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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Glieder, künstliche

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Glieder, künstliche.

gebohrtem Holz (meist Linden- oder Weidenholz), aus Leder und zwar aus hartem wie halb weichem Leder und macht dann die Hülse eventuell verschnürbar, neuerdings aber ganz vorzugsweise aus Hartgummi. Zuweilen werden die Hülsen zur Erreichung größerer Festigkeit noch mit Stahlschienen versehen, dagegen sind vollständige Metallhülsen gegenwärtig ganz außer Gebrauch gekommen. 2) Der Mechanismus verbindet teils die Hülsenteile miteinander, teils vermittelt er gewisse Stellungen und Drehbewegungen derselben zu einander. Bei künstlichen Beinen ist ein dreifacher Mechanismus erforderlich: für die Bewegung im Kniegelenk, im Sprunggelenk und an den Zehen. Die Gelenke werden im allgemeinen durch ein Gewerbegelenk (Scharnier) nachgeahmt, welches in der verschiedensten Weise zur Ausführung kommt. Besonders fest und dauerhaft muß der Kniegelenksmechanismus gearbeitet sein. Seit Anwendung des Weichgummivorfußes bei der Konstruktion künstlicher Beine durch den Amerikaner A. Marks ist der Zehengelenksmechanismus ganz ausgeschlossen worden, und das künstliche Bein besitzt nach dessen Konstruktion nur noch ein Knie- und ein Fußgelenk. 3) Die Hilfsapparate dienen teils zur Befestigung des künstlichen Gliedes am Amputationsstumpf oder am Rumpf des Trägers, z. B. Beckengürtel, Achselträger etc., teils nehmen sie den Stumpf auf und erhalten ihn in seiner Form, verhindern stärkere Verschiebung der Weichteile an demselben und sollen ihn überhaupt vor Druck etc. schützen. Der letztere Bestandteil wird gewöhnlich in Form eines gepolsterten, dem Stumpf angepaßten und mit weichem Leder überzogenen Trichters ausgeführt.

Aus der großen Zahl verschiedener Konstruktionen dürften folgende als die bewährtesten und renommiertesten hervorzuheben sein. Für die untern Extremitäten: 1) Das Anglesey-Pottsche Bein, von Pott in Chelsea 1816 für den Marquis v. Anglesey verfertigt, ist in England sehr verbreitet. Lindenholzkörper mit Stahlscharniergelenk. Preis in London ungefähr 35 Pfd. Sterl. Gewicht des Beins, aus Holz gearbeitet, 3,70 kg; ein Bein dieser Konstruktion, aus Hartgummi von Leiter in Wien gearbeitet, wog nur 2,75 kg. 2) Das Bein des Dr. Palmer aus Amerika, von ihm selbst ersonnen und getragen, ausgezeichnet durch einen fein durchdachten, aber sehr komplizierten Mechanismus, daher kostspielig und häufiger Reparaturen bedürftig. 3) Das Bein von William Selpho in New York ist eine Verbesserung des Anglesey-Beins. 4) Das Bein des Dr. Douglas Bly, Sprunggelenk, durch eine frei bewegliche Kugel gebildet; von mancher Seite als vorzüglich bequem gerühmt, verlangt jedoch eine sehr zarte Behandlung und bedarf häufiger Reparaturen (s. unten). Preis 175 Doll. Ein solches Bein von 91 cm Länge wog 2,25 kg. 5) Das vom Mechanikus Beckmann in Kiel nach Professor Esmarchs Angabe konstruierte Bein. Die Oberschenkelhülse ist ein Korb aus Stahlstangen, Kniemechanismus aus Holzteilen mit Stahlspirale hinten und Gummigurt vorn zur Regulierung der Streckung. Der Mechanismus des Sprunggelenks ist ein beschränktes Kugelgelenk, der Zehenmechanismus ein Scharnier mit zwei Spiralfedern. Gewicht 2,75 kg, Preis etwa 150 Mk. 6) Das Bein von A. Marks in Philadelphia wird als dasjenige Ersatzglied angesehen, welchem die Zukunft gehört. Holzhülse oder schnürbare Oberschenkellederhülse; eigentümlicher, sehr solider Kniegelenksmechanismus. Der Vorfuß besteht aus Weichgummi (India Rubber-Fuß), ist mit der Unterschenkelhülse durch einen fest stehenden Holzzapfen verbunden, und der Zehenmechanismus fällt ganz weg. Der Apparat ist sehr einfach, sicher und dauerhaft, muß aber aus dem besten Gummi verfertigt sein; Gewicht bis zu 3 kg, Preis 100 Doll. Für die obern Extremitäten gibt es noch zahlreichere Konstruktionen als für die Beine. Hervorzuheben sind: 1) Der künstliche Arm für den Oberarmstumpf von Masters in London. Bewegliche Finger, der Daumen gegen den Zeigefinger durch Feder stellbar. Sehr elegant, aber nur für den leichtesten Gebrauch geeignet; Gewicht 0,68 kg, Preis 225 Mk. 2) Der künstliche Arm für den Vorderarmstumpf, ebenfalls von Masters, wiegt 0,57 kg und kostet 170 Mk. 3) Der künstliche Arm von Fichot in Paris für den Ober- und Vorderarmstumpf. Finger unbeweglich bis auf den Daumen, welcher durch Weichgummistreifen an den Zeigefinger angezogen, durch eine über den Oberarm zur andern Schulter gehende Darmsaite abgezogen (gespreizt) wird. Gewicht 0,68 kg bei 72 cm Länge, Preis 60 Mk. 4) Der Arm von Werber in Paris. Finger unbeweglich, nur der Daumen wird vermittelst einer Feder angedrückt u. durch eine Darmsaite abgezogen. Gewicht 0,57 kg bei 76 cm Länge, Preis 120 Mk. 5) Der Arm von Weber-Moos in Zürich für den Vorderarmstumpf. Finger an der Mittelhand in Halbbeugung, federnd, Daumen nicht feststellbar. Gewicht 0,57 kg, Länge 42 cm, Preis 127 Mk. An den künstlichen Händen wird häufig eine Vorrichtung zum Einstecken des Messers oder der Gabel angebracht. Der in der Abbildung (Fig. 1) beigefügte Ersatz des Oberarms wird mit Gurten an der Schulter befestigt. Die Hülsen für Ober- und Vorderarm bestehen aus leichtem Holz, welches durch Stahlschienen größere Festigkeit erhält. Der Ellbogen ist wie ein Scharnier beweglich, ebenso die einzelnen Finger, das Handgelenk ist frei drehbar, und alle diese Gelenke werden durch Federn in ihrer Stellung erhalten. Dieser künstliche Arm ist deutsches Fabrikat und kostet ca. 150 Mk. Fig. 2-4 stellen einen von Charrière ersonnenen künstlichen Vorderarm dar. Der Apparat wird an dem Oberarmstumpf durch eine mit Schnürlöchern versehene Armschiene A befestigt und durch eine am obern Teil befindliche Schlinge am Herabrutschen verhindert. Der Vorderarm besteht aus präpariertem Leder und hat am Handgelenk zwei Scharniere, welche die Beugung der Hand gestatten. Eine am Vorderarm bei C befestigte Darmsaite g zieht diesen an, indem sie ihren Stützpunkt an der Armschiene bei a nimmt. Das Beugen

^[Abb.: Fig. 1. Künstlicher Oberarm.]