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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Germanicus

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Germanicus.

sonifikation des Begriffs der zu einer politischen Gesamtheit vereinigten deutschen Länder. Dieser Begriff bildete sich etwa seit Mitte der 40er Jahre, als die französischen Rheingelüste wieder in den Vordergrund traten. Er wurde zunächst durch die Poesie plastisch gestaltet, dann durch den Kampf um Schleswig-Holstein weiter ausgebildet und gewann schließlich auch durch die in den Schützen-, Sänger- und Turnerfesten gipfelnden Einigungsbestrebungen der 50er und 60er Jahre eine malerische und plastische Erscheinungsform. Die erste populäre Gestalt einer G. hat der Düsseldorfer Maler Karl Clasen (s. d.) in seiner G. auf der Wacht am Rhein geschaffen. Diese Verkörperung des Begriffs gewann durch die Jahre 1870 und 1871 noch mehr an Verbreitung. Die zahlreichen Sieges- und Kriegerdenkmäler haben dann neue Typen geschaffen, von denen Schillings Niederwalddenkmal am volkstümlichsten geworden ist. Diese G. ist eine Verbindung der alten Schlachtenjungfrau (Walküre) mit der das allumfassende Vaterland versinnlichenden deutschen Mutter (s. die Abbildung, S. 179).

Germanicus, Ehrenname, welchen der röm. Senat dem Nero Claudius Drusus, dem Bruder des Kaisers Tiberius, wegen seiner tapfern Thaten in Deutschland (s. Drusus 4) für sich und seine Nachkommen verlieh, und der dann nach des Vaters Tod auf seinen Sohn Germanicus Cäsar überging. Dieser, ein Sohn des Drusus und der jüngern Antonia, einer Tochter des Triumvirs M. Antonius, geboren im September 14 v. Chr., zeigte schon als Jüngling die trefflichsten Eigenschaften, so daß Augustus 4 n. Chr. Tiberius nur unter der Bedingung durch die Adoption zu seinem Nachfolger ernannte, daß er seinerseits den G. adoptierte. Bereits im J. 7 nahm G. als Quästor teil an dem Kriegszug des Tiberius gegen die empörten Pannonier und Dalmatier und that sich in demselben so hervor, daß ihm bei seiner Rückkehr die Insignien des Triumphs und die Würde eines Prätors verliehen wurden. Die Niederlage des Varus veranlaßte Augustus, 10 und 11 Tiberius, in letzterm Jahr zugleich mit G., nach den durch die Deutschen bedrohten Grenzen zu entsenden. Doch beschränkte sich dieser Feldzug auf einige Verheerungszüge jenseit des Rheins. Im J. 12 verwaltete G. das Konsulat und empfahl sich dem Volk ebensowohl durch die geschickte Verteidigung von Angeklagten wie durch glänzende Spiele. Noch kurz vor dem Tode des Augustus wurde G. zum Befehlshaber der acht römischen Legionen ernannt, die am Rhein den Germanen gegenüber aufgestellt waren, und er befand sich bereits an der Spitze derselben, als die Nachricht vom Tode des Augustus eintraf. Diese war das Zeichen zu einer gefährlichen Empörung der Legionen, welche Abkürzung des Dienstes und Erhöhung des Soldes verlangten, und nur mit Mühe wurde die Empörung durch G. gedämpft, welcher darauf, um die Soldaten zu beschäftigen, während der Jahre 14-16 Expeditionen nach Deutschland unternahm, die zwar neue Beweise von der Kühnheit und Tapferkeit des Heers wie seines Anführers ablegten, jedoch für die Ausdehnung der römischen Herrschaft von keinem bleibenden Erfolg waren (vgl. Arminius). Im J. 14 machte er einen Streifzug in das Gebiet der Marser, in deren Gebiet er den gefeierten Tempel der Göttin Tanfana zerstörte. Im J. 15 drang er von Mainz aus über den Taunus vor, nahm, von Armins Schwiegervater Segestes zu Hilfe gerufen, Armins Gattin Thusnelda gefangen, erhielt den Titel Imperator, machte dann durch den sogen. Drususkanal und den Zuidersee einen Einfall von der Nordsee her, lieferte den Deutschen unter Arminius ein unentschiedenes Treffen und erlitt auf dem Rückweg durch Schiffbruch und feindliche Angriffe erhebliche Verluste. Im J. 16 drang er wieder von der Nordsee her vor und lieferte Arminius erst in der Nähe der Porta Westfalica auf dem Idisiavisofeld und dann noch an einer andern nicht sicher zu bestimmenden Stelle zwei große zwar siegreiche, aber nur einen halben Erfolg gewährende Schlachten, worauf er teils zur See, teils zu Lande den Rückzug antrat, bei welchem er wiederum durch Stürme viele Leute und Schiffe verlor. Er wurde aber hierauf von Tiberius aus Eifersucht und Argwohn abberufen unter dem Vorwand, daß er die Ehre des Triumphs genießen und ein zweites Konsulat übernehmen solle. Im Triumphzug ward auch Thusnelda, die Gattin Armins, mit ihrem Söhnchen aufgeführt. Tiberius sandte G. nun mit den ehrenvollsten und ausgedehntesten Vollmachten nach dem Orient, daselbst die Angelegenheiten zu ordnen; zugleich wurde jedoch Gnäus Piso, vielleicht mit geheimen Aufträgen, vom Kaiser als Statthalter nach Syrien geschickt. Im J. 18 trat G. seine Reise in den Orient an, auf welcher er Actium, Athen, dann die historisch merkwürdigsten Orte der griechischen, thrakischen und kleinasiatischen Küste berührte; bei der Insel Rhodos rettete er Piso vor einem Schiffbruch, obwohl er bereits von dessen feindseliger Gesinnung unterrichtet war. Hierauf ging er nach Armenien, woselbst er Zeno, den Sohn des pontischen Königs Polemo, als König einsetzte, und verwandelte Kappadokien und Kommagene in römische Provinzen. Im nächsten Jahr bereiste er Ägypten bis nach Syene und Elefantine. Bei seiner Rückkehr nach Syrien fand er die meisten seiner Anordnungen durch Piso wieder umgestürzt, der ihm überhaupt auf alle Weise entgegentrat. Nachdem es hierüber zwischen beiden zu heftigen, leidenschaftlichen Erörterungen gekommen war, erkrankte G. so plötzlich und heftig, daß seine Freunde und er selbst an eine Vergiftung glaubten. Die Nähe seines Todes fühlend, trug er den Freunden die Rache für seinen Tod auf und starb 9. Okt. 19 zu Epidaphne bei Antiochia, 33 Jahre alt. Allgemein war der Schmerz, der sich bei der Nachricht von seinem Tod nicht nur in Rom, sondern auch in den Provinzen äußerte. Als seine Gemahlin Agrippina im Frühling des folgenden Jahrs die Asche G.' nach Italien brachte und im Grabmal des Augustus beisetzte, wetteiferten Volk und Senat in Trauer- und Ehrenbezeigungen; bezeichnete schon damals die Volksstimme allgemein Tiberius als den Anstifter des Mordes, so schien dieser das Gerücht später durch die unfreundliche und schließlich grausame Behandlung der Witwe und der Kinder des G. zu bestätigen. Indessen konnte die Vergiftung nicht bewiesen werden. Von den neun Kindern, welche Agrippina ihrem Gatten geboren, starben drei vor ihrem Vater; drei Töchter, Agrippina, Drusilla, Livilla, und drei Söhne, Nero, Drusus und C. Cäsar Caligula, der nachmalige Kaiser, überlebten ihn. Der Kaiser Claudius war ein Bruder des G. Tapferkeit, Edelmut und Milde des Charakters zeichneten G. aus; dabei gehörte er zu den Gebildetsten seines Volkes, so daß er selbst eine Stelle in der römischen Litteratur einnimmt. Doch hat sich weder von seinen Reden noch von seinen in griechischer Sprache abgefaßten Komödien etwas erhalten; nur von einer lateinischen Übersetzung der "Phaenomena" des Aratos, die ihm