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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gesandte

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Gesandte (Geschichtliches, Arten von Gesandten, Gesandtschaftsrecht).

det, nach deren Erledigung sie zurückkehrten. Nur der Papst hielt frühzeitig am Hof des oströmischen Kaisers und in den fränkischen Reichen ständige Apokrisiarier oder Responsales. Unleugbar hat auch das päpstliche Legatenwesen auf die Entwickelung des weltlichen Gesandtschaftswesens einen bedeutenden Einfluß geübt. Die Venezianer hatten eine im Mittelalter bereits genau bestimmte Praxis. Von den französischen Monarchen soll zuerst Ludwig XI. ständige G. unterhalten haben. Erst seit dem 15. Jahrh. entwickelten sich gleichzeitig mit der Geheimpolitik und mit den stehenden Heeren auch in den andern europäischen Staaten stehende Gesandtschaften, die in dem durch den Westfälischen Frieden begründeten europäischen Staatensystem eine festere Ausbildung erhielten. Einen Abschluß erhielt die formale Seite des Gesandtschaftswesens im Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts. Die Unterzeichner des ersten Pariser Friedens einigten sich auf dem Wiener Kongreß über ein in dem Protokoll vom 19. März 1815 niedergelegtes, nachmals durch ein Übereinkommen der fünf Großmächte auf dem Kongreß zu Aachen vom 21. Nov. 1818 in einem Punkt modifiziertes Reglement über die Klassen und den Rang der eigentlichen Gesandten, welches seitdem allgemein angenommen worden ist. Den in Europa befolgten Grundsätzen über das Gesandtenwesen, die man, soweit sie rechtlicher Natur sind, Gesandtschaftsrecht nennen kann, haben sich die amerikanischen Staaten angeschlossen. In der neuesten Zeit hat ein regelmäßiger Verkehr mit den großen ostasiatischen Staaten, namentlich mit China und Japan, begonnen. Japan ist der erste heidnische Staat, welcher ständige Gesandtschaften an europäischen Höfen (Berlin, London, Paris, Rom etc.) unterhält, während China in dem Amerikaner Burlingame zuerst einen außerordentlichen Gesandten an die europäischen Höfe abordnete. Im Verkehr mit den halbzivilisierten Staaten Asiens, Afrikas und Australiens läßt sich außer der Unverletzlichkeit der Gesandten von festen Regeln nicht sprechen; doch ist zu bemerken, daß die nordamerikanische Unionsregierung mit den in ihrem Territorium weilenden Indianerstämmen nach den Formen des europäischen Gesandtschaftsrechts verkehrte.

Die Veranlassungen des gesandtschaftlichen Verkehrs sind auch heute noch verschiedener Art. Abgesehen von bloßen Zeremonialgesandtschaften (zur Anzeige von Thronbesteigungen, zur Anteilnahme an großen Hoffesten), kommen Bevollmächtigte verschiedener Art, teils ständig, teils nur zu einem vorübergehenden Zweck (ordentliche, außerordentliche), vor: 1) G. mit einem öffentlich beglaubigten Charakter zur unmittelbaren Verhandlung mit fremden höchsten Staatsgewalten (legati publice missi, ministres publics); 2) Agenten, die zwar zu gleichem Zweck; jedoch ohne öffentlichen amtlichen Charakter abgeordnet werden, z. B. weil die Umstände noch keine dauernde Verbindung (wie bei provisorischen, völkerrechtlich nicht anerkannten Regierungen) gestatten, oder weil die Förmlichkeiten, die mit der Akkreditierung eines Gesandten der ersten Klasse verbunden sind, umgangen werden sollen; 3) Kommissare, die mit öffentlichem Charakter zur Verhandlung bestimmter Gegenstände mit ausländischen Behörden bestimmt sind; 4) Konsuln (s. d.) zur Wahrung der Handelsinteressen, wenn dieselben zugleich den Titel als agents politiques (wie in Serbien vor seiner Selbständigwerdung und in manchen amerikanischen Republiken der Fall) führen; Konsuln ohne Akkreditierung haben nicht die Rechte der Gesandten; 5) Agenten zur Besorgung von Geschäften mit Privaten, oder um geheime Erkundigungen einzuziehen, oder zur Verwaltung von Gütern im Ausland. Diese letztern haben keinen öffentlichen oder völkerrechtlichen Charakter, und werden lediglich als Privatpersonen behandelt. Im folgenden wird zunächst von den Bevollmächtigten der ersten Art gesprochen werden.

Das Recht, G. in Staatsangelegenheiten zu senden, hat jeder Souverän, d. h. jede höchste Staatsgewalt; aber auch nur dieser kann charakterisierte G. mit amtlicher Beglaubigung bestellen. Doch wird auch den unter fremdem Schutz stehenden sogen. Halbsouveränen (wie dem Fürsten von Monaco) durch positive Einräumung das gleiche Recht zugestanden. Dem Recht, G. zu entsenden (aktivem Gesandtschaftsrecht), entspricht das Recht, G. zu empfangen. Es sind nur Souveräne befugt, G. anzunehmen (passives Gesandtschaftsrecht). Dem Deutschen Bund war sowohl das aktive als das passive Gesandtschaftsrecht beigelegt. In einem Bundesstaat dagegen hat nur die Gesamtregierung das Recht der internationalen Vertretung durch G. Das deutsche Kaiserreich beließ, im Widerspruch mit dieser staatsrechtlichen Überlieferung, den einzelnen deutschen Bundesstaaten das aktive und passive Gesandtschaftsrecht. Die deutschen Mittelstaaten entsenden und empfangen G. neben den Reichsgesandtschaften. Die Weigerung, den Gesandten einer fremden Macht zu empfangen, ist zwar rechtlich zulässig; man würde aber erwarten müssen, daß der eigne an diese gesendete gleichfalls zurückgewiesen und überhaupt jeder diplomatische Verkehr abgebrochen würde, was immer mit großen Unbequemlichkeiten verbunden ist. Indessen wird vorkommenden Falls das Recht, sich gewisse Personen, z. B. eigne Unterthanen, als G. zu verbitten, geübt, und ebenso ist der Staat berechtigt, G. zurückzuweisen, deren Vollmachten mit seinen Gesetzen in Widerspruch stehen, z. B. Nunzien mit Vollmachten, deren Ausübung die Kirchenhoheit beeinträchtigen würde.

In der Annahme eines fremden Gesandten liegt das Zugeständnis, ihm diejenige Sicherheit und Freiheit einzuräumen, ohne welche die gültige, ehrenhafte und ungestörte Vollziehung der Staatsgeschäfte nicht möglich ist. Dazu gehört vor allem die Unverletzbarkeit des Gesandten und die Befreiung desselben von gewissen Einwirkungen der Staatsgewalt. Die völkerrechtliche Praxis ist aber darin weiter gegangen und hat dem Gesandten in dem Staat, bei dem er beglaubigt ist, Exterritorialität beigelegt, d. h. eine vollkommene Befreiung von den Zwangswirkungen des fremden Staats, wie wenn er in dem eignen sich befände. Daraus ergeben sich folgende Wirkungen: 1) Die Unverletzbarkeit des Gesandten ist auf sein Personal, sein Wohnhaus, auf das dazu gehörige Mobiliar und auf die Gesandtschaftsequipage erstreckt worden, so daß diese Sachen als befriedet gelten; ein Asylrecht aber liegt hierin nicht, es muß vielmehr jede der fremden Staatsgewalt unterworfene Person dieser vom Gesandten ausgeliefert werden, wenn sie bei ihm Schutz gesucht haben sollte, und es könnte im Notfall sogar eine Durchsuchung angeordnet werden. 2) Dem Gesandten steht das Recht der freien Übung seiner Religion, auch wenn diese sonst verboten sein sollte, innerhalb der Grenzen der Hausandacht zu; er darf also eine eigne Kapelle, einen eignen Geistlichen halten; es müssen aber in jenem Fall die auffälligen Zeichen des besondern Gottesdienstes, als Glocken, Orgel, Kirchenfenster, vermieden werden. 3) Der G. ist von jeder Gerichtsbarkeit, sowohl von