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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechische Litteratur

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Griechische Litteratur (alexandrinische Periode).

tur einführte, ist Antiphon aus Rhamnus (gest. 411). Im Gegensatz zu ihm zeigt sich sein jüngerer Zeitgenosse Andokides von der sophistisch-rhetorischen Theorie der Zeit noch fast ganz unberührt. Obgleich nach dem Peloponnesischen Krieg in Athen ein Zustand der Erschlaffung eintrat, so gelangte doch jetzt erst die politische Beredsamkeit zu ihrer höchsten Blüte. Vorbereitet und in einzelnen Beziehungen schon erreicht wurde dieselbe von Lysias aus Syrakus (geb. 458) und Isokrates aus Athen (geb. 436). Der erstere steht in den Reden, die er in seinen reifern Lebensjahren zumeist für andre schrieb, als ein Muster sorgfältiger, einfacher, aber dem Gegenstand ganz entsprechender Darstellung da. Keiner verwandte aber einen so angestrengten Fleiß auf die Ausbildung der rhetorischen Prosa und war darin so epochemachend wie Isokrates, ohne den die Demosthenische Beredsamkeit nicht möglich gewesen wäre. Von seinen Schülern nennen wir die drei Athener Isäos, Lykurgos und Hypereides. Die höchste Vollendung erreichte die politische Beredsamkeit der Athener in Demosthenes (384-322), der alle Vorzüge in sich vereinigt, die sich zerstreut bei den Vorgängern finden, ohne an ihren Fehlern teilzunehmen. Tiefe politische Einsicht, feurige Begeisterung für die Freiheit seines Vaterlandes, hohe Genialität, Kraft, Schärfe und unbedingte Herrschaft über die Sprache machen ihn zu einem bis jetzt noch unübertroffenen Muster. Ihm zunächst steht Äschines (389-314) durch Fülle der Gedanken und glückliche Darstellung, wenn auch nicht durch Gesinnung. Als der unbedeutendste von den zehn attischen Rednern, welche die alexandrinischen Gelehrten zu einem Kanon vereinigten, erscheint der zu derselben Zeit in Athen thätige Korinther Dinarchos. Ihre letzten spärlichen Blüten trieb die Beredsamkeit nach dem völligen Untergang der nationalen Unabhängigkeit in Demetrios von Phaleron (um 310), um sich dann in die Hörsäle der Rhetoren zurückzuziehen. - Mit dem Athener Thukydides (471-400) begann für die Geschichtschreibung eine neue Periode. Während Herodot fast überall nur bei den äußern Erscheinungen stehen bleibt, wendet er sein Augenmerk vorzüglich auf die Motive der menschlichen Handlungen, wie sie aus Charakter und Lebenslage hervorgehen und die öffentlichen Verhältnisse bestimmen. Dadurch gewinnt sein Werk über den Peloponnesischen Krieg das Ansehen eines historischen Dramas; was er erzählt, stammt unmittelbar aus dem Leben, aus eigner Anschauung und Erfahrung und trägt deshalb das Gepräge der Frische und Wahrheit wie kaum ein andres historisches Werk. Thukydides steht in der Geschichtschreibung ebenso hoch und unerreicht da wie Sophokles in der Tragödie. An ihn reiht sich der als Feldherr, historischer, philosophischer und technischer Schriftsteller berühmte Schüler des Sokrates, Xenophon aus Athen (um 431-355). Sein Zeitgenosse Ktesias von Knidos vermittelte den Griechen die Kenntnis der persischen Reichsgeschichte, während Philistos von Syrakus die Geschichte seiner Heimatsinsel in Nachahmung des Thukydides schrieb. Aus der Schule des Isokrates gingen zwei bedeutende Historiker hervor, Theopompos von Chios, der Geschichtschreiber der Zeit Philipps von Makedonien, und Ephoros von Kyme, welcher den ersten Versuch einer Universalgeschichte machte. - Auch die Philosophie erhielt in Athen eine mächtige Anregung, die sie zu ihrer höchsten Blüte führte, durch Sokrates (gest. 399), den Begründer der Ethik und Dialektik. Von seinen unmittelbaren Schülern bildeten die meisten die eine oder andre Seite seiner Lehre in verschiedenem Sinn aus (s. Sokrates und Philosophie); die verschiedenen Seiten des Sokratischen Geistes und zugleich die sämtlichen berechtigten Elemente der frühern Philosophie faßte zu einem einheitlichen System zusammen sein geistvollster Schüler, Platon von Athen (428-348), der Stifter der akademischen Schule, ebenso bewundernswürdig als tiefer Denker wie vollendeter Meister der Darstellung. Sein Schüler war Aristoteles von Stagira (384-322), der Stifter der peripatetischen Schule, der, in staunenswerter Universalität den ganzen Bereich des damaligen Wissens umfassend und mit unvergleichlichem Scharfsinn ausgerüstet, nach den verschiedensten Richtungen sichtend und erweiternd thätig war und nicht bloß die Philosophie, sondern auch die Naturwissenschaften in hervorragender Weise förderte, ein Gebiet, auf welchem als sein bedeutendster Vorgänger der Arzt Hippokrates von Kos (gestorben um 377), der Begründer der medizinischen Wissenschaft und Litteratur, zu nennen ist. Bei Aristoteles' Schülern trat die metaphysische Spekulation hinter der Richtung auf das gelehrte stoffliche Wissen zurück, indem sie vorwiegend die Forschung auf den Einzelgebieten, deren Gesamtheit ihr Meister umfaßt hatte, weiterführten. So war sein Nachfolger im Lehramt, der Lesbier Theophrastos (gest. 285), auf verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaften (Botanik und Mineralogie) thätig, während Eudemos von Rhodos die mathematischen Disziplinen, Aristoxenos von Tarent die Theorie der Musik und Dikäarchos von Messana die Geographie und die historisch-antiquarische Forschung vertraten. Im Gegensatz zu der gelehrten Richtung der Peripatetiker legten das Hauptgewicht auf die Ethik bei wesentlich verschiedenem Standpunkt zwei neue, gegen Ende des 4. Jahrh. auftretende Philosophenschulen, deren Heimat gleichfalls Athen ist, die Epikureische und die stoische, jene von Epikuros aus Attika, diese von Zenon aus Kition auf Cypern gestiftet, beide von höherm Einfluß auf das praktische Leben als auf die Entwickelung der Litteratur. Noch mehr gilt dies von dem durch Pyrrhon von Elis (gest. 275) begründeten Skeptizismus.

II. Alexandrinische Periode (300-30 v. Chr.).

Mit dem 3. Jahrh. beginnt eine völlig neue Periode der griechischen Litteratur. Infolge der Ausbreitung der griechischen Sprache über die makedonischen Reiche Europas, Asiens und Ägyptens wird sie zu einer Weltlitteratur, deren Mittelpunkt nicht mehr das eigentliche Griechenland ist, sondern Alexandria, die Hauptstadt der kunstsinnigen Ptolemäer, daher diese Periode als die alexandrinische bezeichnet wird. Ihres natürlichen Bodens beraubt, war die g. L. nicht mehr Ausdruck eines nationalen Volksgeistes, sondern eine Beschäftigung der Gelehrten. Der kühne Schwung der Phantasie, Genialität und Originalität schwanden; mühsamer Fleiß und massenhafte Gelehrsamkeit trugen jetzt den Preis davon, und nur in einzelnen begabten Persönlichkeiten zeigte sich noch ein Abglanz der frühern Zeit. Allerdings wurden einzelne Zweige der Wissenschaften jetzt entweder ganz neu geschaffen, oder doch bedeutend fortgebildet. Auch die Poesie nahm, da es ihr an jedem festen Rückhalt im politischen Leben fehlte und sie nicht mehr auf ein nationales Publikum rechnen konnte, ein gelehrtes, künstliches Gepräge an. Je nach Talent und Neigung versuchten sich Grammatiker und Litteratoren oft in den verschiedenartigsten Dichtungsarten nebeneinander, indem sie durch den gelehrten Inhalt sowie durch die nicht selten in Künstelei ausartende Kunst der sprachlichen und metri-^[folgende Seite]