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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Glocken

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Glocken (Guß; Geschichtliches).

4-6, bei großen Massen auch 12 Stunden. Ist alles geschmolzen, so wird das Auge aufgebrochen und das Metall durch die Gußrinne in die Form geleitet. Diese wird in der vor dem Ofen befindlichen Dammgrube aufrecht stehend hergestellt. Man mauert zuerst den hohlen Kern, welcher der Höhlung der Glocke entspricht, gibt demselben durch Auflegen von Thon genau die richtige Form, bestreicht ihn dick mit einem wässerigen Brei aus Holzasche, um das Anhaften des Modells zu verhindern, und trocknet ihn durch ein in seinem Innern angemachtes mäßiges Feuer. Alsdann wird das Modell (Hemd), welches vollkommen mit der bestimmten Metallstärke der Glocke und im Umriß mit der äußern Glockenform (ohne Henkel) übereinstimmen muß, auf den Kern aufgetragen. Der letzte dünne Überzug des Modells, welcher auch Gesimse, Kränze, Inschriften etc. darstellt, besteht aus einer Mischung von Talg und Wachs. Über demselben wird schließlich der Mantel geformt, welcher mit der ersten Schicht (Zierlehm), aus Lehm, Ziegelmehl, Pferdemist, Kuhhaaren und Wasser gebildet, den Verzierungen genau sich anschmiegen muß und, nachdem diese Schicht getrocknet ist, mit Lehm verstärkt wird. Trocknet man nun den Mantel durch Feuer, so schmilzt das Wachs und zieht sich in den Lehm, wodurch sich dann der Mantel vom Modell löst. Die Form zur Krone wird besonders angefertigt, in die obere Öffnung des Mantels eingesetzt und mit Lehm befestigt. In ihr befinden sich das Gießloch und die Windpfeifen, durch welche die im Innern der Form enthaltene Luft beim Gießen entweicht. Zur Verstärkung des Mantels dienen um denselben herumgelegte eiserne Schienen und Reifen, an welchen Haken zur Befestigung von Seilen angebracht sind, um mit Hilfe eines Krans oder Flaschenzugs den gut getrockneten Mantel in die Höhe zu heben. Ist dies geschehen, so wird das auf dem Kern sitzende Modell stückweise weggebrochen, der Kern aber nötigen Falls ausgebessert, soweit er hohl ist, mit Steinen und Erde gefüllt und dann die obere Öffnung desselben mit Lehm geschlossen und gehörig abgeglichen. Gleichzeitig wird das Hängeeisen in den Lehm eingesenkt, so daß die mit Widerhaken versehenen Schenkel beim Guß von dem Metall eingeschlossen werden. Zuletzt wird der Mantel über den Kern herabgelassen und, nachdem die Fuge rund um seinen untern Rand mit Lehm verstrichen worden ist, die Dammgrube völlig mit Erde, Sand und Asche gefüllt, diese Füllung, wodurch die Form eine größere Widerstandsfähigkeit gegen den Druck des Metalls erhält, mittels einer Handramme festgestampft und die Gußrinne vom Ofen nach dem Gießloch angelegt. Nach dem Gießen läßt man 24-48 Stunden abkühlen, entleert dann die Dammgrube, entfernt den Mantel und windet die Glocke heraus. Die Angüsse werden nun abgesägt, die Glocke befeilt etc.

Geschichtliches. Kleinere G. kommen schon in den ältesten Zeiten vor. Die Ägypter brauchten sie bei ihrem Kultus; bei den Griechen bedienten sich die Priester der Persephone und Kybele der G. Die Römer benutzten Hausglocken, während große G., wie wir sie heute zum Versammeln der Gemeinde in Kirchen haben, erst in der christlichen Zeit Anwendung fanden. Den Guß derselben soll der heil. Paulinus, Bischof von Nola in Kampanien, zu Anfang des 5. Jahrh. erfunden haben, und die Kirche desselben in Cimitile bei Nola rühmt sich, den "ältesten Glockenturm in der Christenheit" zu besitzen. Jedenfalls blühte in Nola, begünstigt durch reiche und reine Kupfererze, schon früh der Glockenguß, weshalb die G. auch die lateinische Benennung Campana oder Nola (für kleinere G.) tragen. Das deutsche Wort Glocke (engl. clock, dän. klokke, schwed. klocka, althochd. clocca) stammt wahrscheinlich vom althochdeutschen klochon oder kloppen, schlagen, woraus auch das französische cloche (mittellat. cloca, provençal. cloca, walachisch clópot) gebildet zu sein scheint, und kommt schon im 8. Jahrh. vor. Den kirchlichen Gebrauch der G. soll nach einigen der heil. Paulinus, nach andern der Papst Sabinian (604) eingeführt haben. Gewiß ist, daß sie bereits im 7. Jahrh. in Frankreich, unter Karl d. Gr. in Deutschland bekannt waren, und daß im 8. Jahrh. die Sitte aufkam, sie feierlich zu weihen oder zu "taufen". In der orientalischen Kirche fanden die G. erst 871 Eingang, als der griechische Kaiser Basilius von dem venezianischen Dogen Orso I. zwölf große Bronzeglocken zum Geschenk erhielt und diese auf einem eigens hierzu auf der Sophienkirche errichteten Turm aufhängen ließ. Ihren Höhepunkt erreichte die Glockengießerei zu Ende des 15. und zu Anfang des 16. Jahrh. Die größten und wohlklingendsten Geläute gehören dieser Zeit an, in welcher auch 1467 die Glockenspiele vom Glockengießer Bartholomäus Kneck zu Alost in Flandern erfunden wurden. Vanoccio verbesserte zu Anfang des 16. und Mersenne zu Anfang des 17. Jahrh. die Konstruktionen, und Peter Emony in Amsterdam gab zu Ende des 17. Jahrh. bestimmte Gesetze und brachte es dahin, daß der volle Grundakkord mit der Terz, Quinte, Oktave und obern Oktave gehört wurde. Emony machte aus seinen Proportionen ein großes Geheimnis und vererbte es auf Abraham de Graaf, von dem es auf Julien und dadurch in die berühmte Glockengießerfamilie Petit und Edelbrock in Gescher bei Koesfeld überging. Die besten Glockenspiele befinden sich in Holland, wo der geschickteste Glockengießer vielleicht aller Zeiten, der Lothringer Hemony zu Zütphen an der Yssel, 1645 ein Glockenspiel von 26 Glocken, deren größte 2000 kg wog, aufstellte.

Reiche Kirchen haben von jeher in der Größe der G. miteinander gewetteifert, und es übersteigt fast allen Glauben, welche ungeheuern Metallmassen man mitunter auf Türmen aufgehängt hat. Die größte Glocke Deutschlands ist die dreimal umgegossene und 1875 in den Dom zu Köln abgelieferte "Kaiserglocke"; dieselbe ist 3,25 m hoch, hat am Schallrand 3,42 m Durchmesser und wiegt 26,250 kg. Die Dicke der Wandung am Schlagrand beträgt 29 cm, an der Krone 8 cm. Der Klöppel ist 3 m lang und wiegt 765 kg. Der Ton der Glocke ist D (nicht Cis). Die in dem mittlern Domturm zu Olmütz befindliche Glocke wiegt 358 Ztr. Dieser ganz nahe kommt die große Glocke auf der St. Stephanskirche zu Wien, welche 354 Ztr. und mit Klöppel, Helm und Eisenwerk 514 Ztr. wiegt. Ihrer Größe und ihres Alters wegen berühmt ist auch eine Glocke im Dom zu Erfurt; sie wiegt 275 Ztr., mit dem 11 Ztr. schweren Klöppel und sonstigem Eisenwerk 300 Ztr., ist 2,10 m hoch, hat 2,70 m unten im Durchmesser, ist 20 cm dick und wurde 1497 gegossen, nachdem ihre Vorgängerin, die bedeutend schwerere "Susanne", bei einem Brand 1472 geschmolzen war. Auch außer Deutschland findet man G. von ungeheuerm Gewicht, besonders in Frankreich (auf den Dom in Paris kam 1680 eine Glocke von 25 Fuß Umfang und 340 Ztr. Gewicht), in der Schweiz und in Italien, weniger in England, obwohl das Glockenläuten dort besonders üblich ist. Der berühmte "große Thomas" zu Oxford, eine der größten G. in England, wiegt nur 150 Ztr. Im J. 1786 ließ Pius VI. zu Rom eine große Glocke