Narrentracht der Karnevalszeit auf ihrem Theater in den Hallen ihre lustigen Stücke (soties) aufführten. Das christliche Drama fand seine Darsteller in einer Gesellschaft frommer Handwerker, der "Confrères de la Passion", die 1396 gegründet war und 1402 das Privilegium für die Darstellung von Mysterien und Mirakeln erhalten hatte. Dasselbe wurde ihr aber 1548 durch Parlamentsbeschluß wieder entzogen, als das Überwuchern des komischen Elements den Schichten der Bevölkerung, denen Renaissance und Reformation die Augen geöffnet hatten, zum Ärgernis wurde. Eine Zeitlang traten die Moralitäten in die Lücke ein; aber die Vorstellungen der Confrérie hatten ihren Reiz verloren. Sehr häufig tauschten diese Gesellschaften ihre Stücke miteinander aus, und das interessanteste Datum hierfür ist das Jahr 1511, in welchem der Dichter und Schauspieler Pierre Gringore (gest. 1547) auf seinem Theater (in den Hallen) mit Erfolg eine Art Trilogie in Szene setzte: "Jeu et sotie du prince des sots", "Moralité de l'homme obstiné" und die obscöne Farce "De dire et de faire". Sammlungen von Komödien finden sich bei Leroux de Lincy und Michel, Recueil etc. (Par. 1837, 4 Bde.); Viollet le Duc, Ancien théâtre français (das. 1854, 10 Bde.), und P. L. Jacob, Recueil de farces, etc. (das. 1859); von Mysterien bei Jubinal (das. 1837, 2 Bde.).

Das 16. Jahrhundert.

Die Bekanntschaft mit der glänzenden Bildung und der feinen Geselligkeit der Italiener, welche die Franzosen aus den Kriegen Karls VIII., Ludwigs XII. und Franz' I. mit heimbrachten, und das Studium der Werke des Altertums, welche durch berühmte Gelehrte (Budäus, Scaliger, Casaubonus, die beiden Stephanus u. a.) und durch treffliche Übersetzer (besonders Amyot) dem großen Publikum zugänglich gemacht wurden, übten eine mächtige Wirkung auf das geistige Leben der Nation aus. Überall zeigte sich Interesse für Kunst und Wissenschaft, besonders aber an den glänzenden Höfen des lebensfrohen, genußsüchtigen Franz I. und seiner Schwester Margarete von Navarra, der Verfasserin einer vielbewunderten Novellensammlung in Boccaccios Geschmack, des "Heptameron". Wer eine lustige Erzählung, ein Madrigal oder ein Sonett, ein Rondeau oder ein witziges Epigramm zu schmieden vermochte, stand in hohen Ehren, und oft trug ein gelungenes Gedicht den Lohn reicher Pfründen davon. Auch spanisches Wesen fand am französischen Hof Eingang: die Amadisromane, die unter dem Einfluß der Artusromane entstanden sind, und welche Franz I. während seiner Gefangenschaft zu Madrid kennen und lieben gelernt hatte, wurden auf den Wunsch des Königs ins Französische übertragen und fanden begeisterte Aufnahme. In dieser geistig angeregten, jedoch noch ziemlich rohen Gesellschaft gab den Ton Clément Marot an (gest. 1544), der Lieblingsdichter der königlichen Geschwister, dessen unverwüstliche Laune, Naivität und Frische trotz seiner Derbheiten noch jetzt ansprechen; nächst ihm Des Périers (gestorben um 1544), der mit Margarete den Ruhm teilt, die elegantesten und pikantesten Erzählungen verfaßt zu haben. Ebenso originell wie Marot, aber ungleich bedeutender ist Fr. Rabelais (1495-1553), der in seinem "Gargantua et Pantagruel" ein geniales Gemälde der Verderbnis und der Thorheiten seiner Zeit entwirft. Schonungslos greift er die Mächtigen der Erde, besonders die Kirche, an und entwickelt dabei in seiner Ausdrucksweise einen Reichtum und eine schöpferische Kraft, wie sie nie wieder ein französischer Schriftsteller besessen hat. Dies waren die Hauptvertreter der nationalen, volkstümlichen Richtung, die von einem selbstbewußten, freisinnigen Bürgertum gepflegt wurde; ihre Spottgedichte und Satiren sind zugleich der Ausdruck des immer dringender sich erhebenden Rufs nach kirchlichen Reformen. Die wuchtigsten Hiebe gegen die verrotteten Institutionen der mittelalterlichen Kirche führten die berühmten Prosaisten der Reformation, Calvin (gest. 1564), La Boétie, Michel L'Hôpital u. a.; die Existenz des Papsttums war ernstlich gefährdet. Da raffte die Kirche noch einmal alle ihre Macht zusammen, und in einem der schrecklichsten Bürgerkriege, die je ein Land verwüstet, wurden der Widerstand und die Kraft des Bürgertums gebrochen: Kirche und Königtum standen unumschränkter da als je. Hiermit war auch der Sieg des italienischen und altklassischen Einflusses über die nationale Strömung in der Litteratur endgültig entschieden; am Hof, wo eine Katharina von Medicis herrschte, waren diese fremden Elemente schon seit Rabelais' Tod (1553) die herrschenden gewesen. Damals hatte sich nämlich eine Vereinigung von sieben Dichtern, die sogen. Pléjade, zusammengefunden, die den ausgesprochenen Zweck verfolgte, durch die Verschmelzung der antiken mit der modern-italienischen eine nationale Bildung zu schaffen und die französische Sprache zur Höhe der klassischen zu erheben. Der Herold der neuen Schule, Joachim Du Bellay (gest. 1560), verkündete diesen Zweck in seinem berühmten Manifest "Défense et illustration de la langue française" (1549); ihr Haupt Ronsard (gest. 1585) hat ein halbes Jahrhundert hindurch unbestritten den französischen Parnaß beherrscht. Ein Feuereifer beseelte diese Dichterschule: der Meister selbst dichtete Oden nach Pindar und Horaz, Elegien nach Tibull, Liebes- und Trinklieder nach Anakreon, brachte den "Plutos" des Aristophanes auf die Bühne und suchte mit seiner "Franciade" in Vergils Manier das Frankenvolk mit Ilions Geschicken in Verbindung zu setzen; Jodelle (gest. 1573) schrieb Dramen nach klassischen Mustern ("Cléopâtre captive", "Didon se sacrifiant" etc.), die vor einem eleganten und gelehrten Publikum ungeheuern Beifall fanden; andre strebten nach dem Ruhm Petrarcas und suchten die poetische Sprache Ronsards noch künstlicher zu gestalten. Aber hierin gerade lag der Fehler der Pléjade: diese Sucht nach neuen Worten und Wendungen, dieser Abscheu vor dem Gewöhnlichen, Hergebrachten mußten zur Unnatur und Geschmacklosigkeit führen. Denn nur da, wo Ronsard am wenigsten antikisiert, zeigt er sich als wahren Dichter; der Mittelmäßigkeit seiner Schüler aber fehlt jeder poetische Hauch. Am natürlichsten sind noch die Gedichte von Phil. Desportes (gest. 1606) und Jean Bertaut (gest. 1611), den Typen der galanten, frivolen Abbés dieser Zeit; doch auch sie entgehen nicht dem scharfen Spott Malherbes. Mehr an Marot als an Ronsard schließen sich an Jean Passeret (gest. 1602) und Louise Labé (gest. 1566), die schöne Seilerin; bei ihnen findet man oft tiefes Gefühl und echt lyrischen Schwung. Auch im Drama hat die Pléjade nichts Bleibendes geschaffen: Jodelles Stücke hatten keine Ahnung von dramatischer Verknüpfung, und von seinen Nachfolgern kann nur Robert Garnier (gest. 1590) auf Erwähnung Anspruch machen. Neben diesem gelehrten Schuldrama, das vornehmlich aus Übersetzungen und Nachahmungen von Terenz, Seneca etc. bestand, gab es eine Lust-^[folgende Seite]