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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Genie

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Genie.

die Körper- oder Geisteswelt, in ersterer Hinsicht als technisches G., in dieser als reformatorisches (Denken, Fühlen oder Wollen andrer nach dem eignen umgestaltendes) G., wie es die großen Erfinder in der industriellen, die großen Denker, Dichter, Religionsstifter und Staatengründer in der wissenschaftlichen, künstlerischen, kirchlichen und politischen Welt gewesen sind. Vgl. Gerard, Essay on genius (Lond. 1774; deutsch von Garve, Leipz. 1782); J. A. ^[Johann Adolf] Schlegel, Abhandlung vom G. in den schönen Künsten, im 2. Band seiner Übersetzung von Batteux' "Les beaux-arts reduìts à un même principe" (3. Aufl., das. 1770); Sulzer, Untersuchung über das G., in dessen "Vermischten Schriften", Bd. 1 (das. 1800); E. K. Wieland, Versuch über das G. (das. 1779); Bouterwek, Vom griechischen und modernen Genius (Götting. 1791); Weise, Allgemeine Theorie des Genies (Heidelb. 1822).

Genie (franz.), eine der Spezialwaffen der Heere, welche im Krieg wie im Frieden diejenigen militärisch-bautechnischen Arbeiten auszuführen oder zu leiten hat, die besondere technische Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern. Die Offiziere dieser Waffe bilden das Geniekorps oder (in Deutschland) Ingenieurkorps (s. d.), während die Truppe selbst Genietruppe oder Pioniere (s. d.) genannt wird. Die Genieoffiziere haben die Entwürfe von Festungen und fortifikatorischen Bauten aller Arten zu fertigen und deren Bauausführung zu leiten. Im Festungskrieg (s. d.), sowohl beim Angriff als bei der Verteidigung, leiten sie den fortifikatorisch-technischen Dienst, wie Sappen- und Minenbau, Brückenschlag, das Zerstören von Wegen, Brücken, Eisenbahnen etc., im Küstenkrieg (mit Ausnahme in den Kriegshäfen) das Auslegen von Seeminensperren u. dgl. Hiernach gliedert sich der Dienst der Genietruppe in den der Sappeure, Sappen- und Schanzenbau, der Mineure, unterirdische Anlagen, und der Pontoniere, Brückenbau. In einigen Armeen stehen die Eisenbahn- und Telegraphentruppen mit der Genietruppe in organischem Zusammenhang oder werden im Krieg aus ihnen formiert, wie in Deutschland die Feldtelegraphenabteilungen, in andern sind sie selbständig. Die Organisation der Genietruppen ist in den einzelnen Heeren recht verschieden. Deutschland s. Pioniere. Österreich hat 2 Genieregimenter und 1 Pionierregiment, jedes zu 5 Feldbataillonen à 4 Kompanien, die in Bezug auf den allgemeinen Pionierdienst (Wegebau und -Zerstörung, Feldbefestigung) gemeinsame Verwendung finden; speziell aber fällt den erstern die Mitwirkung im Festungsdienst (Mineurdienst), dem letztern der Kriegsbrückenbau zu, zu welchem Zweck ihm 56 Kriegsbrückenequipagen à 53 m Brückenlänge zugewiesen sind. Die Genieregimenter sind dem Generalgenieinspektor im Kriegsministerium, das Pionierregiment nur in administrativer Beziehung dem Kriegsministerium, im übrigen dem Chef des Generalstabs unterstellt. Im J. 1883 wurde aus den Pionier- und Mineurdetachements ein Eisenbahn- und Telegraphenregiment formiert. Frankreich hat 4 Regimenter zu je 5 Bataillonen à 4 Kompanien Sappeure-Mineure und 2 Regimenter à 14 Kompanien Pontoniere, letztere gehören jedoch nach alter Tradition zur Feldartillerie. Zu jedem Genieregiment gehören 1 Depot- und 1 Eisenbahnkompanie. Im Krieg verfügt Frankreich über 80 Kompanien Sappeure-Mineure, 28 Kompanien Pontoniere, 4 Eisenbahnbataillone, 9 Eisenbahnarbeiter-Sektionen, welch letztere von den Eisenbahngesellschaften aufgestellt werden. Italien hat 4 Genieregimenter; jedes der beiden ersten hat 14 Sappeur- und 2 Trainkompanien; das 3. Regiment besteht aus 4 Sappeur-, 6 Telegraphen-, 4 Eisenbahn- und 2 Trainkompanien; das 4. ist das Pontonierregiment, es besteht aus 8 Pontonier-, 2 Lagunen- (lagunari) und 4 Trainkompanien. Großbritannien hat 34 aktive Ingenieurkompanien, davon sind 4 Topographen-, 2 Eisenbahn-, 7 Torpedo-, 5 Feld- (jede mit einem leichten Ingenieurpark), 16 Garnison- (Festungs-) Kompanien; außerdem 9 Ersatz-, 3 Kadrekompanien, 1 Telegraphenbataillon zu 2 Divisionen, von denen eine stets kriegsbereit, 1 fahrende Pontonierkompanie, 1 Ersatz-Sappeurabteilung, 1 Ingenieurfeldpark und 2 Luftschiffahrtskompanien, von denen eine in Südafrika. Rußlands Ingenieurtruppen bestehen aus 17 Sappeurbataillonen, 4 Sappeurkompanien, 8 Pontonier-, 4 Eisenbahnbataillonen, 6 Feld-, 2 Belagerungsingenieur-, 16 Telegraphenparken.

Die hohe Entwickelung des Belagerungswesens (Poliorketik) bei den Griechen und Makedoniern läßt eine Art Genietruppe bei ihnen voraussetzen, welche den Bau der mannigfachen Kriegsmarinen, der Laufgräben, Deckwälle, Minengänge zum Einstürzen feindlicher Festungsmauern etc. ausführten. Diades, Chaireas und Dienechos waren berühmte Ingenieure Alexanders. Die Römer hatten schon in den ältesten Zeiten technische Truppen, Fabri aerarii (Sappeure) und Fabri lignarii (Zimmerleute), für den Belagerungskrieg, welche die Kriegsmaschinen und Brücken bauten und die Minen (cuniculi) anlegten. Ihr Oberbefehlshaber (Generalinspektor), der Praefectus fabrorum, war nur dem Feldherrn unterstellt. Im Mittelalter bis in das 16. Jahrh. war der Ingenieurdienst von dem der Artillerie nicht getrennt. Bei den Spaniern und Italienern taucht schon um die Mitte des 14. Jahrh. der Name Ingenieros (span. engeños, ital. ingegni, Kriegsmaschinen) für die Kriegsleute auf, welche die Kriegsmaschinen anzufertigen und zu gebrauchen verstanden. In den Landsknechtheeren Anfang des 16. Jahrh. hatte der Artillerieoberst eine gewisse Anzahl Schanzbauern für den Schanzen-, Wege- und Brückenbau zu stellen, die unter einem Schanzbauernhauptmann, Schanz- und Brückenmeistern standen; sie sind als die Anfänge der Genietruppe anzusehen. Ein Ingenieurkorps wurde zuerst 1603 von Sully gebildet, der auch für dessen wissenschaftliche und technische Ausbildung sorgte. Es bildete lange, dem Zeitgebrauch entsprechend, wie die Büchsenmeister der Artillerie, eine Zunft, deren Schranken erst nach und nach von Montalembert, d'Arçon, Carnot u. a. durchbrochen wurden. Die "Kriegsbaumeister" im Solde der Fürsten, die Erbauer von Festungen, waren meist Bürger, die ihren Beruf als Kunst da ausübten, wo sie den lohnendsten Erwerb fanden, gleichviel in welchem Lande.

Gustav Adolf bildete sich ein Korps von Feld- und Festungsingenieuren, welches er mit dem Generalstab vereinigte. In Preußen entstand unter Friedrich Wilhelm I., in Sachsen unter August II. ein Ingenieurkorps, in Österreich schon um 1640 ein Geniekorps, nachdem die Formation einer Genietruppe dort vorangegangen; in Frankreich wurde 1679, in Brandenburg 1690 eine Mineurtruppe errichtet.

Die Errichtung der Ingenieur- oder Geniekorps hatte die von Ingenieurschulen zur fachwissenschaftlichen Ausbildung der Genieoffiziere zur notwendigen Folge. So wurde 1717 in Wien die Ingenieurakademie, 1742 zu Dresden, 1750 zu Mézières, 1788 zu Potsdam eine Ingenieurschule gegründet;