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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Gewissensehe - Gewitter.

des Gewissens), oder der es wenigstens damit kein rechter Ernst ist (weites Gewissen).

Gewissensehe, geschlechtliche Verbindung, welche ohne bürgerliche Beurkundung und ohne kirchliche Einsegnung, aber von beiden Teilen in der Absicht eingegangen wird, sich gegenseitig als wirkliche Eheleute zu betrachten und sich allen daraus hervorgehenden Verpflichtungen zu unterwerfen. Eine solche G. erscheint rechtlich nur als Konkubinat und ebendeshalb als keine Ehe im Sinne des Gesetzes. Früher kam es übrigens in manchen Ländern vor, daß der protestantische Landesherr von der kirchlichen Trauung Dispens erteilte; doch war die Rechtsgültigkeit einer solchen G. nicht unbestritten. Vgl. Dieck, Die G. (Halle 1838); Friedberg, Das Recht der Eheschließung (Leipz. 1865); v. Erichsen, Erfordernisse etc. der Eheschließung (2. Aufl., Berl. 1883).

Gewissensfälle, solche Fälle, in denen das Gewissen nicht mit Klarheit und Bestimmtheit zu unterscheiden vermag, was Recht oder Unrecht, was zu thun oder zu unterlassen ist. Wenn in einem solchen Fall schlechterdings gehandelt werden muß und gleichwohl das Gewissen beim Abwägen der Gründe für und wider keine sichere Entscheidung finden kann, so entsteht infolge dieses Schwankens Unruhe des Gewissens, was die Moralisten veranlaßt hat, teils allgemeine Regeln für die Entscheidung solcher Fälle aufzustellen, teils sich Fälle auszudenken, um sie dann nach den gegebenen Regeln zu entscheiden; s. Kasuistik. Hat die Schwierigkeit der Entscheidung ihren Grund in dem scheinbaren Widerstreit (Kollision) zweier Pflichten, so nennt man dergleichen Fälle Kollisionsfälle (s. d.).

Gewissensfreiheit, im allgemeinen die Abwesenheit von jeglichem Zwang, insofern man durch letztern einerseits zu Handlungen, von denen das Gewissen abmahnt, genötigt und anderseits von Handlungen, zu denen das Gewissen auffordert, abgehalten werden kann. Das Gegenteil ist der Gewissenszwang, der z. B. da stattfindet, wo man die Adoration eines Gegenstandes fordert, dem derjenige, an welchen diese Forderung gestellt wird, keine göttliche Würde beimessen kann, oder wo man Handlungen, welche die Pflicht der Menschenliebe auflegt, verbietet. Beziehen sich G. und Gewissenszwang auf religiös-kirchliche Gegenstände, so gebraucht man dafür gemeiniglich die Ausdrücke Glaubensfreiheit und Glaubenszwang (s. d.).

Gewissensgericht, s. v. w. Schwurgericht.

Gewissensrat, s. v. w. Beichtvater.

Gewissensvertretung (Defensio, Exoneratio conscientiae), im frühern Prozeßrecht Rechtsinstitut, dem zufolge derjenige, welchem in einer bürgerlichen Rechtssache von dem Gegner der Eid zugeschoben ward, versuchen durfte, ob er das Gegenteil der Behauptung des Gegners mittels andrer Beweise erhärten könne. Derjenige, welcher "sein Gewissen mit Beweis vertrat", übernahm auf diese Weise die Beweislast. Gelang es ihm nicht, die Unwahrheit der Behauptung seines Beweisgegners darzuthun, so blieb ihm immer noch das Recht, den zugeschobenen Eid abzuleisten. Das moderne Prozeßrecht kennt die G. nicht mehr (s. Eid).

Gewissenszwang, s. Gewissensfreiheit.

Gewißheit, die auf das Wissen sich stützende Überzeugung. Das Wissen nämlich involviert eine Erkenntnis, an deren Richtigkeit und Wahrheit weder der Wissende selbst zweifelt, noch andre zweifeln sollen. In diesem Sinn verbindet man die Ausdrücke G. und Wahrheit häufig miteinander, obwohl das, was jemand als gewiß gilt, nicht auch immer an sich wahr ist. Daher unterscheidet man mit Recht objektive und subjektive G. Jene beruht auf objektiven, d. h. durch die Gesetze des Erkennens gegebenen, diese auf subjektiven, d. h. in der intellektuellen Befähigung des Subjekts beruhenden, Gründen. Die subjektive G. heißt auch die moralische, welche mehr als bloße Wahrscheinlichkeit ist und deshalb auch Zuversicht genannt wird, weil man sich beim Handeln mit vollem Vertrauen darauf verläßt. Ferner teilt man die G. ein in die unmittelbare und mittelbare. Jene findet statt, wenn ein Satz durch sich selbst gewiß ist oder sich auf unleugbare Thatsachen gründet, diese dagegen, wenn man andre Sätze zu Hilfe nehmen muß, um über die Wahrheit eines gegebenen Satzes ins klare zu kommen, wenn man also des Beweises (Schlusses) dazu bedarf. Der G. steht die Ungewißheit entgegen. Das subjektiv Ungewisse aber muß an sich nicht auch falsch sein; es ist vielmehr nur zweifelhaft, weil keine zureichenden Gründe dafür vorliegenden oder solche auch für das Gegenteil beigebracht werden können. Die Ungewißheit gestaltet sich zur Wahrscheinlichkeit oder zur Unwahrscheinlichkeit, je nachdem das Übergewicht der Gründe sich zur Bejahung oder Verneinung eines Satzes hinneigt. Die Beantwortung der Frage, welches die Grenzen der objektiven G. seien, ist von jeher das Problem aller wissenschaftlichen Forschung und Untersuchung gewesen. Vgl. Windelband, Über die G. der Erkenntnis (Berl. 1873).

Gewitsch (tschech. Jevičko), Stadt in der mähr. Bezirkshauptmannschaft Trübau, hat eine schöne Kirche, (1880) 2719 Einw., Spiritusbrennerei, Tuch- u. Leinweberei, Graphit- und Braunkohlenbergbau, bedeutende Wochenmärkte und ist Sitz eines Bezirksgerichts.

Gewitter, die Gesamtheit der Erscheinungen von Donner und Blitz, welche auftreten, wenn sich Wolken, die einen hinlänglichen Grad elektrischer Ladung erreicht haben, in der Nähe andrer Wolken oder irdischer Gegenstände befinden, gegen welche sie sich entladen können. Allen Gewittern geht die Bildung von Wolken voran. Anfangs klein, vergrößern sie sich meistens sehr schnell und wachsen durch rasche Kondensation des Wasserdampfes um ihren ersten Keim in kurzer Zeit bis zum Zenith. Die Gewitterwolken charakterisieren sich sowohl durch ihre Form, als getürmte Haufenwolken, wie auch durch ihre Farbe. Letztere ist blaugrau bis dunkelgrau, doch zeigen sich oft die Wolkenränder hell und glänzend, so daß sich starke Kontraste in der Beleuchtung bilden. Hat sich die Gewitterwolke dem Zenith genähert, so sehen wir nur die untere Seite der Wolke, die oft vielfach zerrissen erscheint, und bei welcher lang herabhängende Wolkenfetzen von eigentümlicher gelbgrauer Farbe als Vorboten von Hagel angesehen werden können. Hat die Gewitterwolke die erforderliche Größe und Dichtigkeit erreicht, so pflegt ein heftiger, aber nicht lange anhaltender Wind, die sogen. Eilung, zu entstehen, und unmittelbar darauf fallen einzelne große Regentropfen, die bald in einen Platzregen übergehen. Vor jedem Blitz stürzt derselbe mit verdoppelter Gewalt und Schnelligkeit herab, und wenn häufig die umgekehrte Reihenfolge stattzufinden scheint, so hat das seinen Grund darin, daß wegen der größern Geschwindigkeit des Lichts der dem erfolgten Niederschlag folgende Blitz früher wahrgenommen wird als der Niederschlag selbst. Bisweilen sind auch die einzelnen Regengüsse bei von neuem erfolgendem Blitz und Donner durch vollkommenes Aufhören des Regens voneinander getrennt.