Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

709

Griechenland (Neu-G.: Geschichte bis 1821).

der niedrigen Gewinnsucht und grausamen Roheit, in welche die Neugriechen mehr und mehr versanken, doch eine immer stärker werdende Sehnsucht nach geistig-sittlicher und politischer Wiedergeburt unter ihnen regte. Einzelne Versuche, sich zu befreien, mißlangen freilich durch den Mangel an Einheit und an Hilfe von außen gänzlich und machten nur das türkische Joch noch unerträglicher, oder sie erloschen, wie die Insurrektion unter Skanderbeg (Kastriota), mit dem Tod ihres Urhebers. Größern Erfolg versprachen die Erhebungen, die unter russischem Einfluß stattfanden, obwohl auch sie infolge der Treulosigkeit Rußlands endlich scheitern mußten.

Alte Sagen wiesen die Griechen auf einen von Norden kommenden Retter hin, und schon seit Peter d. Gr. war Rußland von ihnen als ihr natürlicher Beschützer betrachtet worden. Katharina II. dachte zuerst mit Ernst daran, das in Rußland schon lange gehegte Projekt einer Eroberung Griechenlands zu verwirklichen. Ehe sie aber noch an die Ausführung dieses Plans gehen konnte, erklärte ihr die Pforte 1768 den Krieg. Rußland setzte nun alles in Bewegung, um einen Aufstand der Griechen zu bewirken; namentlich sendete es einen gewissen Pappas Oglu, welcher mit russischem Gelde die Griechen bearbeiten sollte. Indes erhoben sich diese erst, als ein Teil der russischen See-Expedition unter Feodor Orlow 28. Febr. 1770 bei Witylo in Morea landete, namentlich in Missolunghi und auf den Inseln. Die von der Pforte angeworbenen Albanesen eroberten jedoch Missolunghi, wo sie alle Männer niedermachten, und schlugen die Russen in Morea. Diese wilde Soldateska wütete nun aufs furchtbarste gegen die Griechen, durchzog plündernd und mordend Morea, metzelte das russische Belagerungskorps vor Modon nieder und zog gegen Navarino, wo sich Feodor Orlow mit dem Überrest seiner Landungstruppen in größter Eile einschiffen mußte, die Griechen ihrem traurigen Schicksal überlassend. Selbst die Vernichtung der türkischen Flotte durch Alexis Orlow bei Tschesme hatte keine bleibenden Folgen für G. Rußland ließ im Frieden von Kütschük Kainardschi die Griechen im Stiche. Die Albanesenbanden, welche Morea unterworfen hatten, sahen sich als die Herren des Landes an und verwüsteten das unglückliche G. auf die furchtbarste Weise, bis die Pforte endlich Maßregeln gegen die ihr selbst gefährlichen Horden ergriff und Hassan Pascha sie 10. Juni 1779 bei Tripolizza fast gänzlich aufrieb. Ebenso sahen sich die Griechen in den Hoffnungen getäuscht, welche der Krieg Österreichs und Rußlands gegen die Türkei 1787-92 in ihnen erweckt hatte.

Die nun folgende Zeit der Ruhe erlaubte den Griechen, ihrem Handel einen außerordentlichen Aufschwung zu geben und eine höhere geistige Kultur zu erwerben. Schulen wurden errichtet, namentlich in Athen, Salonichi, Kydonia, Janina, Kuru-Tschesme am Bosporus etc. und auf mehreren Inseln des Archipelagus, und wie viele Jünglinge die Bildungsanstalten auf den Ionischen Inseln, in Odessa, Petersburg, Triest, Wien, Paris bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. zu besuchen pflegten, so beförderte seit 1815 die Gesellschaft der "Philomusen" zu Athen dieses Streben durch Unterstützung junger Griechen, die ihre Studien in Italien, Frankreich und Deutschland zu vollenden wünschten. Angeregt von den großen politischen Ideen, die von Frankreich ausgingen, suchte der Dichter Konstantin Rhigas aus Pherä in Thessalien teils mittels einer Verbrüderung (Hetärie), die bald einen politischen Charakter erhielt, teils durch seine Nationalgesänge unter allen Ständen patriotische Gesinnung zu erwecken. Neben den Unterrichtsanstalten entwickelte sich eine eigne neugriechische Nationallitteratur, die bald eine hohe politische Bedeutung gewann. Dabei war der griechische Handel fortdauernd im Steigen, schon 1813 belief sich die griechische Handelsmarine auf 600 zum Teil gut bewaffnete Schiffe mit etwa 20,000 Seeleuten. Die in ihr Vaterland zurückkehrenden Griechen, die in den französischen, englischen und russischen Heeren gedient hatten, verpflanzten militärischen Geist nach G. und trugen so ebenfalls das Ihrige dazu bei, das Volk für seine Erhebung vorzubereiten. Während des Kongresses zu Wien 1814, der die Hoffnungen der Griechen auf den Beistand Europas wiederum täuschte, bildete sich in Odessa von neuem eine Hetärie, die Gesellschaft der Philiker, die bald zahlreiche Mitglieder in den höchsten Kreisen, darunter den russischen Minister Johann Kapo d'Istrias, zählte und über bedeutende Geldmittel gebot. Die Schwäche der Türkei, welche 1806-12 einen unglücklichen Krieg mit Rußland geführt hatte und rebellische Paschas, wie Ali Pascha von Janina, nicht unterwerfen konnte, ermutigte die Griechen, einen Aufstand zu versuchen, dem, wie sie hofften, sich auch die übrigen christlichen Völker der Balkanhalbinsel anschließen würden. Die Mächte waren unter Metternichs Einfluß der griechischen Erhebung allerdings nicht wohlgesinnt, selbst Alexander von Rußland scheute sich, eine revolutionäre Erhebung zu billigen, während er auf den Kongressen zu Troppau und Laibach ähnliche in Italien und Spanien verdammte und ihre bewaffnete Unterdrückung unterstützte. Dagegen konnten die Griechen auf die Sympathien des gebildeten Europa rechnen, wenn sie es unternahmen, sich von dem unerträglichen Joch der Türken zu befreien.

Der griechische Freiheitskrieg.

Die Erhebung begann damit, daß der Fanariot, Fürst Alexander Ypsilantis, Sohn eines moldauischen Hospodars und russischer General, in Bessarabien eine Schar Hetäristen um sich sammelte und 1821 im März in die Moldau einfiel in der Hoffnung, daß dies das Signal zur allgemeinen Erhebung der Griechen auf der ganzen Halbinsel sein werde. Wirklich erhob sich zu Galatz und Jassy das Volk und ermordete einige Hundert Türken, und binnen kurzem sammelte sich ein Heer von etwa 5500 Streitern, dessen Kern die "heilige Schar" war, aus enthusiastischen, aus allen Teilen Europas zusammengeströmten Griechen, mit Totenköpfen auf der Kopfbedeckung und den Achselklappen, bestehend. Der Widerstand, den das Unternehmen bei den walachischen Bojaren fand, der Abfall der Bauern, welche für das Ziel der Erhebung die Vertreibung der fanariotischen Regierung gehalten hatten, der Verrat des Walachen Wladimiresko und die Zurückhaltung Serbiens mußten zwar die Aufständischen entmutigen; aber trotzdem drang Ypsilantis in die Walachei ein und griff die Türken 19. Juni 1821 bei Dragaschan an. Der Verrat der walachischen Truppen führte seine Niederlage herbei, die "heilige Schar" fiel im heldenmütigen Kampf. Ypsilantis trat auf österreichisches Gebiet über, wurde auf die Feste Munkács gebracht und starb, endlich freigelassen, 1828 in Wien. Georgakis führte den Rest des Heers in die Moldau und sprengte sich 26. Aug. 1821 nach heldenmütiger Gegenwehr im Kloster Sekko in die Luft. In den Donaufürstentümern war der Aufstand unterdrückt.

Inzwischen hatte aber im Peloponnes, wo die Hetärie zahlreiche Anhänger zählte, Bischof Germanos die Griechen zu den Waffen gerufen und Ende März