Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gerichtliche Analyse; Gerichtliche Medizin

167

Gerichtliche Analyse - Gerichtliche Medizin.

Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden bestehen, urteilen über schwere Verbrechen. Über die Schuldfrage entscheiden zwölf Geschworne. 4) Das Reichsgericht entscheidet in erster und letzter Instanz über die gegen Kaiser oder Reich gerichteten Verbrechen des Hochverrats und des Landesverrats.

Berufungsinstanz: Eine eigentliche Berufung (Appellation), durch welche die nochmalige Verhandlung, Prüfung und Entscheidung einer Strafsache, der Thatfrage sowohl als der Rechtsfrage, in zweiter Instanz veranlaßt wird, ist nur gegen Urteile der Schöffengerichte statuiert. Dieselbe geht an die Strafkammer des Landgerichts. Für die Einführung einer Berufung gegen Urteile der Strafkammern ist jedoch jetzt eine lebhafte Bewegung im Gange.

Revisionsinstanz: Durch das gegen die Strafurteile der Landgerichte und der Schwurgerichte zulässige Rechtsmittel der Revision (Nichtigkeitsbeschwerde) ist die Möglichkeit gegeben, für den Fall der etwanigen Verletzung eines Gesetzes die nochmalige Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage in der höhern Instanz oder doch die Aufhebung des beschwerlichen Erkenntnisses und die Rückverweisung zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung herbeizuführen. Als Revisionsgerichte fungieren: 1) Die mit fünf Richtern besetzten Strafsenate der Oberlandesgerichte, wenn es sich um die Anfechtung von Urteilen der Strafkammern in der Berufungsinstanz oder von erstinstanzlichen Urteilen derselben handelt, sofern in dem letztern Fall die Revision ausschließlich auf die angebliche Verletzung einer landesgesetzlichen Bestimmung gestützt wird. 2) Handelt es sich dagegen um die Verletzung einer reichsgesetzlichen Norm, also namentlich einer Bestimmung des Reichsstrafgesetzbuchs, durch ein erstinstanzliches Urteil der Strafkammer, so geht die Revision an das Reichsgericht, welches auch über die gegen Urteile der Schwurgerichte eingelegte Revision zu entscheiden hat.

Beschwerdeinstanz: Abgesehen von den eigentlichen Strafurteilen, können auch richterliche Verfügungen und Entschließungen, welche jenen vorausgehen und sie vorbereiten, zu Beschwerden Veranlassung geben, und zur Entscheidung über solche sind 1) die Strafkammern der Landgerichte, insofern es sich um Anordnungen und Entschließungen des Untersuchungsrichters, des Amtsrichters oder der Schöffengerichte, und 2) die Oberlandesgerichte berufen, wenn es sich um Beschlüsse der Strafkammern selbst oder des Gerichtshofs der Schwurgerichte handelt.

Vgl. Stölzel, Die Entwickelung des gelehrten Richtertums (Stuttg. 1872, 2 Bde.); die Ausgaben des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes von Gneist (2. Aufl., Berl. 1882), Gschwender (2. Aufl., Münch. 1885) u. a.; Knoblauch, Karte der deutschen Gerichtsorganisation (Berl. 1879).

Gerichtliche Analyse, chemische oder mikroskopische Untersuchung im Interesse der Rechtspflege. Oft handelt es sich bei einer solchen nur um Feststellung der Beschaffenheit von Nahrungs- und Genußmitteln oder Waren andrer Art, bei der gerichtlichen Analyse im engern Sinn aber ist die Gegenwart von Blut, Sperma, Giften etc. in und an den verschiedensten Gegenständen nachzuweisen. Blutflecke sollen, oft noch nach Jahren, an Möbeln, Kleidern, Waffen etc. erkannt und es soll womöglich die Natur des Bluts festgestellt werden. Gifte sind sehr häufig in frischern oder ältern Leichenteilen, aber auch in Geräten aller Art nachzuweisen. Immer ist die g. A. eine qualitative, resp. quantitative Analyse, welche nach denselben Regeln wie jede andre Analyse (s. d.) ausgeführt wird. Da aber von dem Ausfall derselben das Urteil des Richters oft in erster Linie bestimmt wird, da somit in die Hand des Chemikers Entscheidung über Ehre und Unehre, über Leben und Tod des Angeschuldigten gelegt ist, so erfordert die g. A. ganz besondere Vorsichtsmaßregeln. Die zu untersuchenden Objekte sind vor jeder fremden Beeinflussung absolut zu schützen, das Laboratorium darf während der Untersuchung von keinem Unbeteiligten betreten werden, es sind neue Apparate anzuwenden, und die zu benutzenden Chemikalien müssen sorgfältig auf ihre Reinheit geprüft werden; kurz, es muß alles geschehen, was irgend erforderlich erscheint, um einen Irrtum auszuschließen. Dabei ist der nachgewiesene Körper und, soweit möglich, die gesamte aufgefundene Quantität desselben in eine Glasröhre einzuschmelzen, um als Beweismaterial zu dienen. Die Schwierigkeit der gerichtlichen Analyse beruht zum Teil auf der Beschaffenheit der zu untersuchenden Substanz, zum Teil auf der Fragstellung des Richters. Wenn in ältern Leichenteilen, die sich in vorgeschrittener Fäulnis befinden, Alkaloide nachgewiesen werden sollen, so gehört große Umsicht und Geschicklichkeit dazu, dieselben abzuscheiden und ihre Natur zweifellos festzustellen, und während es z. B. verhältnismäßig leicht ist, die Frage zu beantworten, ob Arsenik vorhanden ist oder nicht, so ist es außerordentlich schwierig, die Frage zu beantworten, ob irgend welche schädliche Stoffe vorhanden sind. Der Chemiker hat in solchem Fall sorgfältig zu erwägen, wie weit er eine präzise Antwort geben darf. Litteratur vgl. Analyse, chemische.

Gerichtliche Medizin (Medicina forensis), die Lehre von der Erforschung und Verarbeitung medizinischer Thatsachen zum Zweck der Rechtspflege. Sie bildet einen Teil der Staatsarzneikunde, welche die Anwendung medizinischer Kenntnisse für Staatszwecke überhaupt, also auch für die Gesetzgebung und Verwaltung lehrt. Ihre Aufgabe ist die, bei Rechtshandlungen, Zivil- und Kriminalprozessen dem Richter ein sachverständiges Gutachten über irgend welche in das Gebiet der Medizin fallende Fragen abzugeben. Diese Fragen beziehen sich einmal auf lebende Personen, über deren geistige oder körperliche Zustände ein Gutachten gefordert wird. Deshalb muß der Gerichtsarzt 1) das ganze Gebiet der Geisteskrankheiten, die gerichtliche Psychologie beherrschen, da es oft äußerst schwierig ist, festzustellen, ob ein Mensch völlig zurechnungsfähig ist oder nicht, und noch schwerer, zu entscheiden, ob ein solcher bei einer vielleicht vor Jahren begangenen Handlung gesund oder geisteskrank gewesen ist. Körperliche Untersuchungen andrer Art beziehen sich auf krankhafte Körperzustände, vorhandene Schwangerschaft, Zeugungsunfähigkeit u. dgl. oder auf Verletzungen und Erkrankungen, bei denen die Schuld eines Dritten in Frage kommt. Ein sehr umfängliches Gebiet der gerichtlichen Medizin ist 2) die Ermittelung der Todesursache an Leichen. Diese Aufgabe erfordert eine gründliche Schulung des Gerichtsarztes auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie, da nur eine sehr große Erfahrung darüber entscheiden kann, wenn mehr als eine Verletzung oder Erkrankung vorliegt, welche unter ihnen den Tod bewirkt hat, und da selbst bei einfachern Fällen der Gerichtsarzt den oft sehr speziell gestellten Fragen des Richters gegenüber sowie im Kreuzverhör des Staatsanwalts und des Verteidigers sich stets gegenwärtig halten muß, was feststehend, was wahrscheinlich und was nur möglich ist, eine Unterscheidung, die recht große Schwierigkeiten darbietet,