Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

591

Gracian - Grad.

Graciān, Baltasar, span. Prosaist, gegen Ende des 16. Jahrh. zu Calatayud in Aragonien geboren, studirte auf der Universität zu Huesca, trat in den Jesuitenorden und wurde später Rektor des Kollegiums zu Tarragona, wo er 6. Dez. 1658 starb. Er wurde für die Prosa, was Gongora für die gebundene Rede war, der Einführer des sogen. gebildeten Stils (estilo culto). Wie Gongora, huldigte er dem krankhaften Zeitgeschmack an Spitzfindigkeiten, dunkler und affektierter Ausdrucksweise und ward so das Haupt der prosaischen Gongoristen, der sogen. Gracianisten, und sein Werk "La agudeza, y arte de ingenio" (zuerst Huesca 1649), eine Theorie der Kunst, geistreich zu denken und zu schreiben, blieb fast durch das ganze 17. Jahrh. das Gesetzbuch des Modegeschmacks, das auch in Italien, Frankreich und Deutschland Nachahmung fand. Sein Einfluß wirkte um so verderblicher, je größer der innere Gehalt seiner Schriften war, welche trotz ihrer abschreckenden Form auch noch den heutigen Leser durch eine Fülle geistvoller Gedanken zu fesseln vermögen. Die hervorragendsten seiner Werke, die er unter dem Namen seines Bruders Lorenzo erscheinen ließ, sind: "El criticon" (Madr. 1650-64, 3 Bde.), ein allegorisches Gemälde des menschlichen Lebens in Romanform; "El heróe" (Huesca 1637), über die Erziehung zum Helden; "El discreto" (das. 1646), eine Theorie der intellektuellen Fähigkeiten; "El politico D. Fernando el Católico" (Sarag. 1641), eine Lobrede auf diesen König, und "Oraculo manual" (Huesca 1637; deutsch von A. Schopenhauer, 3. Aufl., Leipz. 1877), eine Sammlung von Regeln der Lebensklugheit. Gesamtausgaben seiner Werke erschienen Madrid 1664, 2 Bde., u. öfter; Barcelona 1757; Madrid 1773, 2 Bde.; einzelnes ist im 65. Bande der "Biblioteca de autores españoles" abgedruckt.

Grācias (G. á Dios), Hauptstadt des gleichnamigen Departements in der zentralamerikan. Republik Honduras, auf einer fruchtbaren Hochebene 610 m ü. M. gelegen, 1536 gegründet und bis 1544 Sitz der königlichen Audiencia von Guatemala und Nicaragua, jetzt mit 4000 Einw., die Tabak bauen und in den Minen Beschäftigung finden.

Gracilaria lichenoides, s. Fucus und Sphaerococcus.

Graciös, s. Graziös.

Graciōso, Beiname der komischen Person im spanischen Lustspiel, die besonders in den Intrigenstücken (Comedias de capa y espada) unter verschiedenen Namen: Bobo ("Narr"), Simple ("Einfaltspinsel"), Picaro ("Gauner") etc., vorkommt. Er ist der bald verschlagene, bald possierlich einfältige, aber immer lustige Bediente oder auch der feinere Begleiter, der gewöhnlich die Triebfedern seines Herrn parodiert.

Graeco more bibĕre (lat.), nach Sitte der Griechen trinken, d. h. einem zutrinken.

Graecostasis (Graecostadium, lat.), im alten Rom eine offene Halle im Norden des Forum Romanum, in welcher sich die griechischen und überhaupt die fremden Gesandten versammelten und ihre Einführung in den Senat erwarteten.

Grad, einer der gleichgroßen Teile eines Ganzen. In der Mathematik heißt G. der 360. Teil des Kreisumfangs; er zerfällt in 60 Minuten, jede Minute in 60 Sekunden. Zwei Kreishalbmesser, welche einen Bogen von 1 G. zwischen sich fassen, bilden einen Winkel von 1 G. Ein rechter Winkel hat 90 G., ein gestreckter 180 G. "10 G. 15 Minuten 36,25 Sekunden" wird geschrieben: 10° 15' 36,25''. In Frankreich teilte man während der ersten Revolution und des ersten Kaiserreichs den Quadranten und den rechten Winkel in 100 G. mit dezimaler Teilung, also den ganzen Kreisumfang in 400 G. Diese zur Zeit der Restauration wieder aufgegebene Bezeichnung hat neuerdings wieder vielfach Anklang gefunden. - Beim Thermometer jeder der gleichen Teile, in welche die Skala eingeteilt ist, und welche gleichen Temperaturunterschieden entsprechen (vgl. Thermometer); auch nennt man so die gleichen Teile mancher an physikalischen Instrumenten vorkommender willkürlicher Skalen, z. B. bei den Aräometern. Solche Teile machen heißt graduieren (s. d.). - Im Salinenwesen nennt man G. die nach Loten berechnete Salzmenge, welche in 64 oder 100 Lot Sole enthalten ist und mittels der Salzwage gefunden wird. - Im Rechtswesen und der Genealogie heißt G. die Entfernung eines oder mehrerer Nachkommen von den gemeinschaftlichen Stammeltern; in gleichem G. mit einem andern verwandt sein heißt demnach: von den gemeinschaftlichen Stammeltern in Ansehung der Abstammung gleichweit entfernt sein, wie dies z. B. bei Geschwistern, Geschwisterkindern etc. der Fall ist (s. Verwandtschaft).

Grād (slaw.), s. v. w. Burg, Stadt; häufig in Zusammensetzungen, z. B. Belgrad ("Weißenburg") etc. Das Wort entspricht dem russ. gorod (Nowgorod, "Neustadt"), böhm. hrad (Wyschehrad, "höhere Burg"), poln. gród (Tarnogród). Auch die deutschen Namen auf -grätz (-gratz) sind davon abgeleitet (Königgrätz, böhm. Králové Hradec).

Grad, Charles, elsäss. Abgeordneter, geb. 8. Dez. 1842 zu Türkheim im Elsaß, besuchte das Gymnasium in Kolmar, dann die École des mines in Paris, machte 1871-72 ausgedehnte Reisen in Algerien und den übrigen Mittelmeerländern sowie in Mitteleuropa zum Behuf naturwissenschaftlicher und nationalökonomischer Studien und ward 1876 Verwaltungsmitglied der großen Baumwollspinnereien und -Webereien in Logelbach und Kolmar. 1877 wurde er in Kolmar zum Reichstagsabgeordneten gewählt und schloß sich den Elsässer Protestlern an; 1879 wirkte er mit großem Eifer für den Schutzzolltarif und wußte auch im Interesse der von ihm vertretenen Industrie eine Erhöhung des Schutzzolls für Baumwollgarne durchzusetzen. Außer zahlreichen Abhandlungen über Geologie in den Verhandlungen der Académie des sciences in Paris, über Volkswirtschaft im "Économiste français", über Finanzen und Verwaltung des Elsaß in elsässischen Zeitschriften veröffentlichte er über die Geographie des Elsaß unter andern folgende Schriften: "Hydrologie du bassin de l'Ill" (1867), "Essais sur le climat de l'Alsace et des Vosges" (1870), "Rapport sur la faune des mammifères sauvages de l'Alsace", "Description des formations glacières de la chaîne des Vosges" (1872), "Mémoire sur les lacs et les tourbières des Vosges", "Études historiques sur les naturalistes de l'Alsace" (1874), "Orographie des Basses-Vosges", "Étude sur le régime des cours d'eau de l'Alsace" (1876), "Les forèts de l'Alsace et leur exploitation" (1877), "Heimatskunde, Schilderungen aus dem Elsaß" (Kolm. 1877); über die Industrie: "Les habitations ouvrières en Alsace", "Études statistiques sur l'industrie de l'Alsace" (1879-83, 2 Bde.), "Les assurances ouvrières en Allemagne" (1883) und über die deutsche Verwaltung mit scharf oppositioneller Tendenz: "L'Alsace, sa situation et ses ressources au moment de l'annexion" (1872), "Coup d'œil sur l'exploitation des