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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Freiburg

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Freiburg (in der Schweiz).

steigen in das Gebiet der Freiburger Voralpen hinan und tragen alpinen Charakter. Beide Teile aber sind vorherrschend Saanegebiet, da der ziemlich große Fluß (s. Saane) das Land in seiner ganzen Länge durchzieht und von beiden Seiten die kleinern Thalrinnen sammelt. Der Kanton F. zählt (1880) 115,400 Einw., vorzugsweise französisch-burgundischer Abstammung und katholischer Konfession, nur 18,138 Protestanten, die hauptsächlich auf die Bern genäherten Gebiete fallen, vorwiegend im Bezirk See (Murten), in Minderzahl schon in den Gemeinden des Sensebezirks, sonst sehr vereinzelt (in der Stadt F. 1472). In diesen beiden Bezirken auch allein überwiegt das deutsche Element; 69 Proz. der Bevölkerung sprechen französisch, 31 Proz. deutsch. Die Deutschen gelten als minder rührig und lebhaft als der französisch sprechende Volksteil; in Bezug auf geistige Befähigung und Kultur erscheint das ganze Volk wenig bevorzugt und ziemlich vernachlässigt, so hübsch, stark und schlank auch durchschnittlich sein Körperbau ist. 88 Proz. des Areals sind produktives Land; davon umfassen Acker- und Gartenland 1190 qkm, der Wald 277 qkm, die Weinberge 2,8 qkm. Der Feldbau liefert für gewöhnliche Jahre genug Getreide, am meisten Weizen und Roggen. Ein beträchtlicher Teil der Roggenernte hat keinen Nährwert, da die Halme (für die Strohflechterei) unreif geschnitten werden müssen. Tabak baut man um den Murtensee; hier ist auch der Obstbau, der fast allgemein ist, am blühendsten. Kirsch- und Zwetschenwasser wird zur Ausfuhr bereitet. Wein wächst nur an beiden Seen. Begünstigt durch mehrere Torfmoore und das Pechkohlenlager von Semsales, kann F., trotz der geringen Waldfläche, viel Holz abgeben. Von Bulle aus wird ein Teil auf der Saane abwärts geflößt, ein andrer geht an den Genfer See: Brenn- und Bauholz, Bretter, Rebpfähle. Der Freiburger Rinderschlag, die schwerste der schweizerischen Rassen, hat sich in der westlichen Schweiz stark verbreitet. In den Bergen wird Sennerei betrieben, die z. B. am Moléson und im Jaunthal die fetten Gruyèrekäse liefert. Der Stapelplatz dieses Exportartikels ist Bulle, das, wie Romont, auch große Viehmärkte hat. Die Freiburger Pferde sind kräftige und ausdauernde Zugtiere, von gedrungenem Körper- und Gliederbau, als Fahrpferde geschätzt. Die Schaf- und Schweinezucht ist erheblich. Die Strohflechterei ist über das ganze Flachland ausgebreitet. Der jährliche Produktionswert übersteigt 1 Mill. Frank. Die Uhrenindustrie von Murten ist ein Ableger der neuenburgischen (s. Chaux de Fonds). Sonst gibt es Gerbereien, Glashütten, Sägemühlen etc. In der Stadt F. zeigt sich neuerdings ein reger Eifer für die Ausbeutung der Holz- und Wasserschätze (Société des eaux et des forêts). Ein Zementdamm schwellt die Saane zu einem 3½ km langen See an; hier befinden sich eine Fischzuchtanstalt, ein Landungsplatz des Flößholzes und 10 Glacieren, deren jede 200 Eisenbahnwaggonladungen Eis liefert. Transmissionen leiten die Wasserkraft auf das den Bahnhof umgebende Plateau hinauf, wo sich eine Säge, Waggonfabrik, Gießerei, Maschinenwerkstätte, eine ganze neue Arbeiterstadt etc. angesiedelt haben. Eine besondere Eisenbahn verbindet die untern Etablissements mit den obern. Es besteht eine Gymnasialanstalt zu F. und eine andre zu Murten, seit 1850 zu Hauterive eine Ackerbauschule, mit welcher ein Lehrerseminar verbunden ist. Die öffentlichen Bibliotheken zählen 105,900 Bände, darunter die Kantonsbibliothek mit 35,800, die Bibliothèque du Clergé mit 12,000, die der Société économique mit 20,000 Bänden. Es gibt 10 Klöster (davon 6 in der Hauptstadt) mit 254 Ordensgliedern und einem Mobiliar- u. Immobiliarvermögen von 2,700,000 Fr.

Zufolge der Verfassung vom 7. Mai 1857 bildet der Kanton F. einen repräsentativ-demokratischen Freistaat und als solcher ein Glied der schweizerischen Eidgenossenschaft. Die Verfassung gewährleistet die in den Schweizer Republiken üblichen Grundrechte, erklärt den Primärunterricht für obligatorisch und unentgeltlich, sichert der Geistlichkeit einen mitwirkenden Einfluß auf das Erziehungswesen zu und betrachtet beide Sprachen als Landessprachen, doch so, daß der französische Text der Gesetze etc. als Urtext gilt. Aktivbürger, d. h. stimmfähig in politischen und Wahlversammlungen, sind alle im Kanton wohnenden Kantons- und Schweizer Bürger weltlichen Standes, sofern sie das 20. Altersjahr zurückgelegt haben und im Vollgenuß ihrer bürgerlichen und politischen Rechte stehen. Die politischen Versammlungen stimmen ab über Annahme und Revision der Kantonal- und Bundesverfassung; die Wahlversammlungen wählen die zuständigen Mitglieder des Großen Rats und des Nationalrats etc. Wahlfähig wird der stimmfähige Kantonsbürger nach vollendetem 25. Lebensjahr. Die Legislative übt der Grand Conseil (Große Rat), dessen Mitglieder, je 1 auf 1200 Seelen, auf 5 Jahre gewählt werden. Der Große Rat versammelt sich ordentlicherweise zweimal jährlich. Er beschließt die Gesetze, überwacht und bestimmt den Haushalt, wählt die Abgeordneten in den eidgenössischen Ständerat, übt das Begnadigungsrecht etc. Die Exekutive besitzt ein Conseil d'État (Staatsrat) von 7 Mitgliedern, die vom Großen Rat auf 5 Jahre gewählt werden. Im Bezirk wird der Staatsrat durch den Préfet (Oberamtmann) repräsentiert. Die Rechtspflege übt in oberster Instanz ein Tribunal cantonal (Kantonsgericht) von 9 Mitgliedern, vom Großen Rat auf je 8 Jahre ernannt, in den Bezirken ein Tribunal d'arrondissement (Bezirksgericht), dessen Mitglieder gemeinschaftlich vom Kantonsgericht und Staatsrat gewählt werden, und in unterster Instanz eine Justice de paix (Friedensgericht). Für peinliche Sachen etc. bestehen Schwurgerichte. Die Gemeinden sind innerhalb gewisser Schranken autonom. Ihre Verwaltung ist einem Conseil communal (Gemeinderat) übergeben, an dessen Spitze der Syndic (Ammann) steht. Das Finanzwesen des Staats ist durch seine Beteiligung an dem schwindelhaften Ostwestbahnunternehmen sehr zerrüttet worden, doch ist die Krisis gegenwärtig überwunden. Dem konservativen Regiment gebührt das Verdienst, durch sorgfältigen Haushalt die Ökonomie des Staats neu geordnet zu haben. Zu Ende 1884 betrug das Staatsvermögen: an Aktivis 28,376,160, an Passivis 23,286,000 Fr., mithin ein Überschuß von 5,090,160 Fr. Die Jahresrechnung von 1884 ergibt an Einnahmen 3,104,795 Fr., an Ausgaben 2,965,580 Fr., mithin einen Überschuß von 139,215 Fr. Die Hauptposten der Einnahmen sind: Staatsgut mit etwa 500,000, Steuern mit 2,232,000; Hauptpost der Ausgaben: Finanzen mit ca. 1½ Mill. Fr. (das Schulwesen ist zunächst Gemeindesache, und die staatliche Ausgabe beträgt nur 176,927 Fr.).

[Die Stadt Freiburg.] Die gleichnamige Hauptstadt des Kantons, F. im Üchtland, liegt romantisch im Felsenkessel der Saane und an der Linie Lausanne-Bern (mit Abzweigung nach Yverdon) der Westbahn. Ein Teil der Stadt, jetzt noch wie zur Zeit der Zähringer das Quartier der ärmern (deutschen) Klasse, steht in der tiefen Thalfurche; über dieser thronen, auf den Vorsprüngen des linken