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Großbritannien (Industrie).
Industrie.
Auch die Industrie im engern Sinn und das Manufakturwesen stehen in keinem Land in solcher Blüte wie in G. Kein Zweig der Industrie läßt sich denken, der nicht von den Briten in den Bereich ihrer Thätigkeit gezogen, keiner, der nicht von ihnen zu hoher Vollkommenheit gebracht worden wäre. Mancher Manufakturzweig, z. B. die Tuch- und Metallwarenfabrikation, ist schon seit drei Jahrhunderten berühmt; aber Qualität und Quantität der Erzeugnisse haben erst seit der Mitte des 18. Jahrh. ihren Aufschwung erhalten durch das mechanische Genie der Briten, die in der Erfindung von Maschinen und in der geschickten Anwendung von bisher unbenutzten Naturkräften unermüdlich sind. England und Schottland sind die Werkstätten des technischen Gewerbfleißes, der einen großen Teil der Erde mit Waren aller Art versorgt. Die günstige Lage für den Weltverkehr und der Geldreichtum begünstigen in G. große Unternehmungen; bürgerliche Freiheit und leicht zu erlangende Vergünstigung durch Patente spornen zur Thätigkeit an. Die ausgedehnte Anwendung der Maschinen erspart teure Handarbeit, Rohmaterial und Lebensmittel werden durch Zollschranken nicht künstlich verteuert, und G. ist so im stande, trotz höherer Löhne mit andern Ländern zu konkurrieren. Man ist sich recht wohl bewußt, daß diese Konkurrenz in neuester Zeit eine schärfere geworden, und fühlt, daß große Anstrengungen gemacht werden müssen, namentlich auch was technische Vorbildung betrifft, wenn G. auf die Dauer sein Übergewicht als Industrie- und Handelsstaat behaupten will. G. ist auf bedeutende Ausfuhr nach andern Staaten aller Erdteile angewiesen, und seine Blüte würde rasch vergehen, wenn dieser Absatz plötzlich aufhörte. In seinen auswärtigen wie in seinen einheimischen Verhältnissen und Beziehungen muß daher auf die Interessen der Industrie ganz besonders Rücksicht genommen werden. Nur durch Absatz seiner Industrieprodukte kann sich G. die Lebensmittel verschaffen, deren es zur Ernährung seiner Bevölkerung bedarf.
Bereits 1880 beschäftigten der Handel und die Industrie 128,727 Dampfmaschinen (110,000 in Fabriken und Bergwerken von 2,200,000 Pferdekräften, 13,480 Lokomotiven von 3,400,000 und 5247 Schiffsmaschinen von 2,180,000 Pferdekräften) von zusammen 7,780,000 Pferdekräften, und diese Zahl hat sich seither noch bedeutend vermehrt. Da nun eine Pferdekraft sieben Menschenkräften entspricht, so verrichten diese Maschinen eine Arbeit, zu deren Leistung 55 Mill. Menschen nötig wären.
Unter England, Schottland und Irland findet man näheres über die wichtigsten Fabrikbezirke. Hier beschränken wir uns auf einige dem Vereinigten Königreich gemeinschaftliche Angaben. Um vorerst die Vielseitigkeit der britischen Industrie zu kennzeichnen, geben wir nebenstehende Tabelle der in den wichtigsten Industriezweigen beschäftigten Arbeiter nach dem Zensus vom Jahr 1881. Diese Tabelle zeigt deutlich das gewerbliche Übergewicht Englands, dem allerdings Schottland, dessen Bevölkerung kaum den siebenten Teil von der Englands beträgt, dicht auf den Fersen folgt, ja in einzelnen Gewerbszweigen bereits voraus ist, während Irland mit Ausnahme seiner Textilindustrie noch wenig leistet.
Unter allen Zweigen der Industrie ist die Textilindustrie wohl die wichtigste, denn sie nährte 1881: 1,179,797 Menschen, abgesehen von den Tausenden, welche die ihr nötigen Maschinen bauten oder direkt von ihr abhängig waren.
Die wichtigsten Industriezweige Großbritanniens.
Gewerbe etc. Zahl der Arbeiter (1881) England u. Wales Schottland Irland
Stahl- und Eisenmanufaktur 199877 38309 2360
Schmiede 112523 20362 14576
Messerschmiede 18234 173 111
Nagelschmiede 18741 596 2095
Messingschmiede 27874 3973 614
Zinnarbeiter 36833 3725 1940
Gold- und Silberschmiede 24715 1316 470
Waffenschmiede 8127 226 195
Maschinenbau 160797 32730 4469
Uhrmacher 23351 2552 1718
Töpferwaren 46596 3171 171
Glaswaren 20630 1665 352
Chemikalien (inkl. Alkali) 16321 2377 103
Küfer 18699 5509 4781
Dreher und Kistenmacher 13977 1418 742
Papier 18630 7975 507
Gerber und Zurichter 25799 2419 780
Sattler 23866 2150 2802
Textilindustrie 876893 199476 59691
Strumpfwirkerei 40372 2965 347
Hüte 22689 852 492
Strohhüte 30984 409 201
Handschuhe 15524 46 87
Brauer 24567 1674 955
Brenner etc. 9528 1456 784
Kornmüller 23462 3420 3834
Zuckersieder 3870 1337 77
Tabaksfabrikation 19734 2059 1249
Schiffbau 51219 17704 4270
Wagenbau 52698 3337 2497
Eisenbahnwagenbau 7570 294 48
Buch- und lithograph. Drucker 66971 9146 4312
Der Stand der Fabriken im J. 1885 war folgender:
Fabriken Spindeln Mechan. Webstühle Arbeiter
Baumwolle 2635 41346609 560955 504069
Wolle 1918 3285085 57990 139316
Kunstwolle (Shoddy) 108 95988 1981 4709
Worsted 725 2763521 79931 138230
Flachs 388 1220377 47641 111837
Hanf 107 46495 779 9946
Jute 120 264203 12083 41674
Haar 48 1486 378 2239
Seide 691 1062748 11966 42995
Spitzen 431 - - 15886
Strumpfwaren 227 - - 19536
Elastische Gewebe 67 - - 3824
England und Wales 6359 49725814 675953 813824
Schottland 776 2369104 72279 152279
Irland 330 993906 25472 61158
Vereinigtes Königreich 7465 53088824 773704 1034261
Ausgeschlossen sind hierbei die Tausende von Arbeitern, die zu Hause als Strumpfwirker, Spitzenklöppler etc. arbeiten. Von den Arbeitern waren 629,248 weiblichen Geschlechts, und 130,174 waren Kinder unter 13 Jahren, welche die halbe Zeit arbeiteten. Gegen 1871 hat die Zahl der Spindeln um 7,418,702 und die der Webstühle um 58,439 zugenommen, dagegen war zur Zeit der jüngern Aufnahme in 259 Fabriken die Arbeit eingestellt. Die Rohmaterialien für diese Fabriken bezieht G. fast ausschließlich vom Ausland, namentlich aber Baumwolle (Konsum 1872: 5,2 Mill., 1884: 6,6 Mill. Doppelzentner) aus den Vereinigten Staaten, Indien, Ägypten, Brasilien; Wolle (Konsum 1873: 0,8 Mill., 1884: 1,1 Mill. Doppelzentner) aus Australien, Südafrika etc.; Flachs und Hanf (Konsum 1884: 1,9 Mill. Doppelzentner) aus Ruß-^[folgende Seite]