Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Germania

179

Germanen und Germanien - Germania.

Harnische und Helme. Einzelne Völkerschaften, wie die Tenkterer und Chauken, werden ihrer Reiterei halber gerühmt; die Hauptstärke der germanischen Heere bestand jedoch im Fußvolk. Roh im Vergleich zur Kriegskunst waren die übrigen Künste, obwohl, selbst durch den Krieg begünstigt, Gesang, Poesie und Heilkunde den alten Germanen nicht fremd gewesen sind. Die Sprache (s. Germanische Sprachen) war reich und bildungsfähig; auch gab es bereits Schriftzeichen, Runen (s. d.), deren sich Priester und andre kundige Männer bedienen mochten. Doch ward kein ausgiebiger Gebrauch von der Schrift gemacht, und bis zu Aufzeichnungen ihrer Geschichte und ihres Rechts waren die Germanen zur Zeit der Römer noch nicht vorgeschritten. Nur mündlich, in Liedern und Gesängen, die im Volk lebten, bewahrte man die Erinnerung an hervorragende Helden und ruhmvolle Thaten. Einen eignen Priesterstand, wie ihn bei den Kelten die Druiden bildeten, hatten die Germanen nicht; es wird das ausdrücklich als einer der Hauptunterschiede zwischen beiden Nachbarvölkern hervorgehoben. Wohl aber gab es Priester, welche, wenn das Volk unter dem besondern Frieden der Götter (über diese vgl. Deutsche Mythologie) zur Versammlung oder zum Heer zusammentrat, den Gottesfrieden zu wahren hatten und mit einer weitgehenden Strafgewalt gegen die, welche denselben verletzten, ausgestattet waren. Aus dem Ausfall der Opfer, die sie brachten (und wenigstens in der ältesten Zeit waren auch Menschenopfer gebräuchlich), aus dem Flug der Vögel, aus dem Wiehern der heiligen Rosse, aus Losen, die geworfen wurden, verkündeten sie und die heiligen weissagenden Frauen den Willen der Götter und die Zukunft. Tempel und Bilder der Götter gab es nicht; in heiligen Hainen und Wäldern wurden ihnen Altäre errichtet und die Opfer dargebracht.

Die Gewerbe waren einfach, da sie nur einfache Bedürfnisse zu befriedigen hatten und nur in wenigen Fällen dem Handel dienten. Jagd und Weberei sorgten für die Kleidung; Schnitzen, Schmieden und Schmücken der Waffen gehörte zu den edlen Gewerben und ausschließlich zum männlichen Beruf. Die Kunst, Eisen und Kupfer zu schmelzen und zu verarbeiten, wurde allgemein geübt. Oft wurden die Lieblingswaffen, Speer und Schild, mit Silber- oder Goldblech beschlagen, oder ausgelegt und mit Figuren verziert. Auch die Schiffahrt war nicht unbekannt; die Flüsse befuhr man mit Kähnen, die Küstenbewohner wagten sich ins offene Meer und waren auch hier streitbar. Geringere Gewerbe trieben ausschließlich die Unfreien und Knechte. Der Handel nahm eine sehr untergeordnete Stelle ein. Das Geld und seinen Gebrauch kannten die germanischen Völker (die an den Römergrenzen ausgenommen) nur dem Namen nach. Nur tauschweise trieben sie einigen Verkehr mit den Nachbarn; Plinius nennt Felle, Honig, Bernstein, Federn, Schinken, Vieh und Sklaven als Gegenstände des Handels; eingeführt ward besonders Wein, der auch schon früh, man nimmt an, auf Anordnung des Kaisers Probus, am Rhein gebaut wurde, außerdem Schmuck und Kleidung mancherlei Art.

Nicht überall sind die Züge aus dem Lebender alten Germanen, die hier zu einem Gesamtbild vereinigt sind, so reichhaltig und ausführlich, wie man es wünschen möchte; nicht wenige Lücken unsrer Kenntnis bleiben unausgefüllt. Aber das, was wir wissen, reicht aus, um die früher vielverbreitete Meinung, die alten Germanen hätten zur Zeit, da sie mit den Römern in Berührung kamen, ungefähr auf derselben Stufe der Kultur gestanden wie etwa die begabtern der Indianerstämme Amerikas, entschieden zurückzuweisen. Keine Wilden mehr waren die Germanen, und längst waren sie über die niedersten Stufen der Zivilisation hinaus vorgeschritten; aber sie standen erst in den Anfängen einer reichen und glücklichen geschichtlichen Entwickelung, der es vorbehalten war, die Geschicke der Welt von Grund aus umzugestalten und an Stelle der morschen und in sich zerfallenen Römerherrschaft eine neue Ordnung der Dinge zu setzen. - Vgl. (außer den allgemeinen Geschichten des deutschen Volkes) Zeuß, Die Deutschen und ihre Nachbarstämme (Münch. 1837); v. Bethmann-Hollweg, Über die Germanen vor der Völkerwanderung (Bonn 1850); v. Wietersheim, Zur Vorgeschichte deutscher Nation (Leipz. 1852); Grimm, Geschichte der deutschen Sprache (4. Aufl., Leipz. 1880, 2 Bde.); Thudichum, Der altdeutsche Staat (Gießen 1862); v. Sybel, Entstehung des deutschen Königtums (Frankf. 1844); Hennings, Über die agrarische Verfassung der alten Deutschen (Kiel 1869); Rogge, Das Gerichtswesen der Germanen (Halle 1820); Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (2. Aufl., Kiel 1865); Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde (Berl. 1870, Bd. 1); Baumstark, Tacitus' "Germania" (das. 1875); Arnold, Deutsche Urzeit (3. Aufl., Gotha 1881); Dahn, Geschichte der deutschen Urzeit (das. 1883 ff.).

Germania, römische Bezeichnung für Deutschland, in der Dichtkunst und den bildenden Künsten die Per-^[folgende Seite]

^[Abb.: J. ^[Johannes] Schillings Germania, vom Niederwalddenkmal.]