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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gesandte

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Gesandte (Zeremonialrechte, Kreditiv etc.).

der bürgerlichen und polizeilichen als von der strafrechtlichen, befreit und steht unter den Gesetzen seiner Heimat mit alleiniger Ausnahme der aus dem Grundbesitz (in foro rei sitae) folgenden Klagansprüche. Das deutsche Reichsbeamtengesetz bestimmt den Gerichtsstand, den Reichsgesandte während ihrer ausländischen Funktionen haben sollen. Durch die Exterritorialität ist übrigens dem Gesandten kein Privilegium zu Widerrechtlichkeiten gegeben; vielmehr würde bei unangemessenem Verhalten nicht nur eine vertrauliche Warnung erfolgen oder in schwereren Fällen seine Abberufung verlangt und, wenn diese nicht geschehen sollte, die Wegschaffung über die Grenze verfügt werden, sondern es würden auch Maßregeln zur Sicherheit gegen fernere Beeinträchtigungen, ja bei offenbaren Konspirationen und Kriegsunternehmungen sogar feindselige Behandlung, besonders präventive Gefangennehmung, eintreten können. 4) Aus der Exterritorialität folgert man zuweilen eine gewisse Selbstgerichtsbarkeit über das Gesandtschaftspersonal; der G. hat in Straffällen das Recht des ersten Angriffs, also z. B. der Festnahme des Verbrechers, der Feststellung des Thatbestandes, während er die weitere Untersuchung und Bestrafung den Gerichten seines Staats überlassen muß und nur etwa deren Requisitionen zu vollziehen hat. Er kann zu gunsten der Angehörigen der Gesandtschaft die freiwillige Gerichtsbarkeit ausüben, insbesondere Testamente annehmen, Beglaubigungen vornehmen, Siegel anlegen. In streitigen Fällen übt er zwar kein Richteramt aus, kann jedoch die desfallsigen Requisitionen vollziehen, z. B. Zeugenverhöre vornehmen. Eine weiter gehende Gerichtsbarkeit ist zwar wohl bisweilen behauptet worden, aber nie allgemein in Gebrauch gewesen. Zu diesen Vorrechten ist aus Rücksichten der Gastlichkeit 5) noch die Freiheit von Abgaben gekommen, ohne daß jedoch eine Verbindlichkeit, dieselbe zu beachten behauptet werden könnte. Auf keinen Fall kann die Befreiung der den Gesandten gehörigen Grundstücke von den desfallsigen dinglichen Lasten behauptet werden. Diese Vorrechte sind allen Gesandten gemeinsam, und es nimmt an denselben, außer dem unter 4), auch das ihnen beigegebene Gesandtschaftspersonal teil.

Was dagegen die Zeremonialrechte der Gesandten betrifft, so sind dieselben je nach dem Rang verschieden. Nach dem bereits erwähnten Reglement von 1815 und 1818 bestehen dermalen vier Rangklassen: I. Botschafter, Großbotschafter (ambassadeurs), päpstliche Legaten (legati de oder a latere) und Nunzien; II. mit dem Titel eines Internunzius, Gesandten oder Ministers bei dem fremden Souverän beglaubigte Diplomaten (envoyés, ministres ou autres accrédités auprès des souverains); III. Ministerresidenten (ministres résidents); IV. Geschäftsträger, die, wenn auch mit dem Titel eines Ministers, doch lediglich bei dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten beglaubigt sind (chargés d'affaires accrédités auprès des ministres chargés des affaires étrangères). Die sämtlichen Gesandten rangieren untereinander nach diesen vier Klassen und in jeder Klasse nach der Zeit der öffentlichen Bekanntmachung ihrer Annahme. Dem Gesandten ersten Ranges wird vorzugsweise die Repräsentation der Person seines Souveräns zugeschrieben sowie der Titel "Exzellenz", ferner das Recht, einen Thronhimmel in seinem Empfangssaal zu haben, das Recht, sich in Gegenwart des fremden Souveräns zu bedecken, wenn dieser darin vorangegangen ist, das Recht, mit sechs Pferden und mit Staatsquasten (fiocchi) zu fahren, zugestanden. Es ist Brauch, daß der G. nach seiner Ankunft sich zuvörderst bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten meldet und ihn ersucht, die weitern Veranstaltungen zur Vorstellung bei dem Souverän, wenn er bei diesem beglaubigt ist, zu treffen. Es erfolgt dann der Empfang durch den Souverän in feierlicher oder privater Audienz; auch wird der G. nicht unterlassen, bei den Mitgliedern der Familie des Souveräns, bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten und bei den Mitgliedern des diplomatischen Korps sich vorzustellen und Besuche zu machen; G. ersten Ranges haben indessen gewöhnlich den ersten Besuch seitens des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und der Mitglieder des diplomatischen Korps zu erwarten. An sich hängt es von dem Willen des Souveräns ab, welchen Rang er seinen Gesandten beilegen will. Souveräne von königlichem Rang senden aber herkömmlich an Souveräne geringern Ranges weder G. ersten Ranges, noch empfangen sie solche von ihnen; auch schickt man jedem Staat G. von demselben Rang zu, wie man von ihm empfängt. In der Wahl der Person ist der absendende Souverän an sich unbeschränkt; er kann ebensowohl mehrere G. senden, wie mehrere Staaten Einem Gesandten Vollmacht geben können. Für kleinere Staaten ist es aber, wenn sie nicht überhaupt auf die Ausübung des Gesandtschaftsrechts verzichten, jedenfalls und zwar nicht bloß der Kostenersparnis wegen geraten, mit der Führung ihrer Angelegenheiten G. größerer Mächte zu betrauen.

Der völkerrechtliche Repräsentativcharakter des Gesandten beginnt für den fremden Staat mit der amtlichen Kenntnisnahme von der Sendung und Person desselben. Zu dem Zweck erhält der G. ein Beglaubigungsschreiben (Kreditiv, lettre de créance), das, wenn er den drei ersten Klassen angehört, von dem Souverän, außerdem von dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten ausgestellt und in jenem Fall an den auswärtigen Souverän, in dem zweiten an das Ministerium des auswärtigen Staats gerichtet ist. Darin wird darum nachgesucht, dem Gesandten Gehör zu geben. Er hat dies bei seiner Ankunft dem Adressaten zu überreichen. Zur Verständigung über die Person des Gesandten geht gewöhnlich eine Mitteilung der Abschrift des Kreditivs an die letztere Behörde voraus, und es werden dem Gesandten zur größern Sicherheit von dem absendenden Staat sowohl als von dem empfangenden Pässe zur Reise ausgestellt. Die Stellung des Gesandten endigt mit dem Ablauf der etwa zum voraus dafür bestimmten Zeit, z. B. bei einem nur ad interim bestellten Geschäftsträger mit der Niederlegung oder dem Widerruf des Auftrags, welcher auch in der Verwendung des Gesandten zu einem mit seiner Stellung unvereinbaren Geschäft liegt, mit der Vollziehung des Auftrags oder mit der eintretenden Unmöglichkeit derselben, z. B. wegen Ausbruchs eines Kriegs, oder weil die beschickte Macht den Gesandten nicht empfangen oder nicht mit ihm verhandeln will oder ihn etwa gar zurücksendet, eine an sich feindselige Maßregel, welche Retorsion oder Genugthuungsforderungen veranlaßt, wenn sie nicht etwa durch schuldhaftes Verhalten des Gesandten selbst veranlaßt war. Ein Regierungswechsel führt nur dann das Erlöschen des Auftrags herbei, wenn die Vollmacht ausdrücklich nur auf die Person des absendenden oder beschickten Souveräns gestellt war. In jedem Fall muß der beschickte Staat die Unverletzbarkeit des Gesandten, seines Personals und seines Vermögens so lange achten, bis der Ab-^[folgende Seite]