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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Geheime Gesellschaften (im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts).

Anmerkung: Fortsetzung von [Geheime Gesellschaften.]

pflanzt eine aus Ägypten stammende Lehre fort, in welcher die Seelenwanderung und eine Art Messiasidee die Hauptrollen spielen. Sehr zahlreich und wahrscheinlich auch sehr alt sind die geheimen politischen und sozialen Verbindungen in China und dessen Kolonien auf den indischen Inseln.

In großer Anzahl entstanden g. G. im 18. Jahrh., nachdem im 17. schon die neuen Rosenkreuzer als Goldmacher, Geisterbanner und Besitzer des Steins der Weisen von sich reden gemacht hatten. Durch das ganze 18. Jahrh., dieses Jahrhundert der Aufklärung, geht ein Zug, der wie ein großer Widerspruch gegen den Geist desselben aussieht, der Trieb zur Stiftung von Vereinen, welche das Dunkel suchten, und zum Anschluß an dieselben. Unter den gebildeten Klassen herrschte das Bestreben, aus der religions- und poesielos gewordenen Zeit in Geheimbünde zu fliehen, welche wie Schulen einer neuen Religion und eines neuen, poetisch verklärten Lebens aussahen. Ferner aber fehlte jener Aufklärung vielfach der Boden, auf dem sie ihre Erkenntnis und ihre Grundsätze verwirklichen, in der Praxis geltend machen konnte: der freie Staat und die Öffentlichkeit des gemeinen Wesens. Als jener Boden in unserm Jahrhundert gegeben war, ein Staatsleben mit Selbstregierung sich zu entwickeln begann, Vereins- und Preßfreiheit angebahnt wurde, hörten die Geheimbünde allmählich auf, Anziehungskraft auf die gebildete Welt zu üben, und zuletzt sanken sie, wo sie sich überhaupt noch hielten, zu bloßen Klubs und Kasinos ohne wirklichen Inhalt herab.

Die bessern dieser geheimen Vereine, Gesellschaften und Orden waren also in der Zeit ihres Entstehens und ihrer ersten Entwickelung keineswegs eine bloße Spielerei; sie fühlten sich als eine Notwendigkeit, als Ergänzung des gesamten politischen, sozialen und religiösen Lebens, das durch ihre Arbeit geläutert und verbessert werden sollte. Daneben führten freilich auch solche Bestrebungen, welche der Aufklärung und Befreiung der Menschheit diametral entgegenstanden, zur Stiftung von Geheimbünden dieser Art, und anderseits benutzten Betrüger die Neigung der Zeit zu Mysterien, um durch Gründung oder Umbildung solcher Genossenschaften ihre Zwecke zu fördern. Namentlich im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts drangen häufig reaktionäre, phantastische und unreine Elemente in dieselben ein, unter denen der Jesuitismus, nach der 1773 erfolgten Aufhebung des Ordens Loyolas heimlich fortlebend, eine Hauptrolle spielte. Diese schlechten Elemente überwucherten rasch die guten, und gerade die Zeit, wo die Mysterien in Deutschland scheinbar am stolzesten blühten, gerade die 80er Jahre sahen in Wirklichkeit ihren tiefsten Verfall. Den Anstoß zur Bildung dieser Erscheinungen gab die in England aus den alten Bauhütten entstandene Freimaurerei, ein Bund, der, anfangs eine Verbindung für Bauzwecke, sich später zum Träger des Deismus umgestaltete und mit dieser Tendenz sich rasch über ganz Europa ausbreitete, dann aber in verschiedene Systeme zerfiel, die mit wenigen Ausnahmen dem ursprünglichen Wesen dieses Bundes fremde Zwecke und Lehren hatten. Die empfindsame Schwärmerei, welche als Reaktion gegen die in Deutschland eingedrungene Frivolität der französischen Encyklopädisten, gegen die öde Nüchternheit der Berliner Aufklärer und gegen die Oberflächlichkeit Wielands und seiner Schule in Norddeutschland entstanden war und allmählich auch in Süddeutschland die Gemüter ergriff, trug dazu bei, die Logen weiter zu verwirren. Die Rosenkreuzer gewannen Einfluß auf die Logen. ↔ Der Baron v. Hund stellte das System der strikten Observanz auf, mit dem es auf die höhern Stände abgesehen war. Die sogen. Kölner Urkunde, angeblich 1535 verfaßt, führte zum Entstehen der Templer, die der Maurerei ein romantisch-ritterliches Element beimischten und sie in einen vielgegliederten Orden verwandeln sollten, welcher unter der Leitung auserwählter Meister und eines erlauchten Patriarchen nebelhaften Zwecken zu dienen bestimmt war. In engster Beziehung zu den Jesuiten stand der lutherische Hofprediger Stark in Darmstadt, der in verschiedenen geheimen Orden sein Wesen trieb und sich schließlich als Katholik entpuppte. So entstanden immer neue Formen ohne Inhalt oder mit einem Inhalt, welcher dem eigentlichen Wesen der Freimaurerei widersprach, und so bildeten sich namentlich die Systeme mit den sogen. Hochgraden aus. Erst spät trat eine Reaktion gegen diese Entwickelung ein, welche einen Teil der Logen von dem in ihnen aufgehäuften Humbug säuberte und ihnen die ursprüngliche einfachere Gestalt wiedergab.

So viel von den humanitären Geheimbünden. Den Übergang zu den politischen zeigt uns der Orden der Illuminaten, der in unklarer Weise auf Verwirklichung der Ideen hinarbeiten sollte, die durch die erste französische Revolution verwirklicht wurden. Erst unter Napoleon begann die Bildung eigentlicher politischer Geheimbünde mit den demokratischen Philadelphen, die namentlich in der französischen Armee viele Anhänger fanden. In Deutschland folgte der nur zum Teil geheime Tugendbund, und in Italien entstanden die Venten der Karbonari, die sich auch über Frankreich verbreiteten. Neben den Karbonari tauchte 1815-48 in Italien noch eine große Anzahl geheimer Sekten auf, meist, um bald wieder zu verschwinden. So in Kalabrien und den Abruzzen die Weißen Pilger und die Decisi, in Neapel die Hemdenlosen und die Gespenster in der Gruft, in der Romagna das Apostolat Dantes, im nördlichen Italien die Guelfen, die Delphischen Priester und die Amerikanischen Jäger, zu denen Joseph Bonaparte und Lord Byron gehört haben sollen, und die auf eine Rückkehr Napoleons hofften, der mit Hilfe Amerikas dem Liberalismus zum Sieg verhelfen sollte. Ähnliche Tendenzen verfolgten in Italien die Söhne des Mars, der Verein der Schwarzen Nadel und die Sonnenritter, in Frankreich die Illuminaten, die eine Berufung des Königs von Rom auf den französischen Thron im Auge hatten. Schließlich sollte auch die Sache des Papstes und der Reaktion durch Geheimbünde gefördert werden, von denen wir hier nur die Calderari, die Sanfedisten des Kardinals Consalvi und die Consistoriali anführen, welche an eine Vergrößerung des Kirchenstaats durch Toscana wie Modenas durch Lucca und einen Teil der Lombardei, sodann aber an ein strenges theokratisches Regiment mit Erhaltung der feudalen Rechte dachten. Die in neuerer Zeit aufgetauchten Geheimbünde der Camorra (s. d.) und der Mafia (s. d.) in Sizilien sind nichts als organisierte Räuberbanden.

Wie schon angedeutet, gab es während der Restaurationszeit auch in Frankreich bonapartistische Geheimbünde und daneben solche, die demokratischen Tendenzen huldigten. Letztere verschmolzen indes bald mit der französischen Charbonnerie, deren Haupt Lafayette war. Nach der Julirevolution bildete sich dann aus den republikanisch Gesinnten die Gesellschaft der Menschenrechte, deren höchster Grad, die Sektion der Aktion, auf eine neue Revolution

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 1018.